Berichterstattung bei Geiselnahme: Entführte Medien
Bei der aktuellen Entführung in Ägypten, bei der 19 Personen verschleppt wurden, wird die Berichterstattung mal wieder selbst zur Geisel - wie so oft seit der Osthoff-Entführung.
Entführungen lösen bei den Medien immer einen enormen Durst aus, nicht nur, wenn sie wie im letzten Fall in der Wüste stattfinden. Vorausgesetzt natürlich es handelt sich bei den Opfern um Träger des Passes mit der eigenen Nationalität. Als Nahost-Korrespondent musste ich bereits über dutzende Entführungen berichten, verschleppte deutsche Motorradfahrer im Jemen, Susanne Osthoff und die deutschen Ingenieure René Bräunlich und Thomas Nitzschke im Irak, zwei Österreicher in der Wüste in Tunesien und jetzt der neuste Fall in der ägyptischen Sahara, bei der fünf Deutsche zusammen mit 15 anderen Mitgliedern einer Wüstensafari verschleppt wurden.
Die Grunddilemma ist stets das gleiche: die dünne Faktenlage steht diametral zur Nachfrage in den Medien. Und das verändert ganz schnell den Gegenstand selbst, die Berichterstattung über die Entführung. Denn wo es wenig Fakten gibt, wird naturgemäß viel spekuliert. Haben die Entführer Verbindung zu Al-Qaida, ist Ägypten ein sicheres Reiseland, wo sind die Entführten genau und was fordern die Kidnapper eigentlich? Und weil stündlich berichtet werden muss, nimmt der Gegenstand immer neue Formen an. Berichte über frühere Anschläge militanter islamistischer Gruppen in Ägypten etwa, wecken ganz schnell die Assoziation, dass es sich auch im vorliegenden Fall um einen Terrorakt und nicht um kriminelles Banditentum handelt.
Fakt ist, dass eine Gruppe von 11 Touristen und ihre acht ägyptischen Begleiter verschleppt wurden. Wir wissen nicht von wem, wir haben in Wirklichkeit keine Ahnung wie die Forderungen der Entführer lauten, wir wissen nicht einmal genau wer mit wem verhandelt.
Bei Entführungen mit politischen Hintergrund tauchen die Opfer dann meist nach ein paar Tagen in einem Video in der arabischen Fernsehstation Al-Dschasira oder im Internet auf. Bei einem kriminellen Akt melden sich die Entführer, wie im neusten Fall über Satellitentelefon. Dann beginnt die Kommunikation zwischen Entführern und Unterhändlern und die Medien sind stets ein Teil der Verhandlungsstrategie. Die staatlichen Unterhändler wollen die Medien möglichst heraushalten, gleichzeitig aber den Eindruck erwecken, dass sie etwas unternehmen. Die Entführer suchen dagegen möglichst viel Öffentlichkeit, denn mit einem Fall in den Schlagzeilen lassen sich die politischen oder die Geldforderungen nach oben treiben. Da klingt es einfach gut, wenn die Entführer, wie jetzt geschehen, drohen, dass sie ihre Geiseln erschießen wenn sie mit Flugzeugen gesucht werden und das dann ausführlich berichtet wird.
Direkt in die Verhandlungen greifen die Medien dann durch ihre Spekulationen über die Höhe des geforderten Lösegeldes ein. Für die Unterhändler ein wahrer Alptraum. Denn die in den deutschen Medien kolportierten Summen, finden sich am nächsten Tag auch in der arabischen Presse wieder und können ganz schnell für die Entführer zur Verhandlungsbasis werden. Nach dem Motto: die deutschen Medien schreiben fünf Millionen, also verlangen wir sieben.
Medien sind schnelllebig, die Verhandlungslogistik bei Verschleppungen in entlegenen Gegenden ist es nicht. Das wurde deutlich im Falle der im März verschleppten Salzburger Wolfgang Ebner und Andrea Kloiber, die von einer Al-Qaida-nahen Gruppe in der tunesischen Wüste entführt worden waren. Es dauerte Tage, manchmal Wochen bis Mitteilungen der Entführer über zahlreiche Tuareg- Mittelsmänner schließlich die österreichischen Unterhändler erreichte und ebenso lang bis deren Antwort wieder zurück an die Kidnapper gelangte. Soviel Zeit haben die Medien nicht, sie ziehen zum nächsten Schauplatz. Seit sieben Monaten sind die Österreicher nun verschleppt, man hat sie medial buchstäblich in der Wüste vergessen.
Bei aktuell frischen Entführungen in fernen Ländern treibt dann vor allem die Suche des Fernsehens nach vermeintlicher Nähe zum Objekt oft bizarre Blüten. Als die Salzburger im März verschleppt worden waren, entsandte das österreichische Fernsehen einen Mitarbeiter in ein kleines Oasendorf in der tunesischen Wüste. Der schaltete per Satellitenvideotelefon, und stellte sich als Beweis seiner Ortmarke neben dem Ortschild vor die Kamera. Mehr Informationen als die Redaktion in Wien hatte er nicht und die Geiseln waren zu diesem Zeitpunkt schon tausende Kilometer weiter nach Mali verschleppt worden.
Im neusten Fall, der Entführung in Ägypten, ist die Wahl des Berichtsstandortes ebenso kompliziert. Die Entführung fand im Gilf-El-Kebir, einem der entlegensten Wüstenlandstriche der Welt statt, viele hundert Kilometer vom Niltal entfernt. Wie berichtet man also vom Ende der Welt?
Aus unerfindlichen Gründen haben sich die Fernsehstationen in der südägyptischen Stadt Assuan aufgebaut. Sozusagen beim nächsten Wasserhahn des Geschehens. Mehr Informationen als in Kairo werden sie dort nicht bekommen. Die Stadt Assuan hat nichts mit der Geschichte der Entführung zu tun. Die Reisenden waren ganz woanders, in der Oase Dakhla zu ihrer Wüstentour aufgebrochen und selbst die verantwortliche Provinzverwaltung findet sich ganz woanders. Und die meisten Informationen zur Entführung gibt der Tourismusminister und der sitzt in Kairo. Aber es sieht einfach zu gut aus, wenn der Reporter mit dem Nil im Rücken für die Zuschauer im arabischen Kaffeesatz liest.
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