Berlin-Buch-Boom: Restkleinstadt
■ Berlin wird immer ordentlicher, und Jürgen Hübner-Kosey findet das schön
Wenn einer über die Veränderungen der letzten zehn Jahre im östlichen Berlin schreibt, sollte mehr dabei herauskommen als die Erkenntniss, dass sich der durchschnittliche Lebensstandard im Osten verbessert hat oder nichtkaputte Hausfassaden ordentlicher aussehen als kaputte. So was weiß man.
Insofern hat Berlins Wandel zwischen Mauerzeit und Jahrtausendwende“ seinen Leserinnen und Lesern zunächst also nichts Neues zu sagen. Jürgen Hübner-Kosney, Autor und Verleger in Personalunion, scheint ein einfacher Berliner zu sein, dem die Teilung der Stadt offenbar zu einem solch einschneidenden Erlebnis wurde, dass er die Wiedervereinigung als rauschendes Fest empfinden musste. Sein Buch, in dem es durchaus passable Fotos gibt, versucht in plumper Parallelisierung, den Eindruck zu erwecken, der Osten sei markt- und markentechnisch ein Entwicklungsland gewesen. Heute hingegen, könnte man meinen, lebe man dort wie die Ratte im Gemüsekarren.
Darum schreckt er auch vor merkwürdigen Verallgemeinerungen nicht zurück. Mit den Kohleöfen hat man schließlich selbst in Wilmersdorf noch nicht vollständig gebrochen. Und Ostberliner Schlaghosenfotos aus den 70er-Jahren sehen natürlich komisch aus, die gleichen Fotos aus dem Westen allerdings auch. Besonders obskur ist, dass ostdeutsches Warendesign und Hinweisschilder auf ML-Dienststellen der Lächerlichkeit preisgegeben werden und Hübner-Kosney selbst noch in der Ersetzung eines „Chic“-Ladens durch eine Drogeriefiliale oder in der räumlichen Erweiterung eines Zeitungskioskes partout Fortschritt erblicken will.
Das Buch soll hier dennoch unbedingt empfohlen werden. Neben seiner eigentlichen Bestimmung zeigt es nämlich unglaublich schönes Fotomaterial über den ursprünglichen Zustand der heute so betulich zurechtrestaurierten Straßenzüge Ostberlins. Wer kann sich noch vorstellen, dass die Sophien- oder Auguststraße vor wenigen Jahren nichts Glattes hatte? Und wer kann sich noch daran erinnern, dass die Hackeschen Höfe nicht immer als Restkleinstadt innerhalb der Hauptstadt herhalten mussten?
Gerade die Belanglosigkeit der Motive lässt das wahre Ausmaß der Veränderungen und die unbedingte Mutlosigkeit der Nachwende-Stadtplaner sichtbar werden. Hübner-Kosney entlarvt also letztendlich seine eigenen Vorstellungen vom Fortschritt – als Rückschritt.
Jörg Sundermeier
Jürgen Hübner-Kosney: „Berlins Wandel zwischen Mauerzeit und Jahrtausendwende“. Selbstverlag, Berlin 1999. 170 Seiten, 29,50 DM
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen