Berlin-Buch-Boom: Prachtbauten ja, Krämerläden nein
■ Herrlich höfisch: Die Oranienburger Straße aus Sicht eines entrückten Stadtschreibers
Laurenz Demps ist sowas wie die alte Dame der Berliner Stadtgeschichtsschreibung. Sein neuestes Werk über die Oranienburger Straße ist dementsprechend würdig und sonor, hier klingelt Geschichte auf allen Seiten in höchstköniglichsten und bestbürgerlichen Tönen. Mit wilder Liebe zum Detail, mit Bauplänen, Kostenauflistungen und Erbfolgenachweisen erzählt Demps beispielsweise den historischen Werdegang des Tacheles (ehem. Warenhaus W. Wertheim und zugleich die letzte fertiggestellte Großpassage Europas), vom Schloß Monbijou (gesprengt Ende der Fünfziger, heute geschlossenes Kinderbad), des Postfuhramtes oder anderer wahrer, schöner, historisch wertvoller Häuser.
Ja, man hört gleichsam die Wehmut knirschen, mit der hier über Jahrhunderte altes Gestein gestrichen wird – denn aufregende Gebäudeleben nachzuerzählen bedarf schließlich einer ähnlich großen Leidenschaft wie Briefmarkensammeln: Alles ist sehr aufwendig und gut recherchiert und recht adrett zusammengeschrieben. So könnte dieses Werk in der Tat eine Perle stadtschreiberischer Kunst sein. Wäre da nicht das servile Bemühen, einerseits in akribischer Kleinarbeit Wege und Wirken der Königinnen und ihrer Stadtplaner zu beschreiben, die hier gewissermaßen Feld, Fuchs, Dorf und Wiese in Stadt verwandelt haben. Und andererseits die deutliche Unlust, mit der die Restgeschichte der Oranienburger Straße verhandelt wird. Was heißt: Prachtbauten ja und mit ehrfürchtigem Knicks, Mietskasernen und Krämerläden nein, und wenn, despektierlich und nachlässig.
Insgesamt ist das ganze Werk gekennzeichnet durch jenen Tonfall der Entrückung, mit dem seit Jahren für Kommandantenhäuschen, Stadtschlösser und Schinkelklohäuschen getrommelt wird. So als habe dieses Jahrhundert den Bauleistungen des „wahren“ Berlin nichts mehr hinzugefügt, ihm im Gegenteil viel Aura genommen.
Um eine abwägende Betrachtung der Moderne seit Knapp-vor-Hitler geht es Demps mit diesem Buch nicht wirklich, die Kapitel über Drittes Reich und DDR beschäftigen sich spröde mit den Erhaltungs- und Abrißmaßnahmen. Für die Beschreibung der Gegenwart schließlich fehlen fast ganz die Worte. Wie jedem Stadtführer bleibt Demps nach allen Ausschweifungen übers herrlich Höfische für die Jetztzeit einzig naserümpfender Ekel übrig. Logisch daher die hohnvolle Freude darüber, daß die Besetzer des Tacheles ihre Kunstruine nun doch räumen müßten. Was zum Zeitpunkt des Buchredaktionsschlusses gestimmt haben mag, sich nun aber doch wieder anders verhält. Jörg Sundermeier
Laurenz Demps: „Die Oranienburger Straße“, Parthas Verlag, Berlin 1998, 39,80 DM
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