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Bauwut am Tejo

Mit der Weltausstellung 1998 will Portugal an seine ruhmreichen Seefahrerzeiten erinnern  ■ Von Theo Pischke

Vasco da Gama war ein Haudegen. Ein Abenteurer, Schrecken der Meere, Kriegsherr, Visionär und Entdecker zugleich. Vor 500 Jahren, am 8. Juli 1497, lichtete seine aus vier Schiffen bestehende Flotte in Lissabon die Anker. Ihre Fahrt ging ins Unbekannte. Über „noch nie zuvor befahrene Meere“ sollte Gamas Minigeschwader vorstoßen bis zum Indischen Ozean.

Ende November 1497 erreichte er das Kap der Guten Hoffnung, das Bartolomeu Dias neun Jahre zuvor erstmals umsegelt hatte. Und Weihnachten tauchte vor Gamas Augen die östliche Küste Südafrikas auf. „Natal“ (Weihnachten) – so taufte er das Land, und so heißt diese südafrikanische Provinz noch heute. Von nun an segelte Gamas Geschwader durch unbekannte Gewässer. Und am 21. Mai 1498 erreichte es die Malabarküste. Der Seeweg nach Indien war „gefunden“.

Um die Inder in Angst und Schrecken zu versetzen und sich so „Respekt“ zu verschaffen, ließ Gama sogleich Dutzende von Fischern auf seine Schiffe verschleppen und an den Masten aufhängen. Ihre Körper wurden in Stücke geschnitten und bei Ebbe ins Meer geworfen, damit die Familienangehörigen die Leichenteile am Strand auch sicher zu Gesicht bekamen.

Gamas Biograph Sanjay Subrahmanyam charakterisiert den portugiesischen Seefahrer als grausamen Menschen, den seine Zeitgenossen fürchteten. Vergangene Woche hielt er in Lissabon bei der Feierstunde zum 500. Jahrestag der Abreise des Entdeckers vom Tejo-Ufer aus eine Rede, die Gama in düsterem Licht erscheinen ließ.

Während Portugal den 500. Jahrestag der Entdeckung des Seewegs nach Indien im kommenden Jahr großartig feiern möchte, ist den InderInnen der Gama-Rummel gänzlich gleichgültig. Auf die portugiesischen Avancen, dem Ereignis gemeinsam zu gedenken, hat die indische Regierung bisher nicht reagiert. Es gibt in Indien praktisch keine Erinnerung an Portugal. „Millionen von Indern wissen nicht einmal, daß Portugiesen in Indien waren“, sagt der Historiker Antonio Hespanha, Kommissar für die Feiern zur Erinnerung an die portugiesischen Entdeckungen.

In Lissabon soll jedenfalls ein großes Fest steigen. Doch weil der 21. Mai im kommenden Jahr auf einen Donnerstag fällt, wird es um einen Tag verschoben. Dann beginnt das Wochenende. Und die Expo 98, die bis zum 30. September 1998 dauern soll. 500 Jahre nach Gamas Ankunft in Indien ist Lissabon Schauplatz der letzten Weltausstellung dieses Jahrhunderts. „Die Ozeane – Erbe für die Zukunft“ lautet das symbolträchtige Motto der Expo 1998. 138 Länder und internationale Organisationen, wie die EU und das Internationale Olympische Komitee, haben bisher ihre Teilnahme zugesagt. Das ist Rekord für eine Weltausstellung. Und aus noch einem Grund steht die Show unter einem guten Stern: Die UNO hat 1998 zum Internationalen Jahr der Ozeane“ erklärt. Dies wird der Expo zusätzliche Aufmerksamkeit sichern.

Ihrem Motto getreu soll der „Pavillon der Ozeane“ die größte Attraktion der direkt am Tejo gelegenen Weltausstellung werden. Unter einem von Pfeilern gestützten und von Stahlseilen gehaltenen wellenförmigen Glasdach wird in fünf riesigen Wassertanks das tierische und pflanzliche Leben der Ozeane dargestellt. Die Halterungsstangen der Stahlseile ähneln Schiffsmasten, und aus der Ferne sieht das größte Ozeanium Europas aus wie ein vor Anker liegender Ozeansegler. Insgesamt sollen 7.000 Fische und Vögel das Ozeanium beleben.

