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Bayrische Singles verhindern Volksabstimmung zur SchulreformSchule als Kampf

Bayerns BürgerInnen haben ein paradoxes Plebiszit abgeliefert. Die sonst so abstimmungsfreudigen Städter blieben zu Hause. Das Landvolk hingegen stürmte die Abstimmungsräume geradezu. Nicht nur in der fränkischen Rebellengemeinde Ermershausen erreichten die Schulkämpfer Quoten von 20 Prozent bis hin zu einem Drittel der Stimmberechtigten. Die erste Botschaft des weißblauen Abstimmungsgangs heißt also: Die Bürgerdemokratie ist in der Provinz angekommen. Das ist gut so. Die nötige Zehn-Prozent-Quote für einen Volksentscheid wurde in den Städten unterschritten – und eine Volksabstimmung über die bayrischen Schulen somit verhindert.

Die Niederlage der bayrischen Graswurzeldemokraten ist in Wirklichkeit gar keine: Eine halbe Million Abstimmungsberechtigte zog es an die Urnen. Das sind eigentlich ein bisschen zu viel Menschen, als dass die Staatsregierung ihre Meinung einfach übergehen dürfte. Die wahren Verlierer der Abstimmung sind die Singles aus den Städten, aus München, Nürnberg, Augsburg oder Würzburg. Sie haben die Demokratie im Stich gelassen – und die bayrischen Schulen. Sie sorgen dafür, dass ihr auf Konkurrenz und Erfolg fußender Lebensentwurf nun allen bayrischen Zehnjährigen aufgezwungen wird. In Bayern wird künftig in der vierten Klasse sortiert: Nicht nur die Oberschüler gehen von da an ihren Weg, auch die Mittelschüler sollen es tun. Sie müssen mit zehn Jahren wissen, ob sie Bürokauffrau, Postbeamter oder Zahnarzthelferin werden wollen. Das ist absurd und doch erst der Anfang.

Erfahrungen aus den Gymnasien zeigen, dass in der fünften Klasse die Leistungsselektion nicht etwa vorbei ist. Die Differenzierung nach Noten geht danach verschärft weiter – viele Penne-„Pädagogen“ sehen es als ihre Aufgabe an, auf dem Weg zum Abi noch möglichst viele auszumustern. Die Folge davon ist, dass Schule zu einer reinen Ausleseanstalt verkommt. Kognitive Leistungen treten klar in den Vordergrund. Musische und soziale Fähigkeiten sind kaum mehr als schmückendes Beiwerk, weil nicht mess- und vergleichbar. Sie taugen für die Freizeit, aber nicht für den harten Berufsalltag.

Eine Schule dieser Art will nicht Talente finden und fördern. Sie soll den Wettbewerb der Arbeitswelt vorwegnehmen. Wie ernst das gemeint ist, zeigt man den Kindern am besten früh. Bayerns Schulkampf ist mit dem Volksbegehren zu Ende – für Kultusministerin Hohlmeier jedenfalls. Für Bayerns Zehnjährige geht er jetzt erst richtig los. Christian Füller

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