Begrenzte Öffnungsbereitschaft bei G8: Gipfel ohne Weitsicht
Globale Probleme lassen sich nicht ohne China und Indien lösen. Doch die Bereitschaft des Westens, seine Institutionen für andere Länder zu öffen, ist aus Kalkül begrenzt.
Nahrungsmittelkrise, Ölpreisschock, Rezessionsängste. Die globalen Krisen könnten komplexer kaum sein. Doch vor dem G-8-Gipfel der größten Industrienationen häufen sich lediglich die Appelle zum weltpolitischen Gutmenschentum. In Wirklichkeit aber verschleiert ein G-8-Aktivismus der Milliardenzusagen die mangelnde Bereitschaft des Westens, seine weltpolitischen Institutionen für ein Mitwirken anderer Länder zu öffnen. Insbesondere China und Indien bleiben außen vor. Nachhaltige Lösungen für die globalen Entwicklungsprobleme aber sind gerade ohne die Kooperation dieser beiden Länder zunehmend zum Scheitern verurteilt.
Dieser Tage ist es der neue Weltbank-Chef Robert Zoellick, der mit kritischeren Tönen gegenüber den westlichen Führungsnationen auf sich aufmerksam macht. Er klagt die Verantwortung der G 8 für die mit der weltweiten Inflation drohenden Ernährungskrisen in den armen Ländern ein. "Was wir heute beobachten, ist keine Naturkatastrophe, sondern eine menschengemachte Katastrophe, die von Menschen beigelegt werden muss", schrieb Zoellick diese Woche an die Führer der G-8-Nationen. Deshalb fordert er Soforthilfen über 10 Milliarden Dollar, um die Töpfe der internationalen Hungerhilfen aufzustocken und den 50 ärmsten Ländern zu helfen. Natürlich wird Zoellick kommende Woche auf der japanischen Nordinsel Hokkaido die geforderten Milliarden zugesprochen bekommen. So geschah es auch 2005, im schottischen Gleneagles, als der Rockstar Bono und Großbritanniens Premierminister Tony Blair im Vorfeld des Gipfels die Gutmenschen-Rollen übernahmen. Sie erfüllten ihre Rollen damals so gut, dass der Gipfel gleich 22 Milliarden Dollar an Hilfsleistungen für Afrika bis ins Jahr 2010 zusagte. Doch zeigt gerade die Afrika-Politik der G 8, wie kurzfristig und unkooperativ die Hilfspolitik des Westens ausgelegt ist.
Denn nach Angaben von Nichtregierungsorganisationen wurden bisher nur 14 Prozent der in Gleneagles zugesagten Afrikahilfen ausgezahlt. US-Präsident George Bush ist deshalb wütend: "Wir brauchen Leute, die nicht nur Versprechen geben, sondern auch Schecks unterschreiben", verkündete er. Bush kann es sich leisten, denn immerhin haben die USA ihre Verpflichtungen gegenüber Afrika als einer von wenigen G-8-Staaten weitgehend eingehalten. Andererseits ist es gerade die Regierung in Washington, die einer globaleren, auf Zusammenarbeit mit China und Indien zielenden Afrika-Politik aus machtpolitischen Gründen im Wege steht.
"Die wirtschaftlichen Aktivitäten zwischen Afrika und Asien boomen wie nie zuvor", schreibt Harry G. Broadman, Afrika-Berater der Weltbank. Broadman weiß, dass durch den Afrika-Asien-Boom viele neue "Probleme und Ungleichgewichte" entstehen. Er vertritt aber die Auffassung, dass bei gutem globalen Management hier die Chance Afrikas für Wachstum und weltwirtschaftliche Integration läge. Genau einen solchen globalen Managementansatz für Afrika verhindert eine G-8-Politik, die bis heute China und Indien als Partner ignoriert.
Stattdessen wird der G-8-Gipfel in Japan deklaratorisch den Wahlbetrug in Simbabwe verurteilen. Das wäre mit China, das enge Beziehungen zum Mugabe-Regime unterhält, nicht mehr so leicht möglich. Ein Grund, weshalb diejenigen, die die G 8 vor allem als Verbund westlicher Demokratien sehen, China von seinen Institutionen fernhalten wollen. Einflussreich ist immer noch die neokonservative Denkschule amerikanischer Außenpolitik, die weg von den Vereinten Nationen in Richtung eines weltweiten Verbunds der Demokratien strebt, um Chinas weltpolitischem Einfluss zu begegnen.
