Bebauung der Rummelsburger Bucht: Freiheit für die Fische
GegnerInnen der Bebauung der Rummelsburger Bucht präsentieren eine Alternative: ohne Aquarium, dafür mit Platz für Natur und bisherige Nutzer.
Das Konzept ist das Ergebnis monatelanger Proteste gegen den umstrittenen „Bebauungsplan Ostkreuz“, der nach jahrzehntelanger Planung voraussichtlich im Mai von der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Lichtenberg beschlossen werden soll. „Das, was der Bezirk dort plant, entspricht nicht einer solidarischen und zukunftsgerechten Stadt“, erklärt Aktivist Iver Ohm während der Präsentation.
Stein des Anstoßes ist vor allem das Aquarium „Coral World“, das der Milliardär Benjamin Kahn für 40 Millionen Euro dort errichten will. Außerdem sollen Büro- und Gewerbeflächen entstehen, überdies rund 500 Wohnungen, mehrheitlich durch private Investoren. Darunter ist auch die aufgrund ihrer rabiaten Entmietungspraktiken umstrittene Padovicz Gruppe. Nur ein kleiner Teil der Fläche soll durch die landeseigene Wohnungsbaugesellschafft HoWoGe bebaut werden.
Ein Großteil der über 30.000 Quadratmeter großen Fläche am Ostkreuz liegt zwar derzeit brach, ungenutzt ist sie dennoch nicht. Es befinden sich dort unter anderem die Kulturstätte Rummelsbucht, ein Kanuverleih, zwei Wohnblöcke und ein durch die Sozialgenossenschaft Karuna e.V. betreutes Obdachlosencamp. Sie alle würden durch die neue Bebauung verdrängt.
42.000 Unterschriften
Seit September letzten Jahres wächst der Widerstand gegen die geplante Bebauung. Es gab zwei Demonstrationen mit über tausend TeilnehmerInnen, die Onlinepetition „Rummelsburger Bucht retten“ hat bereit 42.000 Unterschriften. Die in der Petition formulierten Kritikpunkte sind vielfältig: zu wenig bezahlbarer Wohnraum, dringend benötigte Schul- und Kitaplätze fehlen, schützenswerte Natur würde zerstört und angestammte Nutzer*innen würden verdrängt.
„Es geht uns nicht darum, eine Bebauung zu verhindern“, erklärt Ohm, „sondern um eine am Gemeinwohl orientierte Nutzung des Geländes.“ „Die Planung des Bezirks ist aus der Zeit gefallen“, kritisiert auch Aktivist Florian Hackenberger, „wir denken, das geht besser.“ In dem von Architekten und Stadtplaner*innen entwickelten Alternativkonzept der Aktivist*innen soll die bestehende Nutzung erhalten, aber trotzdem deutlich mehr Wohnfläche geschaffen werden. Des weiteren sieht der Entwurf deutlich mehr Kitaplätze als der offizielle Bebauungsplan vor. Biotope und schützenswerter Baumbestand soll erhalten bleiben und dazu noch Raum für alternative Wohnformen und Gemeinschaftsgärten geschaffen werden.
Platz dafür sei vorhanden, ließe man „Coral World“ und die vor allem für Parkraum vorgesehenen Zufahrtsstraßen weg. „Dadurch würde Raum für öffentliches Leben geschaffen“, erklärt Hackenberger, „und nicht nur ein Aquarium für Touristen.“ Selbst das Obdachlosencamp könnte in verbesserter Form erhalten werden. „Das funktioniert derzeit sehr gut, warum sollte man das räumen?“, fragt Hackenberger.
Zu scheitern droht der Alternativentwurf jedenfalls nicht an der städteplanerischen Machbarkeit, sondern an politischen Hürden. Lichtenbergs Bürgermeister Michael Grunst (Linke) selbst bemängelte vergangene Woche auf Facebook ausführlich, dass der Bezirk wenig Handlungsspielraum habe. Die Grundstücke seien in „letzter Sekunde von der SPD/CDU Koalition verkauft und so der öffentlichen Hand entzogen“ worden, so Grunst dort. Der Bezirk sei damit vor vollendete Tatsachen gestellt worden.
Tatsächlich hatte noch der frühere rot-schwarze Senat den Deal vorbereitet und in seiner letzten Sitzung im Sommer 2016 den Verkauf der Fläche an die Investoren beschlossen – mit einem Preis von insgesamt 20 Millionen Euro deutlich unter Marktwert.
„Politik des Ausverkaufs“
Der Bezirk setzte mit dem Bebauungsplan nun lediglich die vom Land festgesetzten Planungsziele um, die sowohl ein „Wasserhaus“ – das geplante Aquarium – als auch eine Beteiligung privater Investoren vorsehen. „Das Bau- und Planungsrecht des Bezirks wird den im Land begangenen Fehler des Grundstücksverkaufs nicht heilen können“, so Grunst in seiner Stellungnahme. Käme es zu einer Ablehnung des Bebauungsplans durch die BVV, würde sich eine Bebauung das Areals um mindesten fünf Jahre verzögern, schätzt der Bezirksbürgermeister.
Die Aktivist*innen fordern genau das, und hoffen, dass sich die Bezirksverordneten bis zur Abstimmung noch umentscheiden. Weitere Überzeugungsarbeit wollen sie auf einer Informationsveranstaltung des Bezirks leisten, die nächste Woche Mittwoch im Cinestar in Treptow stattfinden wird.
Scheitert der Bebauungsplan, würden auch die Verkaufsverträge rückabgewickelt werden, so Ohm. Auf das Land kämen zwar Schadensersatzforderungen für den bisher geleisteten Planungsaufwand zu, aber die seien in Anbetracht der Bedeutung des Areals zu verkraften. „Diese Politik des Ausverkaufs muss gestoppt werden“, fordert Ohm und verweist auf das im Koalitionsvertrag festgelegte Ziel der auf Gemeinwohl orientierten Entwicklung landeseigener Flächen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW