Bayreuther Festspiele: Drei Damen vom Pool

Von den mythischen Rheinauen in die USA: Zum Wagner-Jubiläum inszeniert Frank Castorf in Bayreuth die ersten Teile des „Rings“, als wäre er nicht da.

In seiner absurd verschachtelten Gesamtarchitektur ein einziger surrealer Albtraum. Bild: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

Wenn dieser Film im Fernsehen gelaufen wäre, hätte meine Zimmernachbarin im Hotel sofort weitergeschaltet. Sagt sie, aber der Film lief nicht im Fernsehen. Eigentlich auch nicht im Festspielhaus von Bayreuth, aber dort immerhin war er in gewisser Weise aufgebaut, nämlich als Bühnenbild des Serben Aleksandar Denic, der sich davor sämtliche Roadmovies aus den letzten 50 Jahren angesehen hat, die er auftreiben konnte.

Wer nur hierhergefahren war, um das 200-jährige Jubiläum des Komponisten und Dichters Richard Wagner zu feiern, war halt selber schuld und musste zur Strafe diesen Umweg auf sich nehmen. Wir saßen jedenfalls fest in dem überhitzten Saal des Festspielhauses, das keine Klimaanlage hat, und durften uns ansehen, wie sich drei beneidenswert leicht bekleidete Frauen am Pool räkeln.

Sie langweilen sich offenbar und haben wahrscheinlich schon vergessen, was sie in diesen Puff an der Route 66 verschlagen hat. Auf dem Schild steht in Leuchtschrift „Golden Motel“. Eine Tankstelle gehört auch dazu, ein junger Mann steht schwitzend im Laden dahinter, aber nichts ist los in dieser trostlosen Gegend.

„Weiterschalten“, hätte meine Nachbarin gesagt. Aber das geht nicht. Zu spät, volle sechs Minuten lang hat das Festspielorchester im überdeckten Graben bereits jenen sagenhaften Es-Dur-Akkord gespielt, nach dem es kein Entrinnen mehr gibt. Wir sind in „Rheingold“ von Richard Wagner. Die Damen vom Pool, um sie mal so zu nennen, singen bereits die Noten der Rheintöchter. Das tun sie sehr gut, viel besser, als sie hier aussehen müssen, und eigentlich müssen sie sich gar nicht langweilen, denn es gibt ja auch noch den Martin Winkler aus dem Ensemble der Volksoper von Wien. Auch er ist hier gestrandet, hat wahrscheinlich auch schon vergessen, warum, aber nun kitzeln sie ihn wach und amüsieren sich köstlich mit ihm.

Winter kann den Nibelungenchef Alberich nicht nur wunderbar singen. Er spielt ihn auch sehr überzeugend als tollpatschig bösen Proleten, der stilsicher im silbernen Wohnwagen haust und übel reingelegt wird von anderen Ganoven und ihren Flittchen, die dann doch noch an dieser kaputten Tankstelle ankommen, den Wotans, Loges, Fafners, und wie sie alle heißen.

Ein einziger surrealer Albtraum

Ganz sicher kann man den Anfang von „Der Ring des Nibelungen“ so erzählen, wie es Frank Castorf und sein Bühnenbildner das tun. Das Problem ist nur, dass man es nicht muss und dass es auch nicht deswegen plausibel ist, weil in Castorfs Regie irgendetwas zu erkennen wäre, was die Verpflanzung des Stoffs aus den mythischen Rheinauen in den nicht weniger mythischen Mittelwesten der USA erklären und rechtfertigen könnte.

Es geht überhaupt nur, weil Denic ein Motel-Gebäude entworfen hat, das in allen Einzelheiten so realistisch wie nur möglich ausgestattet, in seiner absurd verschachtelten Gesamtarchitektur aber ein einziger surrealer Albtraum ist. Völlig zu Recht steht es im Zentrum der Drehbühne, die es von allen Seiten in verschiedenen Perspektiven sichtbar macht. Es dominiert jede Bewegung der Figuren und wird so zum kongenialen Spiegel der Wagner’schen Idee eines Gesamtkunstwerks, das in sich fließend voranschreitet.

Sängerinnen und Sänger jedenfalls fühlen sich spürbar wohl in dieser klaustrophobischen Architektur und lassen sich tragen von dem sehr präzise, prägnant, aber nie überwältigend spielenden Orchester unter der Leitung von Kyrill Petrenko. Wo aber ist Frank Castorf?

Abwesend, nicht einmal zum durchaus nicht nur unfreundlichen Schlussapplaus lässt er sich blicken, und auf der Bühne ist eine Regie schon gar nicht zu erkennen. Es sei denn, man hält die unvermeidliche Simultanprojektion von Szenenvideos für Regie.

Sie stören schon im „Rheingold“ und stören noch viel mehr in der „Walküre“ am anderen Tag. Besser war dort jedoch zu erkennen, dass Castorf nicht im Theater, sondern in seiner eigenen Welt lebt. Um sie zu verstehen, muss man das Programmheft lesen. Es belehrt uns, dass die letzten hundert Jahre (ungefähr) beherrscht sind vom Kampf ums Erdöl.

In welchem Himmel auch immer

Davon wusste Wagner rein gar nichts, weswegen wir uns in einem kurzen Lehrgang über den historischen Materialismus des Nibelungenschatzes aufklären lassen müssen. Es ist schön, ein Weltbild zu haben, und es sei Castorf gegönnt, ebenso wie Wagner seine privaten Mythen gegönnt seien, in welchem Himmel er sich auch heute aufhalten möge.

Brüder im Geiste sind die beiden schon, und was nun Castorfs Bericht zur Lage der Welt angeht, so hat er immerhin zu einem weiteren Auftrag an den Bühnenbildner Denic geführt, der nun eine Ölbohrstation im russischen Baku auf die Drehbühne von Bayreuth stellen durfte. (Auf einer solchen Station hatte nämlich auch mal ein gewisser Josef Dschugaschwili gearbeitet, bis er wegen revolutionärer Umtriebe verhaftet wurde: Das Öl erklärt auch Stalin.)

Wieder eine in allen Einzelheiten historisch exakt nachgebaute, im Ganzen aber grotesk mit Lämpchen, Treppen, Galerien, Nebenflügeln und Tanks ausgestattete, gewaltige Holzkonstruktion füllt den Bühnenraum und stellt immer wieder neue, überraschende Spielflächen und Kulissen zur Verfügung.

Und wieder bewährt sich die Geistesverwandtschaft dieser imaginären Architektur mit der Wagner’schen Idee des Gesamtkunstwerkes. Anja Kampe und Johan Botha als Sieglinde und Sigmund und dann Catherine Foster und Wolfgang Koch als Brünnhilde und Wotan können frei im Raum ihre sehr schönen Wagner-Stimmen entfalten.

Der abwesende Frank Castorf hat sie offenbar auch auf den Proben nicht weiter belästigt. Sie fuchteln hilflos mit den Armen, wenn sie eine Art von Schauspiel wenigstens andeuten möchten. Das sieht ziemlich blöd aus, stört aber nicht weiter, weil die Kraft des Gesangs ja nun auch aufseiten Wagners deutlich größer ist als die des Textes. So wird dann am Ende Wotans Abschied von Brünnhilde zum ersten Mal zu einer Szene, die über alle Stilübungen und Weltbilder hinaus menschlich berührt. Danach möchte man tatsächlich wissen, wie es denn nun weitergeht, nicht mit Castorf, aber mit Petrenko und Denic …

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.