Beamte wollen Verbrechen vorhersagen: Wenn die Polizei zuerst da ist
Prognostizierende Polizeiarbeit: Computer sollen im Voraus ermitteln, wo es Straftaten geben könnte. Stadtteile könnten dabei stigmatisiert werden.
Predictive Policing macht sich zu Nutze, dass ein Gutteil der Straftäter Gewohnheitsmenschen sind: Sind sie in einer Gegend erfolgreich eingebrochen, probieren sie es oft wieder. Die Rand-Corporation beschreibt das abstrakter: „Kriminelle und Opfer folgen gemeinsamen Lebensmustern; dort wo sich die Muster überschneiden wächst die Wahrscheinlichkeit von Straftaten.“
Erfunden hat die Methode die Polizei von Los Angeles – und zwar als Sparmaßnahme. Die Polizei sei gezwungen, mit weniger Mitteln mehr zu erreichen, hieß es 2009 im Fachmagazin Police Chief und die Autoren schlossen die Frage an: „Warum bloß Straftaten zählen, wenn man sie effektiver vorhersehen, verhindern und darauf reagieren kann?“
Wie das gehen könnte, ließ sich Polizeipräsident Ralf Meyer im Juni in Hamburgs Partnerstadt Chicago zeigen. „Die Amerikaner arbeiten in der Praxis kaum mit den Vorhersagemodellen“, sagte er dem Hamburger Abendblatt. „Aber wir schauen uns jetzt an, wie wir ein eigenes System entwickeln können.“
Beim predictive Policing geht es darum, mit einem Computerprogramm vorherzusagen, wo die Wahrscheinlichkeit von Straftagen besonders hoch ist.
Verschiedene Anbieter haben Software mit Namen wie Predpol und Precobs im Programm. Letzterer klingt wohl nicht von ungefähr wie aus dem Kino geklaut.
Der Film „Minority Report“ hat 2002 bereits so ein Szenario vorweg genommen. Dort sind es „Precogs“ genannte Seher, die Verbrechen vorausahnen.
Wissenschaftlich sei nicht erwiesen, dass predictive Policing wirke, heißt es in einer Bestandsaufnahme für das Landeskriminalamt Niedersachsen aus dem Jahr 2014.
Wie aus einer Anfrage der FDP-Bürgerschaftsfraktion hervorgeht, prüfen MitarbeiterInnen des Landeskriminalamtes seit Februar, wie so ein System für Hamburg aussehen und welche Software beschafft werden könnte. Als Haupteinsatzgebiete werden die Einbruchsbekämpfung und die Olympischen Spiele genannt.
„Die Entwicklung zeichnete sich ab“, sagt Susanne Krasmann vom Institut für Kriminologische Sozialforschung an der Uni. 2011 hat sie achtzig Polizei-Dienststellen in Deutschland befragt. Bayern betreibt schon predictive Policing, Niedersachsen prüft es.
Neu sei an dem Vorgehen, dass Kriminalitätsdaten mit Sozialdaten und Schichtmerkmalen gekoppelt würden, sagt Krasmann. Das könne dazu führen, dass Stadtteile stigmatisiert werden. Auch das Verhältnis zwischen Staat und Bürger könnte sich ändern: „Was bedeutet es, dass der Bürger nicht mehr als politisches, sondern als verdächtiges Subjekt betrachtet wird?“ Vorteile sieht sie darin, dass die Polizei schnell auf Veränderungen reagieren könne.
Andere weisen darauf hin, dass die Verbrechensprognosen auf nur scheinbar objektiven Daten und Alg orithmen basierten. In den USA würden weit mehr Schwarze und Latinos wegen Marihuana-Besitzes verhaftet als Weiße, obwohl letztere nicht weniger rauchten, heißt es auf der Website SOS Privacy.
Werden die Rechner mit solchen Verhaftungsdaten gefüttert, patrouilliert die Polizei vor allem in den Vierteln der Schwarzen und Latinos, was zu einem Rückkoppelungseffekt führt. „Die Algorithmen reproduzieren das ungerechte Polizeisystem bloß“, warnen die Bürgerrechtler.
Der Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar kann mit der Methode leben, solange nur die regionale Wahrscheinlichkeit von Straftaten ermittelt wird. Er befürchtet jedoch, dass in Zukunft Daten zu allem und jedem gesammelt und verknüpft und daraus ein personenbezogener Verdacht konstruiert werden könnte. „Die Leute wissen am Ende gar nicht, warum sie ins Visier geraten“, warnt er.
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