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Bergsteigerdorf ObertilliachVon James Bond geadelt

Das Dorf im österreichischen Lesachtal zeigt, dass Wintersport auch ohne Investoren geht. Und es erweist sich als gute Kulisse fürs 007-Abenteuer.

Die knallrote Gondelbahn in Obertilliach. Foto: Osttirol Werbung

Keine Haubenküche, keine Designer-Herbergen, keine spektakulären Thermenlandschaften und nur ganze zwanzig Pistenkilometer: Wie kann ein Ort unter solchen Bedingungen im Gerangel der österreichischen Wintersporthotspots überleben? Noch dazu, wenn er weitab von Autobahnen und Flughäfen liegt und nur auf stundenlanger, kurvenreicher Fahrt zu erreichen ist?

Die Antwort gibt Obertilliach. Ein denkmalgeschütztes, etwa 750 Jahre altes Haufendorf auf 1.450 Meter Höhe im Osttiroler Lesachtal. 700 Einwohner, rund 900 Gästebetten, von denen nicht alle winterfest sind, eine Schule, ein Arzt, ein Friseur, ein paar Handwerksbetriebe, zwei Supermärkte, ein Bäcker und ein Bildhauer.

Nachts dreht hier Helmut Egartner als einer der letzten Nachtwächter Österreichs seine Runden, sonntags liest in der meist gut gefüllten, barocken Hallenkirche Pfarrer Vicent Ohindo aus dem Kongo die Messe. Neben dem Tourismus lebt das Dorf von der Land- und Forstwirtschaft. Gleich neben den Gasthöfen dampft der eine oder andere Misthaufen, aus den Ställen ertönt das Geläut von Kuhglocken.

„Unser Vorteil ist das vermeintlich Versäumte“, beschreibt Sepp Lugger vom Gasthof Unterwöger das, was den Ort von anderen in Tirol unterscheidet. „Denn heute suchen ja immer mehr Menschen nach Ruhe und unverbauter Landschaft abseits der großen Touristenzentren, die Voraussetzung für Entschleunigung sind.“

Nicht zufällig ist Obertilliach Mitglied im Netzwerk der Bergsteigerdörfer, einer Initiative des Österreichischen Alpenvereins und des Landwirtschaftsministeriums, die sich zu einer nachhaltigen Entwicklung des Alpenraums bekennt und dabei die gewachsenen Strukturen erhalten will. Immerhin gibt es beim Dorf ein Biathlon-Zentrum, in dem die Nationalmannschaften aus Finnland, Polen, Italien und anderen Ländern trainieren – mit etwas Glück kann man dem mehrfachen Biathlon-Weltmeister Ole Einar Björndalen begegnen.

Ein Langlauf-Dorado

Außerdem gilt die Gegend, die ein wahres Schneeloch ist, als Langlauf-Dorado. Besonders attraktiv ist die sechzig Kilometer lange Grenzlandloipe, die sich unterhalb von Obertilliach am Kamm der Karnischen Alpen entlangzieht. Wer will, kann auch auf der „Transdolomiti“ ins Nachbarland Italien hinübergleiten. Schließlich lockt der Ort im Winter noch mit einem kleinen Skigebiet, das vor allem Familien mit Kindern anspricht.

Neueste Errungenschaft ist die Kabinenbahn, die die Skifahrer in weniger als zehn Minuten zur Conny Alm am 2.317 Meter hohen Golzentipp bringt. Zehn Personen fasst jede Kabine. Im Sommer können Mountainbiker ihre Fahrräder mitnehmen und es gibt Platz für die italienische Großfamilie mit Oma, Opa, Hund und Picknickkorb.

„Unser Vorteil ist das vermeintlich Versäumte. Immer mehr Leute suchen nach Ruhe und unverbauter Landschaft“

Sepp Lugger, Gastwirt

Die Kabinenbahn ersetzt den früheren Sessellift, der für die AuffEin Langlauf-Doradoahrt so lange brauchte, dass man unterwegs fast erfror. „Nostalgie hin oder her, ohne einen neuen Lift wären die Besucher langfristig weggeblieben und Obertilliach in seinem Bestand gefährdet“, erklärt Bürgermeister Matthias Scherer. „Denn dann würden die jungen Leute abwandern.“ Er erinnert sich noch gut an den Kraftakt, den die Kabinenbahn bedeutete. Sie erforderte viel Überzeugungsarbeit. Und den Einsatz des ganzen Dorfes.

