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Bericht von der Frankfurter BuchmesseIst immer noch Krise?

Young-Adult-Leser:innen kaufen viele Bücher. Chinesische Stände haben ihr eigenes „Narrativ“. Und natürlich wurde auf der Messe über KI diskutiert.

Leserinnen in der Young-Adult-Halle der Frankfurter Buchmesse Foto: Imago

Ein bisschen hat es etwas von WM, von Olympia, aber auch von Expo, von der Biennale in Venedig, wie sich die unterschiedlichen Länder auf der Frankfurter Buchmesse präsentieren. Gruppiert in eigenen Pavillons oder Ecken, je nach Größe des Landes oder des Bedarfs an Imagepolitur. Italien etwa beansprucht viel Platz für sich, ist ja auch Gastland dieser 76. Messe, doch statt an den offiziellen Verlagsständen ist an anderer Stelle mehr los.

Roberto Saviano etwa, der nicht Teil der offiziellen Italien-Delegation war, spricht am Stand des Schriftstellerverbands PEN Berlin. Der seit Jahren zur organisierten Wirtschaftskriminalität recherchierende Journalist und Autor kritisiert die aktuelle rechte Regierung und betont die historisch bestehenden Verbindungen zwischen Neofaschismus und Mafia.

Meloni und ihrer Gefolgschaft passe es nicht, mit ihm ein bekanntes Gesicht gegen sich zu haben, sagt Saviano und ergänzt, dass er zumindest im Fernsehen keine Kritik mehr üben kann, seitdem die öffentlich-rechtliche RAI immer mehr der Kontrolle der Regierung unterworfen sei.

Man kann Saviano kaum sehen, so viele Zu­schaue­r:in­nen sind zu seinem Auftritt gekommen, hören allerdings auch schlecht. Direkt gegenüber dem Stand des PEN Berlin gibt eine meditative Stimme in Dauerschleife Tipps zum „Achtsam morden“. Der Stand bewirbt die gleichnamige sehr erfolgreiche Krimireihe von Karsten Dusse.

Auf dem blütenweißen Teppich, hinter dem Pulk an Saviano-Fans, sitzt eine aufgelöste junge Krimistandmitarbeiterin. Mit zwei Verantwortlichen des PEN Berlin hatte es Krach gegeben, die darauf drängten, für die Dauer des Auftritts Savia­nos den Ton abzustellen. Die junge Frau wird von ihren Kolleginnen getröstet, dann filmen sie ein Video für Social Media.

Stimmen gegen rechte Propaganda

Ob man die sogenannten sozialen Medien als Heilsbringer oder Fluch ansieht, unterscheidet sich auf der Messe je nach Halle und Standpunkt. Yuval Noah Harari, der zuletzt eine kurze Geschichte, nein, nicht der Menschheit, sondern der Informationsnetzwerke geschrieben hat, warnt vor dem unregulierten Gebrauch von künstlicher Intelligenz. Mit KI befinden wir uns in einer ähnlichen Situation wie eingangs der industriellen Revolution, sagt der israelische Historiker am Stand der FAZ.

KI, Social Media, das Internet; auch in Halle 1.2, in der seit diesem Jahr sogenannte Young-Adult-Verlage ihre Bücher ausstellen, wird darüber diskutiert. Ein Panel kreist etwa um Tiktok und wie man die Plattform von unten demokratisch reformieren könne. Während Deborah Schnabel, Direktorin der Bildungsstätte Anne Frank, noch die Wichtigkeit von Gesetzen betont, die Hass, Hetze und Propaganda auf der Plattform eindämmen könnten, setzt Pegah Tajalli, Redaktionsleiterin des Tiktok-Formats „Die Parallelklasse“, auf Gegennarrative.

