■ Bei den Kommunalwahlen in Niedersachsen dürfen am Sonntag auch 16jährige ihre Stimme abgeben. Doch die Begeisterung hält sich auf allen Seiten in Grenzen: Stell dir vor, du darfst wählen - und dann?
Bei den Kommunalwahlen in Niedersachsen dürfen am Sonntag auch 16jährige ihre Stimme abgeben. Doch die Begeisterung hält sich auf allen Seiten in Grenzen
Stell dir vor, du darfst wählen – und dann?
Der Landesjugendring wirbt mit dem mehrdeutigen Plakat: „Mein erstes Mal – Ich komme – Zur Wahl“. Für den SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine ist es zumindest „ein gutes Experiment“, daß bei den niedersächsischen Kommunalwahlen am Sonntag erstmals „junge Menschen ab 16 Jahren“ wählen dürfen. „Wenn das erfolgreich ist“, so prophezeite Lafontaine auf einer Wahlkampfveranstaltung in Hannover, „wird es durchschlagen auf die ganze Republik.“
Mit der Herabsetzung der Altersgrenze für das aktive Wahlrecht ist Niedersachsen nicht nur bundesweit Vorreiter. Landeswahlleiter Karl-Ludwig Strehlen ist sich sicher, daß „europaweit nirgendwo sonst 16- oder 17jährige das Wahlrecht haben“. Dem Wahlkampf merkt man allerdings den innovativen Charakter nicht an: In Hannover zieren die alten Köpfe die Wahlplakate; Wahlwerbung, die sich speziell an junge Wähler wendet, sucht man vergeblich. Von den 6,2 Millionen Wahlberechtigten sind ohnehin nur 146.278 16 oder 17, das sind 2,3 Prozent. Am kommenden Montag wird man nicht einmal genau wissen, wem die 16- bis 18jährigen ihre Stimme gegeben haben: Nur in der Landeshauptstadt Hannover wird durch eine Stichprobe festgestellt, wie die einzelnen Parteien bei den Jugendlichen abgeschnitten haben. In einigen weiteren Kommunen wird zumindest die Wahlbeteiligung gesondert erfaßt. Landesweit will Wahlleiter Strehlen diese nicht feststellen: „Dazu ist die Altersgruppe zu klein“, sagt er, „Da könnte man in den ausgesuchten Stimmbezirken Rückschlüsse auf das Wahlverhalten einzelner ziehen.“
Immerhin haben die Parteien Briefe an die Jungwähler verschickt; und eine Wahlrechtsbroschüre für die Jungen von der Landeszentrale für politische Bildung mußte bereits nachgedruckt werden. Die CDU mit ihrem jungen Landeschef Christian Wulff an der Spitze ist ohnehin bis heute gegen das neue Wahlalter und war sich damit lange auch mit Gerhard Schröder einig, der sich ebenfalls zunächst gegen das Juso-Vorhaben sperrte. Auch die Grünen haben gänzlich auf einen speziellen Wahlkampf für die JungwählerInnen verzichtet. Nach Bemühungen um die „Neuen“ befragt, verweist der Pressesprecher an die Grüne Jugend. Doch die hat sich aus prinzipiellen Gründen nicht für die Mutterpartei einspannen lassen, will nicht „Wahlkampftruppe der Partei“ sein. Die SPD war auf der hiesigen Love Parade mit zwei Wagen präsent und verteilte – mit ungewisser politischer Wirkung – 5.000 Kondome.
Nur im Raum Osnabrück hängen große Plakate der Sozialdemokraten: „Andere Parteien hätten Euch nicht wählen lassen“, wenden sie sich direkt an die 16- und 17jährigen. Doch dort ist auch der heute 27jährige Marcus Alwes aus dem Landesvorstand zu Hause, der vor zwei Jahren das neue Wahlalter auf den Weg gebracht hat. Selbst er rechnet jetzt damit, daß sich nur etwa ein Drittel der 16- und 17jährigen an der Kommunalwahl beteiligt. Allerdings interpretiert er das angesichts der tiefen Kluft zwischen Jugendlichen und Parteipolitik „schon als Fortschritt“. Jürgen Voges
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