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Bekämpfung der AltersarmutSozialämter überlastet

Rent­ne­r*in­nen warten oft monatelang auf ihre Grundsicherung. Die Mit­ar­bei­te­r*in­nen der Sozialämter schieben in allen Bezirken Überstunden.

Altersarmut: Ein Rentner hält sein leeres Portemonnaie in der Hand Foto: Alicia Windzio

Berlin taz | Übervolle Wartesäle und Terminknappheit in den Sozialämtern werden wohl auch zukünftig die Regel und nicht die Ausnahme sein. Rentner*innen, die sich in akuten finanziellen Nöten befinden und deshalb einen Antrag auf Grundsicherung im Alter stellen, warten oft mehrere Monate auf die Bearbeitung. Der Grund: Die Sozialämter sind seit Jahren völlig überlastet.

Eigentlich sollte sich ein*e Mit­ar­bei­te­r*in höchstens mit 188 An­trag­stel­le­r*in­nen befassen. Doch im Schnitt kümmert sich jeder Beschäftigte um 278 Applikanten. In Tempelhof-Schöneberg sind es 350, in Mitte sogar 395. Am niedrigsten liegt die Bearbeitungsquote in Marzahn-Hellersdorf bei 200 Anträgen pro Person. Dies verzögert die Bearbeitungszeit der Anträge enorm. Das geht aus einer parlamentarischen Anfrage des Grünen-Abgeordneten Taylan Kurt hervor, die der taz vorliegt.

„Die Zustände in den Sozialämtern sind absolut katastrophal“, sagt Kurt. Der Senat lasse die Bezirke allein. Angesichts der wachsenden Altersarmut sei das „absolut unverantwortlich“, fügt der Grünen-Sprecher für Sozialpolitik und Armutsbekämpfung hinzu.

„Bundesweit ist jeder fünfte von Altersarmut betroffen“, sagt Joachim Rock vom Paritätischen Gesamtverband. Besonders Frauen seien davon bedroht. Denn gerade sie übernähmen schlecht bezahlte Jobs und bewältigten die unbezahlte Kinderbetreuung.

„Die Renten steigen langsam, die Mieten steigen schnell“, sagt Rock. Deshalb brauchten immer mehr Menschen die Grundsicherung im Alter. „Die langen Wartezeiten sind dabei für ältere Menschen fatal“, konstatiert der Geschäftsführer des Paritätischen.

Dabei machen die Angestellten auf allen Sozialämtern schon regelmäßige Überstunden. Im Sozialamt Reinickendorf beispielsweise kamen auf einen Mitarbeitenden durchschnittlich 56 Überstunden, in der Abteilung „Materielle Hilfen“ waren es sogar 111. Auch in Friedrichshain-Kreuzberg gab es in dieser Abteilung 101 Stunden Mehrarbeit pro Mitarbeitendem.

Ein Grund dafür ist die chronische Unterbesetzung der Ämter. Dies liegt unter anderem am kontinuierlichen Anstieg der Anträge. Viele Sozialämter berichten von hohem Krankheitsstand und Fehlzeiten der Beschäftigten. Das Sozialamt Tempelhof-Schöneberg begründet dies mit der „Überlastung der Bereiche“.

Zuletzt wandten sich die Sozialstadträte der zwölf Bezirke Ende Januar mit einem Brandbrief an Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD). Daraufhin ist aber nur wenig passiert. Bis Ende 2025 wollen Stadt und Bezirke eine Zielvereinbarung zur „Steuerung der Personalsituation“ und der „Transferkosten in Schlüsselbereichen materieller Hilfen“ erstellen. Diese soll dann bis 2027 gelten.

Die Senatsverwaltung für Soziales nehme in Kauf, dass Rent­ne­r*in­nen in Not auf sich allein gestellt seien, so Taylan Kurt. Durch fehlende Mit­ar­bei­te­r*in­nen und steigende Antragszahlen bliebe schnelle Hilfe aus. „Wir laufen auf neoliberale Verhältnisse beim Sozialstaat in Berlin zu – und damit in die Katastrophe“, sagt Kurt.

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