Berlin Fashion Week: Weniger sexy war nie
Die gerade eröffnete Berlin Fashion Week hat eines mit Sicherheit nicht im Gepäck: die Hoffnungen und Träume, die sich einmal mit der Mode verbanden.
Alle wollen nach Berlin. Schon seltsam. Denn Berlin ist eine merkwürdige Stadt. In einem Kiez am Tempelhofer Flugfeld beispielsweise hat vor einigen Monaten ein Quartiersmanagement die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen aufgenommen: Hausaufgabenbetreuung und Nachmittagsunterricht. Daraufhin flogen Farbeier, weil andere befürchteten, diese Sozialpädagogisierung führe zu einer Gentrifizierung. Recht haben sie wohl alle.
Die einen wollen, dass ihr Sozialpädagogik-Studium sich zumindest ein wenig materiell und ideell auszahlt, wenn natürlich auch nur befristet, die kleinen Racker wollen mal nicht "Hartz IV" werden, sondern es wenigstens zu Niedriglohnexistenzgeld bringen, und die Nachtaktivisten befürchten einen neuen Prenzlauer Berg. Welchem dieser Beteiligten also könnte man seine Motive verdenken? Ist in dieser Trostlosigkeit vielleicht gar Hoffnung enthalten? Eigentlich wollen sie doch alle nur ein bisschen gut leben …
Zum hoffnungsvollen Kieznachbarn auf dem Flughafen-Gelände wird in dieser Woche wieder einmal die Berlin Fashion Week einquartiert, die "internationale Bühne für Fashion und Lifestyle", wie es in der Werbung heißt. Es hätte mal so schön werden sollen! Doch schon im letzten Jahr attestierte der Spiegel dem ambitionierten Event das ökonomische Aus. Und auch diesmal scheint sich daran nichts zu ändern.
Altes Geld bevorzugt
Die großen Modehäuser bleiben lieber beim alten Geld und den traditionsreichen Fashion Weeks in New York, London und Paris. Oder sie suchen ihre Kunden der Zukunft, genau wie Fußball, Showbiz und Formel 1, schon seit über einem Jahrzehnt auf den glamourösen Bühnen des neuen Geldes in Schanghai, Mumbai und Dubai, wo man sich, um mit Oscar Wilde zu sprechen, so teuer anzieht, dass man schon wieder billig aussieht.
In Berlin ist good-old-fashioned Mercedes-Benz Hauptsponsor der Modewoche. Der größte Teil des Geldes kommt aber von der "öffentlichen Hand", der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung und der senatseigenen Berlin Partner GmbH. Der gemeine Betriebswirtschaftler wird sich nun fragen: Warum sponsert eine ach so klamme Stadt regelmäßig eine mehrtägige Großveranstaltung, die sich einfach nicht rentieren will? Und die auch sekundären Ertrag, wie den Zuzug solventer Unternehmen aus der Textilverarbeitung, vermissen lässt?
Die Kopfgeburt der Berliner Fashion Week war, rein ökonomisch, von Beginn an eine Totgeburt: Nicht nur im Vergleich zu New York, Paris oder Rom, auch zu Düsseldorf oder Istanbul gab es in Berlin weder in der Nachkriegszeit noch nach 1990 eine nennenswerte Textil- oder Modewirtschaft. Auch heute gibt es sie nicht, selbst wenn heute überall von der "Berliner Modeszene" die Rede ist.
Sinn und Zweck der Rhetorikübung "Europäische Modemetropole" war es wohl einzig, Berlin mit einem Image auszustatten, das der Stadt ermöglicht, im ideellen Wettbewerb der "Weltstädte" mitzuspielen - losgelöst vom tatsächlich vorhandenen Kapital und den realen Ressourcen. Dass solch reines Ideenmarketing dennoch realen Mehrwert produziert, das scheinen die anschwellenden Touristenzahlen, die steigenden Immobilienpreise und die tatsächliche Anziehungskraft Berlins auf junge "Kreative" aus der ganzen Welt denn auch zu belegen.
Das inhaltslose Gerede von der "Berliner Modeszene" verschränkt sich dabei mit der nicht vorhandenen Kreativität der Akteure. Der Begriff der "Pariser Mode" etwa stand seit den 1940er Jahren für den figurbetonten New Look von Dior, später für die neuartigen ästhetischen Elemente, die Yves Saint Laurent oder Jean Paul Gaultier in die Alltagsmode einführten. Die Mode-Synonyme New York oder London verband man mit der Auflösung strikt bürgerlicher Kleidungs-Codes und der nachbürgerlichen Coolness in den 80ern.
Und Rom und Mailand hatten nicht nur mit Versace und Armani sowohl dekorative Opulenz als auch formale Stringenz für sich in Beschlag genommen. Dagegen bleibt der "Berliner Mode", die wohl gerne so verspielt zukünftig wäre wie die in den Tokioter In-Stadtteilen, nicht mehr viel übrig als die Emanzipation von Form- und Farbharmonie und das Beliebigkeitspostulat des "anything goes".
Entwurf eines anderen Daseins verpasst
Verhieß Mode generell unbedingt den Genuss des stilisierten Moments, das kurzzeitige Verweilen an des Glückes Strand, den schwelgenden wie schweifenden Entwurf eines anderen Daseins, so scheinen ihre heutigen Protagonisten die nazarenische Schmucklosigkeit, die kindische Verweigerung von geschlechterbezogener Mode als Zier des Körpers und als Trost der Sinne zu ihrem erbarmungswürdigen Schnittmuster zu machen - im Neuköllner Flughafenkiez könnte es kaum trostloser sein.