Die rechten Inhalte seien schlichtweg da, es fehle an Stimmen, die aufklären. Sie legt die sozialen Dynamiken bei Tiktok dar, man brauche, sagt sie, eine Riege an Unterstützer:innen, wenn der rechte Mob loslege. „Die verabreden sich auf ihren Discord-Channeln“, sagt Tajalli, und überspülten gezielt Livestreams mit rechtem Hass. Die Regularien, Hate Speech zu sperren, wären dabei bereits da. Bestimmte Key Words, etwa LGBTIQ*-Themen betreffend, seien „gebanned“. Viele der auf TikTok hochgeladenen Videos, sagt ­Tajalli, würden aufgrund von Zensur niemals ausgespielt, also „geshadowbanned“. Die genaue Zahl an Videos, die das betrifft, sei aufgrund der intransparenten Politik TikToks nicht bekannt.

Die Zu­schaue­r:in­nen vor der Young-Adult-Bühne sind deutlich älter als die meisten Be­su­che­r:in­nen in der Halle. Während an den nur für Fachpublikum geöffneten Tagen hier nur wenig Betrieb ist, sind die Gänge ab Freitagnachmittag voll mit jungen Erwachsenen auf der Jagd nach neuen Fantasy- und Romance-Geschichten. Verlage bewerben mit serifenreichen, eigentlich unmöglichen Schriftarten ihre Bücher. Hier wird viel selbst gemacht, Workshops zeigen den Weg zum perfekten Cover, auch scheint vieles aus der FanFiction zu entwachsen.

Am Stand von „MyOwn“ erzählen die Verleger:innen, das ihr Verlag jüngst noch ein bloßes Blogprojekt gewesen sei. Jugendliche und junge Erwachsene stellen sich in langen Schlangen an, um ein Selfie mit ihrer Lieblings-Fantasy-Autorin zu machen. Es ist kurios: Innerhalb des traditionellen Literaturbetriebs sind ihre Namen gänzlich unbekannt.

Irgendwie signiert Jürgen Trittin

Doch Selfies und Signierstunden gibt es auch in den Hallen der Old Adults. Irgendwo schreibt gerade Jürgen Trittin seinen Namen in ein Buch. Lange Schlangen gibt es hier allerdings nicht, Trittins Fans sind vornehmlich Frauen, deren politisches Bewusstsein in der Zeit der Erfindung des Dosenpfands erwachte, und der Grünen-Politiker rauscht schnell weiter zum nächsten Termin.

Ist die Buchwelt in der Krise? Man hört es auf dieser Messe überall, und wohl irgendwie schon immer. Das zweite jemals gedruckte Buch soll von der Krise der Verlage handeln, und Gustave Le Bon hatte den angeblichen Tod der Literaturkritik 1895 schon wieder verwunden. Bei der Vorstellung der diesjährigen Hotlist, einem Preis für unabhängige Verlage, ist man jedenfalls schlecht gelaunt. Er gönne es natürlich der Buchpreisträgerin Martina Hefter, sagt Moderator und Autor Axel von Ernst, aber dass der Preis nun mit Klett-Cotta an einen großen Verlag geht, nachdem Hefter jahrelang bei unabhängigen Verlagen ihre Bücher veröffentlichte, gefällt ihm sichtlich nicht.

Die einen jubeln, die anderen strampeln. So leer wie dieses Jahr war es wirklich noch nie, raunt es in den Gängen. Doch lassen sich in Frankfurt ohnehin ganz verschiedene Messen verleben. Auf Partys stehen alte Verlagshasen neben Jungverlegern ohne Einladung, exilierte Schrift­stel­le­r:in­nen neben enttäuschten Shortlist-Kandidaten. Und das ist bloß die deutsche Buchlandschaft – wo feiern eigentlich die asiatischen Verleger:innen? Welches Restaurant besuchen die arabischen Buchhändler?

