Benno Schirrmeister über gelebte Intoleranz: Gegen das Interesse des Staates
Paris sei eine Messe wert, soll Heinrich der IV gesagt haben, bevor er konvertierte. Das war eine echte Zumutung, ein großer Sprung. Aber es ging auch darum, durchs Glaubensbekenntnis den Königsthron zu erkaufen, nicht einen Putzjob. Bremens Evangelische Kirche ist da deutlich anspruchsvoller. Selbst, wer bei ihr nur Kartoffeln schälen oder Türen ölen will, muss, anders als beispielsweise in Bayern, gläubig sein und das durch Mitgliedschaft in einer Christenkirche beweisen.
Klar, menschlich mag das schäbig sein, andere wegen ihres Glaubens auszuschließen. Es ist aber ein strategisch nachvollziehbares Verfahren der Kirche: Wenn niemand sich für Glauben interessiert und folgerichtig die Kirchensteuereinnahmen wegbrechen, ist es sinnvoll, die eigene Marktmacht zu nutzen und Zwänge und Anreize für die Mitgliedschaft zu entwickeln: Ein Jobangebot ist viel wert in Städten mit hoher Arbeitslosigkeit.
Ebenso scheint ökonomisch klug, auf Indoktrination dort zu setzen, wo am wenigsten Gegenwehr zu erwarten ist: Je kleiner die Kinder, desto empfänglicher sind sie fürs Mentalbad mit angenehmen Gläubigen, spannenden Bibelgeschichten und nettem Sakropop. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn sich so nicht neue Kirchensteuerzahler*innen rekrutieren ließen.
Im staatlichen Interesse kann das nicht liegen: Dass religiöse Erziehung abwertendes Verhalten gegenüber Andersdenkenden fördert, belegen nicht nur internationale Studien, wie die von Jean Decety an der Universität von Chicago 2015. Auch die von der Bertelsmann-Stiftung initiierte kleinräumliche Untersuchung zum sozialen Zusammenhalt in Bremen ist 2016 zu dem Schluss gekommen, dass Religiosität „hinderlich für die Akzeptanz von Diversität“ sei, die doch Menschen glücklich macht.
Die Ausschreibungspraxis der Bremer Evangelischen Kirche mag deshalb bestenfalls als Mahnung ans Land dienen, mehr Distanz zu halten zu solchen Körperschaften, die vielleicht Liebe predigen – aber Intoleranz leben.
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