Bauvorgabe für Stadtschloss schreckt Architekten: Humboldt mit Pickelhaube
Wenig Interesse an der Ausschreibung für das Humboldtforum am Berliner Schlossplatz: Statt den erwarteten 1000 Architekten haben sich nur rund 160 beworben.
Es ist die bedeutendste Ausschreibung in Deutschland seit dem Umbau des Reichstages: Im März startet der zweistufige Architektenwettbewerb des Bundesbauministeriums für das Berliner Humboldtforum auf dem Schlossplatz nahe dem Berliner Dom. Zwischen 2010 und 2013 soll dort für 552 Millionen Euro ein staatliches Kulturhaus entstehen. Das Humboldtforum soll auf 50.000 Quadratmetern Nutzfläche unter anderem die außereuropäischen Museumssammlungen, die Berliner Zentral- und Landesbibliothek und eine "Werkstatt des Wissens" beherbergen.
Drei barocke Fassaden, Schlüterhof und eine Kuppel. Was sich anhört wie ein Bastelbogen für Barockfreunde, sind die wichtigsten Bauvorgaben für ein Gebäude, das laut Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee (SPD) "eines der bedeutendsten kulturellen Bauvorhaben Deutschlands" ist. Am Schlossplatz, in der historischen Mitte Berlins, soll etwas entstehen, das von Politikern "Humboldtforum" und im Volksmund "Stadtschloss" genannt wird. Michael Frielinghaus, Präsident des Bunds Deutscher Architekten, hat dafür härtere Worte übrig: Für ihn ist das, was nach dem Willen des Bundes den Schlossplatz zieren soll, "eine Kulissenarchitektur mit einem Glaubwürdigkeitsproblem".
Nicht nur Verfechter moderner Architektur finden das Bauvorhaben befremdlich. Denn am Schlossplatz soll auch die Frage entschieden werden, wie sich das vereinte Berlin als Metropole und deutsche Hauptstadt darstellen will. Warum nur will sich die Stadt ein so biederes und mutloses Gesicht geben? Das fragt man sich, wenn man den Ausschreibungstext für das Humboldtforum liest, für das ab März ein zweistufiger Architektenwettbewerb läuft. Gleichzeitig neu und alt soll es sein, funktional und ehrwürdig. Innen sollen die außereuropäischen Sammlungen der staatlichen Museen Platz haben, Landesbibliothek und Gastronomie. Von außen aber soll die Multifunktionshalle barocke Ehrwürdigkeit ausstrahlen: Grundform und Teilelemente des 1950 von der DDR-Regierung gesprengten Schlosses müssen zu erkennen sein - samt dem von Barockbaumeister Andreas Schlüter gestalteten Innenhof und sämtlichen Sandsteinornamenten. Man will, so beschwört es der Ausschreibungstext, Besucher "in die Zeit von Leibniz und der Brüder Humboldt zurückreisen" lassen, also ins beginnende 18. Jahrhundert.
Als wäre das nicht schon kompliziert genug, fordert das Bauministerium die Architekten auf, sich Gedanken um die "Integration historischer Raumgefüge zu machen". Gemeint ist ein architektonisches Zitat des DDR-Volkskammersaals, der sich im "Palast der Republik" befand. Diesen modernistischen Bau mit Beton-und-Stahl-Skelett ließ DDR-Chef Walter Ulbricht in den Siebzigern an die Stelle des gesprengten Schlosses bauen.
Der Wahnwitz des 119 Seiten umfassenden Ausschreibungstexts aus dem Bundesbauministerium, der penibel Raumgrößen, -höhen und Nutzungen festlegt, ist der Versuch, mit Zahlen und Maßen auf eine emotional aufgeladene Dauerdebatte zu reagieren. Der feste Wille zum Konsens spricht aus jeder Seite. Doch auf dem Schlossplatz geht es um mehr als ästhetische Vorlieben, es geht um Weltanschauungen. Und denen ist mit gebauten Kompromissen allein nicht beizukommen. Seit dem Mauerfall entzweit die Frage, welches Gesicht der Schlossplatz bekommen soll, Berlin und die Republik. Erbittert wurde darum gestritten, ob man den asbestverseuchten Palast der DDR-Republik, der zuletzt Künstlern als Ausstellungsfläche diente, abreißen oder erhalten sollte. Auch nachdem der Bundestag 2002 für Palastabriss und Schlossneubau gestimmt hatte, war die Debatte nicht zu Ende: Wer das Schloss wollte, galt als Reaktionär, wer dem Palast hinterhertrauerte, als Ostalgiker. Seitdem das Palastskelett gegenüber dem Berliner Dom unter den Baggern dahinschwindet, streitet man sich hingebungsvoll darum, welche Kunsthalle den Platz bis zum Bau des "Humboldtforums" zwischennutzen darf.