Denn für Ischgl oder Lech mag eine Investition von 6,5 Millionen Euro Peanuts sein. Für Obertilliach ist sie es nicht. Zwar bekam der Ort Zuschüsse. 1,5 Millionen vom Tourismusverband Osttirol, eine Million vom Land Tirol, von der Gemeinde 600.000, von der Felbertaler Tauernstraße, die vom Tourismus profitiert, 1,5 Millionen. Aber alle diese Gelder flossen erst, nachdem der Ort selber eine Million aufbrachte. Und zwar aus den Privatschatullen der Einwohner.

Der Zusammenhalt im Dorf ist gut

Sepp Lugger, Besitzer des Gasthofs Unterwöger, Geschäftsführer der Obertilliacher Bergbahnen und eine der treibenden Kräfte der Kabinenbahn, zog von Haus zu Haus und redete gebetsmühlenartig auf seine Nachbarn ein, um Mitstreiter zu gewinnen. Zunächst sollten die zwanzig größten Betriebe mit gutem Beispiel vorangehen. „Wenn wir nicht ein Zeichen setzen, wie sollen wir die kleineren Betriebe überzeugen?“, fragte er sie.

Siebzehn seien dann sofort bereit gewesen, mitzumachen. Die anderen zogen ein paar Tage später nach. Nachdem sich weitere Geldgeber gefunden hatten, rundete Lugger selbst schließlich die Summe auf die magische „Tilliacher Million“ auf, die die öffentlichen Zuschüsse auslöste.

„Wenn ein Investor von außen kommt, dann diktiert erseine Bedingungen“

Sepp Lugger, Skilehrer

„Dergleichen hat es auch schon früher gegeben. Der Zusammenhalt im Dorf ist immer gut gewesen“, erzählt Lugger. „Aber wir hatten ja auch gar keine andere Wahl.“ Oder doch? Die Alternative wäre gewesen, dass ein Großinvestor einspringt. Wie in Kals am Großglockner, einem anderen Bergdorf in Osttirol. Als dort die Liftanlagen vor der Pleite standen, übernahm sie die Schultz-Gruppe, Österreichs größter privater Betreiber von Bergbahnen.

Die Liftkaiser, wie sie auch genannt werden, haben sich ein Skigebiet nach dem anderen einverleibt – im Hochzillertal, am Mölltaler Gletscher, in Sankt Jakob im Deferenggental, in Silian und eben in Kals, das anschließend zur Skischaukel Kals-Matrei ausgebaut wurde. Damit die Investitionen sich rechnen, baut die Gruppe zu den Liftanlagen auch „Skihütten der Superlative“, wie es in den „Schultz News“ heißt, Sporthotels oder einen Golfplatz dazu.

Gegenbeispiel: Die Schultz-Gruppe

„Zu meinen, es ginge nur mit sanftem Tourismus, ist ein Irrglaube“, ist Martha Schultz überzeugt. In Kals ließ ihr Unternehmen deshalb 2012 ein Châlet-Dorf mit 450 Betten errichten. Auch wenn das Gradonna Mountain Resort aus Naturbaustoffen der Region besteht, auf Nachhaltigkeit setzt und mit dem Green Luxury Award ausgezeichnet wurde – der elf Stockwerke hohe schwarze Suitenturm, der sich zu den nüchternen Châlet-Kuben gesellt, passt so gar nicht zu der Dorfidylle und ist manchem ein Dorn im Auge.

Auch aus Umweltschutzgründen wurde das Resort nicht ohne Weiteres genehmigt. Doch für den Fall, dass es nicht gebaut werden durfte, soll die Schultz-Gruppe damit gedroht haben, die Lifte nach ihrem Gutdünken zu betreiben, vielleicht auch ganz abzuschalten.

