Begegnung im Süden Frankreichs: Unter Gelbwesten

Abendessen mit einer der letzten aktiven Gelbwesten-Gruppe. Sie ist durchmischter als manch vermeintlich progressive Crowd. Eine kuriose Mischung.

eine große Puppe trägt eine gelbe Warnweste, hält eine französische Fahne in der Hand

Für die Menschen im Camp sind die Forderungen der Gelbwesten immer noch aktuell Foto: Philippe Wojazer/reuters

Die Puppe trägt eine gelbe Weste, eine Jakobinermütze und über dem Herzen eine Aufschrift: „Macron hat mich getötet“. Sie wacht leblos vor einer Baracke aus Holz und Planen, dekoriert mit Lichterketten und gelben Warnwesten sowie einer langen Liste sozialer Forderungen der Gelbwesten von Pont-de-l'Étoile, einem Dörfchen im Süden Frankreichs. Sie sind die letzten Versprengten, nach eigener Aussage das letzte aktive Gelbwesten-Camp der Region. Eine Gruppe sitzt draußen um den Tisch bei Wein und Thunfischsalat. Sie haben uns erst Werkzeug geliehen und dann eingeladen.

Es sind mehr Freunde als MitstreiterInnen. Viele Camps seien gewaltsam von der Polizei geräumt worden, sagt der, der neben mir sitzt. „Auf Papier haben wir nichts bewirkt. Aber wir haben einen Gesprächskorridor eröffnet.“ Eine Gesellschaft, die jetzt rede. In Deutschland sind viele Linke nie warm geworden mit der französischen Gelbwestenbewegung. Rassistische und homophobe Äußerungen wurden angeprangert, die Gewalt bei Demos, und vieles lief unausgesprochen auf eines hinaus: dass das hier keine Intellektuellen sind, sondern Milieus, die man abstrakt gern idealisiert, aber in ihrer Andersartigkeit dann doch nicht so gern aus der Nähe sieht.

Dabei ist es eine verblüffend diverse Mischung im Camp. Da sind die Gastgeber, ein altes Paar, das im Wohnwagen lebt, weil sie anderes nicht bezahlen können. Da ist eine unausgesprochene Anführerin, Typ linksliberale Studentin, die klagt über die hohen Mieten und die arbeitslose Jugend. Am anderen Ende des Tisches sitzt einer, bis zum Hals tätowiert, der gerade im Knast war und in manisch schnellen Monologen die These vertritt, Macron und die ganze Regierung sei auf Koks. Da ist der Vater mit seiner Tochter, der seinen Job verloren hat, und der stille Arabischstämmige, der als Erster wieder wegmuss, weil er 13 Stunden am Tag arbeitet, unter anderem als Türsteher in Clubs.

Vereinfachte Weltbilder

Die Erfahrung von Not und Ausbeutung ist es, die sie eint. Sie sind durchmischter als manch vermeintlich progressive Crowds. Und gleichzeitig ist ihr Antikapitalismus eine kuriose Mischung. Der, der im Knast war, sagt: „Ich habe den Verdacht, dass hinter Covid was ganz anderes steckt, um uns zu zerschlagen“. Große Zustimmung.

Der arbeitslose Vater zeigt ein Rap-Video, das den Kapitalismus kritisiert, in dem es aber auch um „eine jahrhundertelange Verschwörung“ von Klerus und Banken geht. In diesen Momenten sind sie von Pegida nicht weit entfernt. Aber vereinfachte Weltbilder machen ihren Kampf um Gerechtigkeit nicht wertloser. Und wer Menschen hören will, kann hier viel lernen über Lebenswirklichkeiten, Not, Solidarität. Auf die Frage, ob sie keine Angst hätten vor Repression, sagt der arbeitslose Vater: „Die haben mehr Angst vor uns als wir vor ihnen.“

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Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de

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