Ein Gegenkonzept haben in diesem Jahr die japanischen Gastgeber. Japan galt bisher als das Land in der G 8, das sich aus regionalpolitischer Konkurrenz und um seine Sonderrolle als einziges asiatisches Land der Gruppe zu wahren, am stärksten gegen Chinas Einbeziehung wehrte. Doch unter dem seit September regierenden Premierminister Yasuo Fukuda hat sich Tokios China-Politik dramatisch verändert. Fukuda besuchte Peking, um einen bilateralen Klimaplan auszuhandeln. Er schaffte es, den chinesischen Staats- und Parteichef Hu Jintao gleich für drei Japan-Besuche in diesem Jahr zu gewinnen, nachdem zehn Jahre lang kein chinesischer Staatschef in Tokio aufgekreuzt war. Nach einem bilateralen Besuch im Mai wird Hu nun zweiten Mal beim Gipfel in Hokkaido Fukudas Gast sein. Beide wollen damit ein politisches Signal für die Priorität der Klimapolitik setzen. Institutionell soll das am dritten Tag des Gipfels im Rahmen eines Treffens der 16 Nationen mit dem größten Treibhausgas-Ausstoß geschehen. Hier wird auch von Chinesen und Indern erwartet, dass sie sich zu mittelfristigen Treibhausgas-Reduktions-Zielen bekennen.
Die Klimapolitik ist das Hauptargument der G-8-Erweiterungsbefürworter. China ist bereits heute der größte CO2-Emittent der Welt, vor allem wachsen die Ausstöße schneller, als sie durch Reduktionen im Westen mittelfristig wettgemacht werden können. In Indien liegt der gleiche Trend vor. Die aktive Beteiligung Pekings und Neu-Delhis wird also für den globalen Klimaschutz unerlässlich. Kaum weniger folgenreich ist das chinesische und indische Wachstum für die weltweiten Energiepreise. Über die Hälfte der Anstiegs der globalen Öl-Nachfrage geht seit der Jahrhundertwende auf Kosten Chinas. In Indien wird die Öl-Nachfrage besonders in den nächsten Jahren energieintensiver Investitionen schnell ansteigen. Gerade deshalb scheint heute ein Nachlassen der hohen Ölpreise so unwahrscheinlich. Die aber bedingen jene Biotreibstoff-Programme, die in jüngster Zeit zur Verknappung der weltweiten Ernährungslage beigetragen haben. Ein Teufelskreis, aus dem es ohne China und Indien kein Ausbrechen gibt.
Deshalb schlug der ehemalige kanadische Premierminister Paul Martin eine "Leaders 20", eine Erweiterung auf 20 große Nationen, vor. Bundeskanzlerin Angela Merkel rief als Gastgeberin des Gipfeltreffen im vergangenen Jahr den so genannten "Heiligendamm-Prozess" ins Leben. In seinem Rahmen beraten sich seither die G-8-Länder mit China, Indien, Mexiko, Brasilien und Südafrika (G 5). Dieser Dialog soll eine Vorphase der Erweiterung bilden - oder aus Sicht ihrer Gegner abschreckend wirken. Jedenfalls lassen die Ergebnisse offenbar zu wünschen übrig: "Die Industrieländer bestimmen immer noch die Agenda", kritisierte kürzlich die stellvertretende mexikanische Außenministerin und Koordinatorin des Heiligendamm-Prozesses, Lourdes Aranda. Sie bemängelte auch, dass den Führern der G-5-Staaten beim Gipfel in Japan "nicht genug Zeit" eingeräumt werde.
G 8 benötigt greifbare Erfolge. Weitere Milliardenversprechen werden dafür nicht reichen. Im Streit zwischen Erweiterungsbefürwortern und Verfechtern eines Primats westlicher Demokratien in der Lenkung der Weltpolitik aber werden schon heute auf Hokkaido die Weichen für die Zukunft gestellt.
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