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Berlin-Kreuzberg am 1. MaiBetreutes Biertrinken

Auch ohne Myfest wird am Tag der Arbeit in Kreuzberg vor allem gefeiert – stets unter den Augen der Polizei. Ab und zu wird es aber doch politisch.

Am 1. Mai immer gut besucht: der (noch nicht umzäunte) Görlitzer Park in Kreuzberg Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Obwohl das Kreuzberger Myfest auch in diesem Jahr abgesagt wurde, sind vor zahlreichen Spätis und Kneipen Soundsysteme und Musikinstrumente aufgebaut. Junge Leute strömen in Massen mit Bier, Mate und Sekt durch die Straßen und in den Görlitzer Park.

Sie gehen vorbei an Hauseingängen, in denen vereinzelt abgehärmte Junkies hocken, die mit leerem Blick vor sich hin starren – und vorbei an Polizeieinheiten, die unübersehbar vor und auch im Park selbst postiert sind. Sogar einen Kameraüberwachungswagen haben sie mitgebracht. Auch das Ordnungsamt und einige Parkläufer sind da, ein Vorgeschmack darauf, wie es aussehen könnte, sollte der umstrittene Zaun um den Park tatsächlich gebaut werden.

Gegen diesen Zaun richtet sich eine Blockparty und Protestkundgebung, die am Pamukkale angemeldet ist. Eine DKP-Fahne flattert im Wind, später gesellen sich eine Palästina- und eine DDR-Fahne hinzu. Ein Redner erzählt von der Geschichte des 1. Mai in Kreuzberg, dann kritisiert eine Frau den geplanten Zaun um den Park. „Ein Zaun wird die Probleme nur in den Kiez verlagern“, sagt sie mit leiser Stimme und stellt klar: „Der Görli bleibt offen. Wir fordern soziale Lösungen für soziale Probleme.“

Der anschließende Dancehall-Sound ist da wesentlich mächtiger, das Soundsystem hat es in sich. Statt Sahara- weht Görlistaub über den Platz, einige Leute tanzen, die meisten suchen sich jedoch einen Platz im Schatten.

Am Mariannenplatz geht es politischer zu

Ein paar hundert Meter weiter, im Herzen von Kreuzberg 36, ist für Autos kaum noch ein Durchkommen möglich: Das traditionelle Fest der Linken hat Tausende Menschen auf den Mariannenplatz gelockt, die an den zahlreichen Ständen vorbeiflanieren. Der Altersschnitt hier ist etwas höher als im Görli, insgesamt ist es diverser, familiärer und politischer. An den Ständen machen DGB, VVN, verschiedene linke und palästinasolidarische Gruppen Werbung, auch La France Insoumise, die spanischen Podemos und Aufstehen gegen Rassismus sind dabei. Auch hier patrouilliert die Polizei durch die Menge.

Der langweilige Rock auf der Bühne wird abgelöst durch die Begrüßung der beiden Linken-Bezirksvorsitzenden Kerstin Wolter und Pascal Meiser. Dieses Fest stehe für den politischen 1. Mai, sagt Meiser: „Wir sind und bleiben überzeugte Antikapitalist*innen“, denn mit dem Kapitalismus sei kein Staat zu machen.

Meiser erinnert an die erneut gewaltsam aufgelöste Gewerkschaftsdemo in Istanbul sowie an die politischen Gefangenen in Belarus und anderen Autokratien. Anschließend folgen Talks zum Kampf gegen Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit und auch hier zum „unsäglichen“ Zaunbau um den Görli, dazwischen läuft Livemusik von Rock bis Punk.

Auf der Nordseite des Platzes hat sich „Die Partei“ breit gemacht. Hier sind weniger Leute, dafür viele fantasievolle Stände, alle von der „Partei“. Ein Sprecher auf die Bühne versucht, dem Ruf als Satirepartei gerecht zu werden. Anstatt zu fragen, was die EU tue, um Menschen in Seenot zu retten, müsse die Frage lauten: „Was haben Menschen in Seenot getan, um die EU zu retten?“ Anschließend überlegt er, dass ein Beitritt der Ukraine in die EU zu mehr bezahlbarem Wohnraum im Osten führen würde. Im Hintergrund wummern die Bässe von einem der zahllosen Soundsysteme.

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