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Bericht der EU-KommissionDie Rechtsstaats-Sünder der EU

Brüssel veröffentlicht erstmals Bericht zur Lage der Rechtsstaatlichkeit in allen 27 EU-Staaten. Demnach gibt es in mehreren Ländern Probleme.

Für die Grundwerte zuständig: EU-Kommissarin Vera Jourova Foto: Stephanie Lecocq/ap

Brüssel taz | Ungarn und Polen sind nicht die einzigen „Sünder“, wenn es um den Rechtsstaat in der EU geht. Auch andere Länder wie Bulgarien, Rumänien, Kroatien und die Slowakei tun sich schwer mit der Unabhängigkeit der Justiz und der Medien. Dies geht aus dem ersten Bericht zur Lage der Rechtsstaatlichkeit in allen 27 Mitgliedstaaten hervor, den die EU-Kommission am Mittwoch in Brüssel vorstellte.

Der Bericht stellt den Auftakt zu einer jährlichen Prüfung dar – in Brüssel spricht man schon von einem „Rechtsstaats-TÜV“. Allerdings wird keinem EU-Land die „Zulassung“ entzogen. Vielmehr gehe es darum, den Streit um Verstöße zu versachlichen und einen „Dialog“ zu führen, sagte Justizkommissar Didier Reynders. Ungarn hatte kritisiert, dass Brüssel nur osteuropäische Länder an den Pranger stelle, Probleme im Westen aber übergehe.

Premier Viktor Orbán fordert neuerdings sogar den Rücktritt der für die Grundwerte zuständigen EU-Kommissarin Vera Jourova, weil diese Ungarn in einem Interview beleidigt habe. Jourova nutzte die Gelegenheit, die Vorwürfe zurückzuweisen: „Ich habe niemals das ungarische Volk beleidigt.“ Gleichzeitig bekräftigte sie ihre Kritik an Orbáns Politik.

So verweist der Rechtsstaats-Bericht auf „systemische“, also dauerhafte und tief verankerte Probleme mit der ungarischen Justiz und auf Bedenken wegen der Übernahme unabhängiger Medien durch regierungsnahe Unternehmen. In einigen EU-Staaten seien Journalisten zudem „Drohungen“ und Angriffen ausgesetzt, heißt es weiter. Neben Ungarn nennt die Kommission auch Bulgarien, Kroatien, Slowenien und Spanien.

Der Bericht enthält auch viele blinde Flecken. Etwa zu Polizeiübergriffen in Frankreich

Weitgehend ungeschoren kommt Deutschland davon. Die Kommission erwähnt zwar die Debatte über politische Weisungen der Landesjustizminister an Staatsanwälte. Kritik äußert sie aber keine. Deutschland wird mehrfach gelobt, etwa für die geplante bessere Ausstattung der Justiz oder öffentliche Debatten über den Rechtsstaat und Polizeiübergriffe.

Der Prüfbericht enthält aber auch viele blinde Flecken. So werden die umstrittenen Eingriffe der spanischen Zentralregierung in die nach Autonomie strebende Region Katalonien gar nicht erst erwähnt. Auch Polizeiübergriffe in Frankreich bei den Gelbwesten-Protesten werden ausgeblendet. Selbst die nationalen Ausnahmeregeln zur Bekämpfung der Coronapandemie kommen nicht vor – dabei werfen sie zahlreiche rechtliche Probleme auf.

Unklar bleibt auch, wie Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit abgestellt werden sollen. Viele Mängel sind seit Jahren bekannt, wurden jedoch nicht behoben. Dies gilt etwa auch für Bulgarien und Rumänien, die wegen der dort grassierenden Korruption einer besonderen Überwachung durch Brüssel unterliegen. Doch selbst das hat nicht viel gebracht.

Die EU-Kommission gibt sich dennoch optimistisch. Sie will nicht nur die bisherigen weitgehend wirkungslosen Verfahren gegen die „Sünder“ fortsetzen. Vielmehr setzt sie auch auf finanzielle Sanktionen, die möglicherweise bald eingeführt werden könnten. Am Mittwoch ­billigten die EU-Länder gegen die Stimmen Ungarns und Polens einen Entwurf des deutschen Ratsvorsitzes, der die Kürzung von EU-Finanzhilfen bei Rechtsstaatsverstößen möglich macht.

Der Entwurf war im Vergleich zur Vorlage der EU-Kommission verwässert worden. Im Europaparlament stößt er deshalb auf scharfe Kritik. Jourova zeigte sich dennoch zufrieden. „Ich bin sehr froh, dass der Rechtsstaatsmechanismus diskutiert wird“, sagte sie. Dies werde Brüssel beim Kampf gegen autoritäre Regierungen helfen.

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