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Berlin-Buch-BoomGeierwally

■ Heimatfilm DDR: Udo Hesses Fotoband „Als noch Osten war“

Ein Kind sitzt vor einem Haus und guckt in die Kamera. Hinter ihm steht, ins Holz der Tür geritzt, „AC DC“. Stände das Haus in Westdeutschland, das Bild wäre bestenfalls kitschig. Doch das Foto ist in den 80er-Jahren in der Rockwüste Ostberlin aufgenommen worden, und dadurch bekommt es eine fast politische Dimension.

Ein anderes Bild. Ein kleiner Junge zielt mit seinem Spielzeuggewehr auf einen alten Mann. Der lächelt, die Pfeife schräg im Mund und auch sonst ganz guter Opa, in die Kamera. Ihre Häuser haben sie nicht renoviert gekriegt, aber mit den Spielzeuggewehren ging es locker weiter: Genau diesen Gedanken kennt das Bild nicht. Vielmehr sagt es mit dem Lächeln des Alten: So war das drüben, wie süß!

Das ist die Krux mit Udo Hesses Fotoband „Als noch Osten war“ – jedes Foto prägt eine eindeutige Absicht, die Inszenierung tritt allzu deutlich in den Vordergrund, doch die Bilder erzählen nicht wirklich etwas Neues. Ältere Menschen gingen gebeugt, die Autos waren wie die Straßen in üblem Zustand, die Jugendlich hingen perspektivlos rum, die Soldaten waren Soldaten, und das Allzumenschliche war irgendwie immer ganz genau nur: das Allzumenschliche. Mehr wollte Hesse in seinem Buch nicht zeigen.

In einem Fahrradladen in Köpenick wird noch 1983 ohne Ironie mit einem Dürkopp-Werbeschild geworben, obschon Dürkopp-Räder nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch im Westen zu haben waren (und das auch nur bis zirka 1965). Ein nur halbwegs gefüllt aussehendes Schaufenster eines Kosmetikladens wirbt für den sozialistischen Fortschritt. Und ein biederer Mann im Trenchcoat schaut gebannt Vögeln zu, die im Vogelhaus „Exotica“ angeboten werden. Genau diesen Blick aufs Exotische pflegt Hesse. Er betrachtet „den Osten“ genau so, wie ein Tourist die Bemühungen um Modernität in einer afrikanische Großstadt goutiert.

Dieser romantisierende Blick, der zur Zeit das Kalten Krieges noch dazu taugte, „menschliches Elend“ zu entdecken, verklärte sich nach dem Fall der Mauer und wurde sehnsüchtig: „Als noch Osten war“ schwärmt sich in die pittoreske Welt der Kuschel-DDR zurück. Sowohl die tatsächlichen Leistungen als auch die ungeheure Brutalität dieses Staates werden dabei larmoyant unter den Teppich geträumt, damit das Menschliche allein schön bleibt.

Insofern ersetzen solche Fotobände diejenigen Bücher, die während der Industriellen Revolution das tüchtige Bauerntum beschworen oder ihr Seelenheil bis heute im niedersächsischen Fachwerk suchen. Udo Hesse hat eine Art Heimatfilm abgeliefert, bei dem die „gelernten DDR-Bürger“ die Geierwally machen müssen. Das ist hübsch, das ist betulich, und das ist reaktionär. Jörg Sundermeier‚/B‘

Udo Hesse: „Als noch Osten war“. Elefanten Press, Berlin 1999. 68 S., 29,90 DM

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