■ Bei der FDP geht die Angst um. Auf dem traditionellen Dreikönigstreffen redete sich die Parteispitze Mut zu für das Wahljahr 1998.: Auf der Suche nach dem richtigen Stern
Bei der FDP geht die Angst um. Auf dem traditionellen Dreikönigstreffen redete sich die Parteispitze Mut zu für das Wahljahr 1998.
Auf der Suche nach dem richtigen Stern
Mercedes hat seinen Stern, Milka seine Kuh, und die FDP hat ein Totenglöckchen als Symbol. Als der Landesvorsitzende der baden-württembergischen FDP, Walter Döring, gestern beim Dreikönigstreffen der Liberalen in Stuttgart sein obligatorisches Sprüchlein brachte: „Immer dann, wenn das Totenglöcklein für die FDP ganz besonders laut geläutet wurde, war die Auferstehung der Liberalen jedesmal um so strahlender“, läutete jemand im Publikum demonstrativ mit dem Glöckchen.
Manchmal sind es Kleinigkeiten, die Bedeutendes verraten. Bei der Begrüßung der Anwesenden vergaß Dörings Stellvertreter Helmut Hausmann ausgerechnet den Vorsitzenden der FDP-Bundestagsfraktion, Hermann Otto Solms. Als er die Kritikerin der Parteiführung, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, begrüßte, mischte sich begeistertes Johlen ins Klatschen. Und war es wirklich nur Zufall, daß am Vortag beim Landesparteitag der baden-württembergischen FDP das „Z“ aus dem Wort „Zukunft“ polternd aus der blau-gelben Kulisse fiel? „Die Parteiführung befindet sich in einem schwierigen Fahrwasser“, hatte am Montag auf dem Stuttgarter Landesparteitag der vor zwei Jahren als Parteichef abgesägte Klaus Kinkel kleinmütig eingestanden. Über den jetzigen Parteichef Wolfgang Gerhardt hatte der Außenminister nichts Besseres zu sagen, als daß er sich „riesige Mühe gibt“ und man ihm „beistehen“ müsse. Und Solms, der die rechtzeitige Beantragung der Wahlkampfkostenerstattung in Höhe von 12,5 Millionen Mark vermasselt hat, nahm Kinkel mit den Worten in Schutz: „Es handelte sich doch nur um einen Formfehler. Wer wirft den ersten Stein?“
Wie ein wilder Bub war Kinkel, der nicht auf der Rednerliste stand, ans Pult gestürmt und hatte mit ungewohnter Leidenschaft das „Übereinanderhergeziehe, die Häme, den Quatsch, den Blödsinn“ aus der Welt reden wollen. „Die Leute wollen keine Streitereien, die wollen keine ständige Kritik, die wollen das Positive hören“, lautete seine Botschaft auf dem Landesparteitag. Als er zu seinem Platz zurückging, ließ er ein kräftiges „So“ vernehmen.
„Nicht das Lebensgefühl der Menschen getroffen“
Aber so recht hören wollten es die Delegierten nicht. Erst am nächsten Tag im ehrwürdigen Stuttgarter Staatstheater erntete Kinkel für ähnliche Worte uneingeschränkten Beifall. Als dort das erste Mal das Wort „Geschlossenheit“ fiel, brandete Jubel auf. Die baden- württembergischen Delegierten dagegen muckten auf. „Wir sind keine Maulkorbpartei“, sagte einer öffentlich, und ein anderer mokierte sich über die verordnete „Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung“. „Hunde, die bellen, sind getroffen“, stellte er fest. Und damit war nicht zuletzt der Landesvorsitzende Walter Döring gemeint, der die Parteischelte von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger als „Geseiere“ und „Mist“ abgetan hatte.
Ein Weißhaariger mit Halstuch sagte dazu am Rednerpult: „Sympathisch ist mir eine Ministerin, die für ihre Überzeugungen zurücktritt und dabei Tränen vergießt. Unsympathisch war mir, als Walter Döring von Geseiere sprach.“ Überhaupt habe die FDP ein Sympathiedefizit. Sie müsse sympathisch werden, liebenswürdiger, glaubwürdig, vertrauenswürdig. Beifall erhielt er nicht. Vielleicht hätte Generalsekretär Westerwelle geklatscht, wenn er schon da gewesen wäre. Kurz vor Weihnachten gestand er ein: „Wir haben einen Gesellschaftsentwurf, aber noch nicht das Lebensgefühl der Menschen getroffen.“
Beim Dreikönigstreffen zog er dann über die „Gutmenschen“ her, die für das Verteilen der sozialen Wohltaten zuständig sind, pries die „liberale Sozialpolitik“, die „die Schwachen vor den Faulen“ schützt, und sagte über die zum Hauptgegner erkorenen Bündnisgrünen: „Der ideale Lebenslauf der Grünen lautet: Nach dem Soziologiestudium mit 20 Semestern wird man Fahrradbeauftragter bei der Stadt Freiburg.“
An der Basis beim Landesparteitag jedoch war immer wieder der Name Schnarrenberger genannt worden als Symbol für eine Verbreiterung der Themen, für eine sympathischere FDP, für eine, die die Bürgerrechte nicht unter den Teppich kehrt. „Wo bleiben die Bürgerrechte?“ fragte ein Redner. „Sagen Sie was zum Umweltschutz“, forderte jemand. Der nächste wollte die Innere Sicherheit auf die Tagesordnung setzen. Wieder ein anderer kritisierte, die FDP müsse zur Bildung endlich „was Konkretes“ sagen: „Was heißt das, Lehrpläne entrümpeln?“ Vor allem Parteichef Gerhardt muß sich dabei an die Nase fassen. Schon vor einem Jahr hatte er eine Bildungsoffensive angekündigt. Nun mußte er sich von Walter Döring sagen lassen: „Ich kann nicht verstehen, wie wir uns dieses wichtige Thema aus der Hand nehmen lassen konnten.“
Von einer Besserung war am nächsten Tag beim Dreikönigstreffen nichts zu spüren. Statt konkret zu werden, wetterte Gerhardt gegen „verkalkte Strukturen“, „reine Umverteilungsapparate“, „Vollkaskostaat“ und forderte mehr Eigenverantwortung – sprich: mehr Freiheit. Am Image der FDP als Partei der Besserverdienenden werden solche Töne nichts ändern. Und die Delegierten bekamen es an der Basis schmerzlich zu spüren. Am Rande der Veranstaltung stöhnte ein Betroffener: „Wenn man als FDP-Mann irgendwo hingeht und sich outet, weiß man, daß 19 von 20 richtig gegen einen sind.“ Markus Franz, Stuttgart
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