Berlin Biennale 2020 eröffnet: An den Rissen entlang
Die 11. Berlin Biennale geht es um Solidarität und Empathie, Teilhabe und Gemeinschaft. Die Werke fordern einen eigenen Blick auf komplexe Kontexte.
„Movilización“, also „Mobilisierung“, hat die argentinische Künstlerin Mariela Scafati, die sich in ihrer Kunst mit Konventionen der Moderne, aber auch immer wieder mit feministischem Aktivismus auseinandersetzt, die Installation genannt. Angesichts der aktuellen Geschehnisse und Proteste rund um Covid-19, Polizeigewalt und systemischen Rassismus zeigt sie ihre Kämpfer*innen in einem Moment der Einkehr, des Sichsammelns, bevor sie sich wieder aufbäumen.
Sammeln sollte man sich auch, bevor man sich auf den Rundgang durch die vier Standorte dieser Biennale begibt, die am Samstag eröffnete, denn das kuratorische Team – Renata Cervetto, Augustin Pérez Rubio, Lisette Lagnado und María Berríos – verlangt seinem Publikum einiges ab. Und auch sich selbst forderten sie heraus. In diesem Jahr, in dem so vieles abgesagt werden musste, startete die Großausstellung zwar nicht wie geplant im Juni, aber immerhin jetzt, drei Monate später. Allein das können die Macher*innen als Erfolg verbuchen.
Zudem auf die richtigen Themen gesetzt zu haben: Schon lange vor dem Ausbruch von Corona hatten sie Solidarität und Empathie, Gemeinschaft und Teilhabe, seelisches und körperliches Wohlbefinden in den Fokus gesetzt, Themen die nun noch relevanter erscheinen. Auch im Titel „Der Riss beginnt im Inneren“ schwingt all das mit, wie auch die Hoffnung, Systeme der Ungleichheit, des patriarchalen Kapitalismus aufbrechen zu können.
Corona-Hürden überwunden
Organisatorisch stellte die Pandemie ihnen freilich zahllose Hürden. Performances oder Interventionen mussten durch andere Formate ersetzt werden. Künstler*innen konnten nicht anreisen. Nun steht sie, die „Epilog“ genannte Schau, welche die Biennale, die offiziell bereits vor einem Jahr mit kleineren Ausstellungen und Programmen begonnen hat, abschließen wird. Eben das, wie auch die vier Texte, die den vier Kapiteln der Ausstellung voranstehen, kann man aufgeblasen finden, besser aber man konzentriert sich einfach auf die Kunst.
Da gibt es nämlich, etwa im KW, einige tolle Entdeckungen zu machen – und sogar Wiederentdeckungen, wie im Falle der Galli, jener vom Radar verschwundenen Künstlerin, die sich mit ihrer lustvollen Malerei gegen die männlich dominierte Westberliner Szene der Jungen Wilden durchzusetzen versuchte. Allen Unkenrufen zum Trotz gibt es tatsächlich auch Berliner*innen unter den Künstler*innen.
Auch der Südkoreaner Young-jun Tak, dessen sich an den Händen haltende mit Anti-LGBTQI-Flyern beklebte Christusse den religiösen Fanatismus seines Heimatlandes anprangern, lebt in Berlin. Das Gros ist jedoch von weiter weg und wird den meisten Besucher*innen noch unbekannt sein, die peruanische Filmemacherin Elena Tejada-Herrera etwa oder Cansu Çakar mit ihrer Miniaturmalerei über Alltagssexismen in der heutigen Türkei oder die Inuit-Künstlerin Shuvinai Ashoona mit ihren hintergründigen Zeichnungen.
Wer Spanisch kann, ist oft klar im Vorteil. Oder Portugiesisch. Oder Tagalog. Oder Kurmancî-Kurdisch. Dann könnte man etwa die Graphic Novel, die Zehra Doğan im türkischen Gefängnis zeichnete, nicht nur ansehen, sondern auch lesen. Eine Übersetzung gibt es bedauerlicherweise weder auf der Website der Biennale noch im Handbuch.
Stärkste Positionen im Gropius-Bau
Zweiter großer Standort der Schau ist der Gropius-Bau. Dort befinden sich die stärksten Positionen. Schon gleich die ersten beiden, denen man begegnet, stecken konzeptuell wie sinnlich den Rahmen ab. Da ist die Peruanerin Sandra Gamarra Heshiki, die mit ihrem „Museum of Otracism“ Ausstellungsdisplays europäischer Museen für Anthropologie imitiert.
Der Clou: Die vermeintlichen Inka-Keramiken entpuppen sich beim Herumgehen als flache Trompe-l’œil-Malerei auf Glas, auf deren Rückseite handschriftlich abwertende Bezeichnungen indigener Völker Südamerikas vermerkt sind. Gleich nebenan dechiffriert die Brasilianerin Aline Baiana in einer faszinierenden Stein-Installation „The Cross of the South“ den kolonialen Ursprung des durch den Bergbau bedingten Raubbaus an der brasilianischen Natur.
Die Themen sind mannigfaltig, hangeln sich an den Rissen, den Konfliktlinien entlang quer über die Kontinente vor allem des globalen Südens. Immer wieder muss man sich auf komplizierte Kontexte, auf neue Erzählungen, auf ungewohnte Ästhetiken einlassen. Und dabei mitunter den eigenen Blick hinterfragen.
Antonio Pichillá führt das Publikum hinters Licht, indem er inmitten seiner textilen Arbeiten ein traditionelles Webgerät der Maya so präsentiert, als handle es sich um eine minimalistische Skulptur; Castiel Vitorino Brasileiro wiederum entlarvt mit ihrem Schwarzen trans Körper als Projektionsfläche Exotismen – mithilfe gefälschter „afrikanische“ Masken.
Kurator*innensprech alles andere als inklusiv
Von Objekten und Körpern soll auch die Kunst in der daad-Galerie erzählen, nur geht es dort weniger gut auf. Liegt es einfach am tatsächlich nicht einfach zu bespielenden Ort? Oder doch an der Schwammigkeit des Konzept, wo vor allem von Kleidung, von Queerness und Empfindsamkeit die Rede ist? Die Risse, hier drohen sie zu zerfasern. Oder zerfaselt zu werden.
Was an dieser Berlin Biennale schwierig ist, hat zum Großteil mit Sprache oder Ansprache zu tun, vor allem mit einer Art von Kurator*innensprech, die entgegen des eigenen Anspruchs alles andere als inklusiv ist und gerade an den beiden kleineren Standorte, dem Ex-Rotaprint, in dem alle bisherigen Ausstellungen archiviert sind, und der daad-Galerie den Eindruck trübt.
Ganz auslassen sollte man Letztere aber doch nicht. Wirklich sehenswert ist die Videoarbeit von Naomi Rincón Gallardos im oberen Stockwerk. „Resiliencia Tlacuache“ (Opossum-Resilienz) ist eine Feier des nonkonformen Lebens und der Überlebenskraft von Traditionen. Leben und Überleben – was könnte 2020 besser passen?
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