Die beste Aussicht auf das Ozeanium und das gesamte Expo- Gelände hat man vom Aussichtsturm, der – natürlich – „Torre Vasco da Gama“ heißt. Bis auf 75 Meter haben ihn die Arbeiter bisher hochgezogen, 140 Meter soll er messen, wenn er fertig ist; „draufgesetzt“ wird dann noch ein Panorama-Restaurant. Ein eiserner Korb hievt derzeit Lasten, Arbeiter und Journalisten in die Höhe. Seine Wände sind aus geflochtenem Eisen, und wer die Nase durch die Öffnungen hindurchsteckt, hat den Blick frei auf das Expo-Gelände, den breiten Tejo und das andere Flußufer. In der Ferne kann man über dem Fluß eine Linie erkennen. Das wird die neue Tejo- Brücke, die „Ponte Vasco da Gama“; 18 Kilometer lang wird sie „das neue Zentrum in der Stadt“ – so Expo-Sprecher Tomas Collares Pereira über das Weltausstellungsgelände – mit dem südlichen Tejo- Ufer verbinden.

Umweltschützer haben den Bau vergeblich zu verhindern versucht. Sie fürchten um das Vogelschutzgebiet in der Tejo-Mündung. Von September bis November nisten dort sogar Flamingos. Fraglich ist, ob sie das auch noch tun, wenn nicht weit von ihrem Refugium täglich bis zu 114.000 Autos über die Brücke fahren wie vom Baukonsortium Lusoponte geschätzt. Am anderen Ufer ist das einst verschlafene Fischerörtchen Alcochete bereits von Bauwut ergriffen. Die Brücke bringt Lissabon näher und macht das andere Ufer als Wohngebiet attraktiv.

Doch auch die portugiesische Hauptstadt selbst wird sich durch die Expo verändern. Der einstige Ministerpräsident Anibal Cavaco Silva, der Portugal das Expo-Projekt bescherte, sprach stets von der größten städtebaulichen Revolution seit dem Wiederaufbau Lissabons nach dem Erdbeben von 1755. Gebaut wird auf insgesamt 330 Hektar entlang des Tejos bei den Docks von Olivais. Das eigentliche Expo-Gelände mit den Ausstellungspavillons soll 55 Hektar umfassen.

Bei den Docks von Olivais zeigte sich Lissabon stets von seiner häßlichen Seite: riesige Containerdepots, vier Ölraffinerien, von denen aus täglich durchschnittlich 145 Tankwagen den Großraum Lissabon und die Nachbarstadt Setubal mit Öl belieferten, Lagerhallen, Depots der portugiesischen Streitkräfte, Lissabons größte Müllkippe, Schrottplätze, Schmutz und ölverseuchte Böden. Allein 200.000 Kubikmeter kontaminierte Erde mußten saniert werden.

Die Docks von Olivais seien ein „Beispiel für das völlige Fehlen einer Umweltpolitik in Portugal“, schrieben die beiden Biologen Humberto Rosa und Paulo Serra Lópes vor Beginn der Expo-Bauarbeiten. Eine Sanierung dieses Geländes wird deshalb auch von Umweltschützern gutgeheißen. Sie stören sich allerdings am Expo- Gigantismus. „Portugal ist weder reich noch neureich“, schreibt der Kommentator Antonio Barreto in der Tageszeitung Publico. „Es gibt andere Prioritäten, wie zum Beispiel die Beseitigung der Barackenviertel in Lissabon.“

Auf dem Expo-Gelände sind nun 7.000 Arbeiter am Werk, mehr als die Hälfte davon Immigranten aus den einstigen portugiesischen Kolonien in Afrika. Sie arbeiten für sieben Mark Stundenlohn und weniger. Viele von ihnen wohnen in den Slums der portugiesischen Hauptstadt; etwa in Quinta do Mocho, in Sichtweite der Expo. Zwar hat die Regierung einen Zeitplan für die Beseitigung der Baracken aufgestellt. Doch bis dahin werden noch Jahre vergehen. Die Umsiedlung der BewohnerInnen aus Quinta do Mocho in menschenwürdige Häuser ist erst für 2004 vorgesehen.

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