Info Obertilliach

Bergsteigerdörfer: Obertilliach im Hochpustertal ist eins von 20 österreichischen Bergsteigerdörfern, die sich 2007 auf Initiative des Alpenvereins gegründet haben. Sie setzen auf einen sanften, nachhaltigen Tourismus, bei dem die Traditionen und der alpine Charakter der Orte erhalten bleiben. Im Winter stehen statt klassischem Skilauf Langlauf, Schneeschuhwandern, Skitouren oder Eisklettern im Vordergrund. www.bergsteigerdoerfer.at.

Attraktion: Das Biathlonzentrum ist an das 60 Kilometer lange Loipennetz angeschlossen.

Beim Dorfwirt: Gut unterkommen und essen kann man im denkmalgeschützten, über 300 Jahre alten Dorfwirtshaus Unterwöger, Dorf 26, Tel. +43 48 47 52 21, www.hotel-unterwoeger.at, DZ mit Frühstück ab 70 Euro. Außerdem bieten sich zahlreiche Bauernhöfe und Ferienwohnungen an, Übernachtung ab 18 Euro: Tel. +43 50 21 23 60, www.obertilliach.at sowie unter www.osttirol.at

Diese Reise wurde finanziert von Osttirol Tourismus

„Wenn ein Investor von außen kommt, dann diktiert er seine Bedingungen. Dann bist du erpressbar“, meint ein anderer der insgesamt zehn Sepp Lugger in Obertilliach, der als Skilehrer arbeitet. Deshalb sei es für sein Dorf auch so wichtig, dass die Lifte in der Hand der Einwohner bleiben. Ansonsten könnten die Liftbetreiber willkürlich die Preise erhöhen und weniger zahlungskräftige Gäste, die in Pensionen oder bei Privatvermietern unterkommen, vertreiben.

Ob das auch die Erklärung dafür ist, dass die Übernachtungszahlen in Kals trotz der zusätzlichen 450 Betten nicht nennenswert angestiegen sind? Dabei wird von der Schultz-Gruppe ordentlich Marketing gemacht. Ein Bergschreiber geholt, bei der österreichischen Modefotografin Inge Prader ein aufwändiges Gradonna-Fotobuch bestellt, auch das Drehbuch zu einem Gradonna-Film ist bereits in Arbeit. Es hätte nur gefehlt, dass hier auch noch Szenen des neuen „James Bond“ gedreht werden.

Auf den Spuren von Daniel Craig

Aber diesen Coup landete ausgerechnet das unscheinbare Obertilliach. Hier – neben Sölden und Altaussee -– wurden die Locationscouts vom Filmhaus Wien fündig, als sie nach passenden Bergkulissen für rasante Action-Szenen suchten. Und wieder war das ganze Dorf bereit mitzumachen, als die Crew im letzten Winter anreiste, um hier an 21 Tagen zu drehen. „Das brachte massive Einschränkungen mit sich, zumal ja gerade Hauptsaison war“, erinnert sich Bürgermeister Scherer.

Der ganze Ort wurde abgesperrt, überall standen Security-Leute herum. Die Einwohner – falls sie nicht als Komparsen gebraucht wurden – durften sich nicht blicken lassen und mussten sogar unterschreiben, dass sie nicht mal zum Fenster hinausschauen, damit der Plot geheim bleibt. Dafür haben die Engländer nicht nur gut für die Dienstleistungen gezahlt. Sie haben hier auch gefeiert, Obertilliach liebgewonnen und versprochen, wiederzukommen.

Vielleicht kommt auch der eine oder andere Bond-Fan hierher, um auf den Spuren von Daniel Craig zu wandeln. Zwischen den alten Bauernhäusern steht zum Beispiel noch das „Bond-Stadl“, durch das im Film ein Kleinflugzeug mit abgebrochenem Flügel rast. Zum Teil aus Pappmaché, zum Teil aus einem alten steirischen Haus zusammengesetzt, weiß momentan keiner so recht, was aus ihm werden soll.

Findige Investoren würden es wahrscheinlich für ein aggressives Bond-Merchandising nutzen. Doch in Obertilliach ist dergleichen nicht zu befürchten. „Ich sehe unseren Ort vor einer großen Zukunft“, meint Sepp Lugger. „Aber nur, wenn wir das richtige Maß einhalten.“ Dazu müsste man dem Ort auch hin und wieder eine Art Gehirnwäsche verpassen.

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