Am Stand langweilt sich ein Scheich

Die Hallen der internationalen Aussteller sind eine eigene Welt für sich. Am Stand Saudi-Arabiens langweilt sich ein Scheich, vor ihm steht eine unangetastete Schale getrockneter Früchte. In einem Stand eines US-amerikanischen Kinderbuchverlags machen Männer im Anzug böse Miene zu den bunten Buchcovern um sie herum. In der Abteilung Südkorea rollt man heimlich mit den Augen. Nein, der Verlag der Nobelpreisträgerin Han Kang ist nicht auf der Messe vertreten. Ja, wir versprechen uns einen Boost für die südkoreanische Literatur.

Taiwan ist nicht bei den anderen ostasiatischen Verlagen eingeordnet, sein Stand ist in einer anderen Halle, möglichst weit weg von China. Hongkong hatte nicht so viel Glück. Links und rechts gerahmt von der Volksrepublik, blinkt die einst autonome Sonderverwaltungszone nun im Takt des Übervaters. „Hongkong – Our Narrative“ steht groß darüber geschrieben. Was hier genau Verlag, was Agentur, was staatlich und was privat ist, ist dabei nicht klar zu erkennen.

Der deutsche Buchmarkt verzeichnete zuletzt wieder einen Zuwachs, wenn auch nur um 2,8 Prozent

„Wir werden natürlich unterstützt vom Außenministerium“, sagt fröhlich eine Mitarbeiterin der China International Book Trading Corporation. Werden denn in Zeiten des Internets noch so viele Deals auf der Messe abgeschlossen, die das riesige Aufgebot Chinas rechtfertigen? Die Mitarbeiterin nickt. Frankfurt sei eine besondere Gelegenheit, Menschen von überallher zu treffen, sagt sie. Tatsächlich hat der chinesische Buchmarkt seit der Coronapandemie einen Verkaufseinbruch erlebt. Davon hat er sich auch 2024 noch nicht wieder erholt.

Verlage, die Federherz heißen

Und der deutsche Buchmarkt? Der verzeichnete zuletzt wieder einen Zuwachs, wenn auch nur um 2,8 Prozent. Zugenommen hat insbesondere die Zahl der jungen Käu­fe­r:in­nen unter 19 Jahren sowie der Gewinn aus dem Segment Young- und New-Adult.

Vielleicht trauen sich in den nächsten Jahren also mehr Fach­be­su­che­r:in­nen in die Halle 1.2, zu den Verlagen mit klingenden Namen wie Federherz und Schicksalsweber, wo man zu jedem Kauf „eine Drachentüte“ geschenkt bekommt.

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3 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Sind männliche Leser als Publikum der pastellfarbenen Glimmerbuchrücken auch mitgedacht? De facto ist es ja Young Female , also wie früher halt, gehobene Groschenromane, gepimpt auf aktuelles psycholgisierungsformat. Also lesen junge Frauen den Emo-Schund, und die Jungmänner kloppen sich in Games und Hardboiled Crime? Schwarze Cover dann?

    • @Sansserif:

      Also zumindest „True Crime“-Podcasts mit all ihren grausigen Schilderungen leben auch vor allem von den Zuhörerinnen. Wie es bei „ganz normalen“ Brutalokrimiromanen aussieht, weiß ich ehrlich gesagt auch nicht. Aber rein persönlich (m, um die 40) habe ich die Faszination für Krimis ob in Buch, Ton oder Film eh noch nie nachvollziehen können.

  • Ich kann das Gefasel über KI nicht mehr hören. Es ist eine Blase, der große Durchbruch ist nicht da und der wird auch noch auf sich warten lassen, falls er denn überhaupt jemals kommt.

    Was ich überhaupt nicht packe ist die Tatsache, dass sich Technologiekonzerne, Medienhäuser, Regierungen und scheinbar auch Verleger so einfach ins Bockshorn jagen lassen. Überall muss jetzt KI drin sein, überall muss über KI gesprochen werden und das obwohl jedem praktischen Anwender von LLMs die Limitierungen der Technologie, die schrillen Anwendungsfälle und vielfach die schlichte Nutzlosigkeit gegenwärtiger Implementierungen förmlich ins Gesicht springt.