Berlin Schlusslicht im Bildungsranking: Berlin ist abgemeldet
Fast die Hälfte der Viertkässler*innen erreicht nicht die Mindeststandards in Rechtschreibung. Alarmierend: Die Chancenungleichheit wächst.
![](https://taz.de/picture/5853870/14/30875316-1.jpg)
Demnach erreichten rund 27 Prozent der Berliner Viertklässler*innen nicht den Mindeststandard im Lesen – nur Bremer Schüler*innen schnitten schlechter ab. In Rechtschreibung erreichten sogar 46 Prozent nicht die Mindeststandards – damit ist Berlin bundesweit Schlusslicht. In Mathe erreichten 41,6 Prozent den Regelstandard – auch das ist der bundesweit niedrigste Wert.
„Es dürfte Einigkeit darüber bestehen, dass solche Zahlen nicht hinnehmbar sind“, schreiben die Autor*innen der Studie des Instituts für Qualitätssicherung im Bildungswesen, kurz IQB, in ihrem Fazit. Zwar münzen sie diese Aussage nicht nur auf die Berliner Zahlen. Denn die Kompetenzkurve der Schüler*innen zeigt in allen Ländern nach unten, was teilweise auch mit den Auswirkungen des Corona-Homeschoolings der letzten Jahre erklärt wird.
„Bedrohung für Wirtschaftsstandort“
Doch in Berlin ist die Lage eben am wenigsten hinnehmbar, wie die Zahlen nun zeigen: Die Qualität der Berliner Bildung sei inzwischen „eine ernstzunehmende Bedrohung für den Wirtschaftsstandort“, sagte der Vizepräsident der Industrie- und Handelskammer, Stefan Spieker, am Montag.
Im Detail sind vor allem zwei Entwicklungen alarmierend. Zum einen wird die Chancenungerechtigkeit größer. Aus welcher Familie ein Kind kommt wird wichtiger statt unwichtiger für den Bildungserfolg: Sind die Eltern arm, wenig bildungsinteressiert oder hat das Kind einen Fluchthintergrund, stehen die Chancen, salopp gesagt, schlecht. Die viel zitierte Schere bei der Chancengleichheit öffnet sich weiter. Für Berlin gilt das besonders für die Bereiche Lesen und Zuhören. Die Lernrückstände von Kindern mit Fluchthintergrund betragen bis zu zwei Schuljahren, so die Studie.
Zweitens dürfte die Berliner Bildungspolitik alarmieren, dass man sich eben nicht darauf berufen kann, dass die Zusammensetzung der Schüler*innenschaft in Großstädten eine andere ist als auf dem Land. Denn hätte man „zentrale Hintergrundwerte“ wie sozioökonomischer Status und Migrationshintergrund herausgerechnet, ändert sich nichts am Befund: Berlin hinkt hinterher. Auch der seit 2011 durchweg „negative Trend“ – die Schere geht auf – ist demnach nicht damit zu erklären, dass in Berlin zum Beispiel mehr geflüchtete Kinder im Schulsystem sind als noch vor einigen Jahren.
Die Bildungsverwaltung betont, man habe „den Handlungsbedarf bereits vor längerer Zeit klar erkannt“ und arbeite auch bereits an der Umsetzung einer „Qualitätsstrategie“, wie ein Sprecher mitteilt. So gebe es bereits mehr Deutschstunden in Grundschulen als noch vor einigen Jahren. Zudem müsse man bedenken, dass die Tests während der Pandemiephase im Frühjahr 2021 stattfanden. In anderen Ländern fanden die Tests später und dann schon wieder im Regelbetrieb statt.
Auffällig ist das relativ gute Abschneiden Hamburgs als Stadtstaat. Dort hat man zum Beispiel die Vorschule seit einigen Jahren verpflichtend gemacht, wenn Kinder zwei Jahre vor der Schule durch einen Sprachtest fallen. In Berlin bemängeln Bildungsexpert*innen seit Jahren, dass die auch hier eigentlich verpflichtenden Sprachtests durch das Gesundheitsamt die Zielgruppe nicht erreichen – oder ohne Konsequenz bleiben, weil die Kinder danach trotzdem nicht in die Kita oder zur Sprachförderung gehen.
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