Bei Lichte betrachtet, zerfällt die "Berliner Modeszene" in vier Fraktionen, die versuchen, ihr Stück vom kleinen, aber wahnsinnig "experimentellen" und "innovativen" Berliner Kuchen zu ergattern: Da ist zunächst Michalsky, der ehemalige Adidas-Chefdesigner, der sich mittels medialer Vermarktung als Ikone des globalen Trendsettings darzustellen versucht. Aber doch nur das in seine Kollektionen nimmt, was es bei H & M und an Kreuzbergs Kottbusser Damm längst preiswerter gibt.
Dann gibt es Labels wie Thatchers oder die zwischenzeitlich insolventen Unrath&Strano, die vom Ruhm des vergangenen Jahrzehnts zehren, als man sich noch halbwegs an den klaren Linien von London orientierte. Der große Rest der "Szene" besteht zumeist aus Kleinateliers, die T-Shirts und Umhängetaschen mit "lustigen"oder identitätsstiftenden Motiven bedrucken, um sie sich dann gegenseitig abzukaufen und in Mode-Blogs als Must-Have der Saison anzupreisen - klassische Cross-Promotion, gemixt mit Guerilla-Marketing.
Die wenigen, die sich wirklich als Modemacher bezeichnen könnten, weil sie das Handwerk auch mit der Hand - und nicht nur mit dem Vokabular der selbstreflexiven Reklame - beherrschen, wie etwa "Rita in Palma" oder "Ponymädchen", scheinen in der Masse leider völlig unterzugehen. Es dürfte das Künstlerpech dieser Talentierten sein, dass sie ihre Applikationen und Details nicht alleine als Eyecatcher in der Vogue avisieren, sondern als organischen Teil einer in sich geschlossenen Farb- und Formen-Partitur jenseits des Marktschreierischen - so wie man früher auch in Paris schneiderte.
Den allgemeinen und besonderen Beschränkungen ihrer Zeit immer einen Schritt voraus zu sein, den Körper als prachtvolles Refugium gegen die "inneren und äußeren Wüsten" (Benedikt XVI.) der entfremdeten und verwalteten Welt zu gestalten, das war der Inbegriff wie der Auf- trag der schönen Künste. Sie gaben dem bürgerlichen Versprechen von der Utopie eine Form, also dem Wunsch, mehr als nur ein bisschen gut leben zu wollen.
Der teleologische Irrtum der "Berliner Mode", auf den Anspruch der Mode vollends zu verzichten, ihr selbst noch stilistische Highlights zu entziehen und ihr damit die flirrende Sehnsucht, als Provokation gegen die Starrheit der Zustände, auszutreiben, ist nicht nur ihr offensives Markenzeichen.
Mal behäbige, mal nachhaltige Weltstadt-Träume
Es ist kennzeichnend für das innerste Wesen der neuen Berliner Gesellschaft mit ihren mal behäbigen, mal nachhaltigen Weltstadt-Träumen. Und es ist das Pop-Äquivalent zur verklemmten deutschen Libyen-Politik, der EU-Linie protestantischer Solidität und zu den "Klimazielen" der großen Industrienationen, die sich gegen das neue Geld aus Indien und China richten: Weniger sexy war nie. Heute gibt sich die "Avantgarde", links, aufgeklärt und bohemistisch, romantisiert das Darben am "Existenzminimum" dann aber auch noch mit dem zynischen Slogan "Arm, aber sexy". Gleichzeitig fällt sie dann aber auch noch selbst hinter die Existenzlüge der bürgerlichen Gesellschaft - der Freiheit des Individuums - zurück. In seiner Trostlosigkeit erinnert das an den Freund aus George Clooneys "Michael Clayton", der sich dem Guten nur noch im wahrhaft nackten, kleiderlosen Wahn nähern kann, da er das Böse, an dem er als ehemals korrupter Industrieanwalt selbst schuf, in seiner absurden Banalität begrifflich wie gedanklich nicht mehr zu fassen vermag.
Auf der Fashion Week drapieren sich die Veranstalter selbst gern mit den Event-Labels "GreenAvantgarde" oder "EthicalDesign". Der Armut nebenan aber stillos die kalte Schulter zu zeigen, darüber lässig die trendige Jutetasche drapiert, das Ganze in der Hoffnung auf ein paar Almosen aus dem städtischen Etat - und auf den sozialdemokratischen Modegott Heinz Buschkowsky, Bezirksbürgermeister, der das gerade geschlossene Neuköllner C&A zum Atelierhaus für fünfzig Jungdesigner umrichten will - all das macht die Berlin Fashion Week gleich der "Berliner Modeszene" genauso überflüssig für die Mode, wie es die stylischen Jugendlichen aus Neukölln, ihre ethisch gewandeten SozialpädagogInnen und die Jung-"Designer" aus Kreuzkölln für die Wirtschaft bereits sind.
Seiner Zeit und ihrer Tristesse möchte man in Berlin nicht einmal mehr modisch voraus sein. Aber gerade weil das so ist, wollen alle nach Berlin. Schon seltsam.
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