Berlin als Vorbild: Hanseatische Enteignung

Die Volksinitiative „Hamburg enteignet“ startet: Profitorientierte Wohnungskonzerne mit mehr als 500 Wohnungen sollen vergesellschaftet werden.

Demoplakat "Wohnungen sind keine Ware"

Will die Gewinne des Immobilienkonzerne einkassieren: Die Volksinitiative „Hamburg enteignet“ Foto: Daniel Reinhardt/dpa

Hamburg taz | An ein neues Bild sollen sich die Ham­bur­ge­r:in­nen in den kommenden Monaten auf öffentlichen Plätzen, bei Flohmärkten, auf Demonstrationen oder dem Wochenmarkt gewöhnen: Menschen in magentafarbenen Warnwesten, die gutgelaunt Unterschriften sammeln. Aus Berlin kennt man das Bild schon, nur waren die Westen Hunderter Ak­ti­vis­t:in­nen dort in Gelb und Weinrot gehalten.

Nach dem Berliner Vorbild „Deutsche Wohnen & Co enteignen“, die nach mehrjähriger Arbeit eine erfolgreiche Volksabstimmung über die Enteignung großer profitorientierter Wohnungskonzerne durchdrückte, ging am Donnerstag in Hamburg die Volksinitiative „Hamburg enteignet“ an den Start.

Die Kampfansage der Ak­ti­vis­t:in­nen ist deutlich: Alle privaten, profitorientierten Wohnungskonzerne auf dem Hamburger Markt sollen enteignet werden, wenn sie mehr als 500 Wohnungen besitzen. In der Summe dürfte es damit um bis zu 100.000 Wohnungen gehen. Das entspricht rund zehn Prozent aller Wohnungen in der Stadt.

„Uns geht es nur um die dicken Fische“, betont Hanno Hinrichs, einer der Sprecher der Initiative. In Hamburg sind das etwa die Immobilienkonzerne Akelius, Heimstaden oder ­Vonovia.

„Gescheiterte Wohnungspolitik“

Wer etwa aus der Vermietung von zwei, drei Wohnungen seine Rente bestreite, sei davon hingegen nicht betroffen. Ausgenommen sind ebenfalls die Wohnungsgenossenschaften und das städtische Wohnungsunternehmen Saga. „Die Saga ist nicht unser Gegner“, sagt Hinrichs.

Notwendig sei die Enteignung, weil die Versorgung der Hamburger Bevölkerung mit bezahlbarem Wohnraum kaum mehr gesichert sei – seit Jahren stiegen die Mieten in Hamburg, ohne dass bislang ein Ende in Sicht sei. „Die Situation spitzt sich immer weiter zu“, sagt Initiativen-Sprecherin Marie Kleinert. Zu wenig unternehme der Hamburger Senat gegen diese Entwicklung: „Dessen Wohnungspolitik ist gescheitert“, sagt Kleinert.

Jährlich fallen mehr Wohnungen aus der Preisbindung, als neue fertiggestellt werden

Seit 2011 gibt es das Hamburger Bündnis für das Wohnen, um jedes Jahr mehrere Tausend Wohnungen nicht nur zu genehmigen, sondern sie auch fertigzustellen. Sie sollen dem wachsenden Zuzug nach Hamburg Rechnung tragen, aber auch dämpfend auf die Mietpreisentwicklung einwirken.

Ins Boot holte der Senat dafür die Wohnungswirtschaft und die sieben Hamburger Bezirke. Der Deal: Die Stadt sorgt für ausreichend Bauflächen, dafür baut die Wohnungswirtschaft jährlich genügend Wohnungen – wovon ein Drittel günstiger Wohnraum mit einer Preisbindungsfrist von 30 Jahren ist.

Profitieren sollen alle Hamburger Mie­te­r:in­nen

„Dieser Drittelmix wird jedoch nicht mehr umgesetzt“, sagt Kleinert mit Verweis auf jüngst veröffentlichte Zahlen – von 7.500 im vergangenen Jahr fertiggestellten Wohnungen waren nur 1.900 Sozialwohnungen. Hinzu kommt: in Hamburg fallen jährlich mehr Wohnungen aus der Preisbindung, als neue fertiggestellt werden.

Richten soll es nun das von den Ak­ti­vis­t:in­nen anvisierte Vergesellschaftungsgesetz. Die Wohnungsbestände sollen gegen eine geringe Entschädigung in die Hand einer Anstalt öffentlichen Rechts überführt werden. Statt Gewinne zu erwirtschaften und sie an Aktionäre auszuschütten, sollen die Mieten verringert werden. „Über den dadurch sinkenden Mietenspiegel profitieren letztlich alle Hamburger Mie­te­r:in­nen davon“, sagt Kleinert.

Klar machen die Ak­ti­vis­t:in­nen aber auch: Um den Neubau von günstigem Wohnraum geht es der Volksini­tiative nicht, das sei eine weitere Baustelle in der Wohnungspolitik.

Gelassen reagieren die Ak­ti­vis­t:in­nen auf den Hamburger Verfassungsschutz, der vor dem Start der Unterschriftensammlung der Initiative in die Parade fahren wollte: Am Mittwoch verschickte er eine Mitteilung, in der er vor der Initiative warnt: Daran würden sich „linksextremistische“ Gruppen beteiligen – namentlich die Interventionistische Linke. Die wolle im Fokus zahlreicher Menschen stehende Probleme wie die Mietpreiskrise nur für eigene Zwecke nutzen. „Wir sind nicht verdächtig, wir machen nur von unserem Recht Gebrauch“, sagt Hinrichs. Inakzeptabel sei die Einmischung des Verfassungsschutzes dennoch.

Noch ein langer Weg zum Ziel

Im ersten Schritt müssen die Ak­ti­vis­t:in­nen innerhalb der kommenden sechs Monate 10.000 Unterschriften sammeln. Sollte die Bürgerschaft anschließend – wovon auszugehen ist – den Gesetzentwurf nicht verabschieden, kann die Initiative ein Volksbegehren beantragen: Dann brauchen sie innerhalb von drei Wochen die Unterstützung von fünf Prozent der wahlberechtigten Hamburger:innen.

Lehnt die Bürgerschaft das Vorhaben anschließend erneut ab, käme es zum Volksentscheid, über den alle wahlberechtigten Ham­bur­ge­r:in­nen abstimmen können – das könnte parallel zur nächsten Bürgerschafts- oder Bundestagswahl in 2025 der Fall sein.

Als wahrscheinlich gilt darüber hinaus, dass der Hamburger Senat Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Vorhabens anmelden wird und Klage vor dem Hamburgischen Verfassungsgericht einreichen wird.

Bis zum ausgerufenem Ziel ist es jedoch ein mühsamer Weg. Das zeigt auch das Berliner Vorbild: Zwar stimmte dort im vergangenen Jahr eine deutliche Mehrheit der Wäh­le­r:in­nen für die Enteignung, doch berät noch eine Ex­per­t:in­nen­ko­mmis­si­on, ob sich der Entscheid überhaupt umsetzen lässt. Im kommenden Jahr wird mit einem Ergebnis gerechnet.

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