Preußischer Barock, DDR-Architektur oder moderne Kunst - am Schlossplatz wird symbolische Politik gemacht. Da mutet es wenig vertrauenerweckend an, dass sich der Bund ausgerechnet bei der Fassadenfinanzierung auf den privaten Förderverein um den Unternehmer Wilhelm von Boddien verlässt. Der trommelt seit Jahren unermüdlich für eine detaillierte Kopie des Hohenzollernschlosses, lässt aufwändige Pläne und Gutachten erstellen und beschäftigt Steinmetze, die preußische Sandsteinornamente fertigen. Allerdings hat er von den 80 Millionen Euro, die er bei Spendern für die Fassade einsammeln will, erst 15,3 zusammen. Und beharrlich hält sich das Gerücht, dass ein nicht unwesentlicher Teil der Einnahmen in Boddiens Organisation versickert. Der Bund hat Boddiens Anteil an den Gesamtbaukosten von 552 Millionen aber fest eingeplant. Keine Panik, sagte Boddien gewohnt zuversichtlich der taz: Bei der Dresdener Frauenkirche seien die Spenden auch erst richtig geflossen, als der Bau begonnen habe.
Der Wiederaufbau der kriegszerstörten Frauenkirche in Dresden durch bürgerschaftliches Engagement ist das große Vorbild der Schlossfreunde, zu denen auch die Gesellschaft Historisches Berlin, der Potsdamer Prominente Günter Jauch und andere zählen. Das Schloss soll wie die Kirche ein historisch gewachsenes Stadtbild "reparieren". Was Ulbricht der Stadt zwischen Lustgarten und Kupfergraben angetan habe, so Boddien, sei durchaus mit den Weltkriegszerstörungen in Dresden vergleichbar. Das Schloss solle "dem historischen Ensemble die Wertigkeit zurückgeben", die der DDR-Palast zerstört habe. Boddiens Verbündete in der Politik, darunter Wolfgang Thierse, Angela Merkel und Bundesbauminister Tiefensee, sehen das genauso. Daher wertet Boddien den aktuellen Ausschreibungstext als Sieg des Geschichtsbewusstseins: "Wir sind zufrieden, alles, was wir politisch verfolgt haben, findet sich darin." Von Boddien bekennt freimütig, dass hinter dem Großstadtbarock eine politische Motivation steckt.
Seine Gegner bringt das auf die Barrikaden. Es sind vor allem Künstler und Mitglieder der Grünen, für die der Palastabriss und die Barockfassade Geschichtsrevisionismus sind. Der kulturpolitische Sprecher der Berliner Linkspartei, Wolfgang Brauer, sprach einmal gar von einer "Siegermentalität", die gezielt Spuren der DDR aus dem Stadtbild tilgen wolle. So extrem sehen das nicht alle. Aber vielen fortschrittlich Gesinnten ist der architektonische Rückgriff auf eine vordemokratische "Glanzzeit" unheimlich. Der Berliner Schlossplatz ist beileibe kein Einzelfall: Auch in Dresden, Braunschweig, Potsdam und Zwickau will man wieder Schlösser. "Die Mehrheit will eben Barock", sagt der Architekt Peter Kulka, der in der Jury für den Wettbewerb zum Humboldtforum ist. Kulka klingt am Telefon etwas resigniert, schließlich sei er "bekennender Modernist". Doch der Dresdner, der aktuell auch an der Rekonstruktion des Dresdner Schlosses beteiligt ist, versucht diese Sehnsucht zu verstehen und ernst zu nehmen: "Gerade in baulich zerrupften Städten haben die Menschen eine große Sehnsucht nach vergangener Identität", sagt er. Man müsse nur versuchen, diese Sehnsucht in ästhetisch befriedigende Bahnen zu lenken. "Eine sehr schwierige Aufgabe."
Auch in Berlin gärt die Debatte weiter. Inzwischen wird sie vor allem von Architekten und Kulturpolitikern geführt: Die erste Version des Ausschreibungstexts musste überarbeitet werden - der Bundestag sah darin seinen 2002 erteilten Auftrag für die Rekonstruktion der Barockfassaden nicht klar genug wiedergegeben. Dann bemängelte der Bund Deutscher Architekten, dass die Ausschreibung kleinen Büros keine Chance gebe. Also wurden die Hürden wie Mindestjahresumsatz und Mitarbeiteranzahl für Bewerber gesenkt, so dass sich auch kleinere Büros beteiligen können.
Im Januar schoss der britische Stararchitekt David Chipperfield, immerhin Mitglied der achtköpfigen Fachjury für den Wettbewerb, quer. Die Vorgaben des Bundestags stellten eine "Einmischung" in die Freiheit der Architekten dar, kritisierte er und äußerte den Verdacht, dass mit dem "biblischen Gebot" zum Barock eine öffentliche Diskussion über das Schloss abgewürgt werden solle. Schützenhilfe bekam der streitbare Architekt von seinem Kollegen Daniel Libeskind, der das Jüdische Museum in Berlin gebaut hat - und sogar vom künftigen Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger: Die Fassade sei kein Selbstzweck, erzählte er kürzlich der Wochenzeitung Die Zeit. Für ihn sei "auch ein völlig neues, modernes Gebäude an dieser Stelle denkbar". Daraufhin verteidigte Noch-Stiftungspräsident Klaus-Dieter Lehmann vehement das Schloss. Es gebe beim Wiederaufbau kein Zurück. Außerdem hätten die Architekten im Inneren genug Freiheiten, betonte er.
Inzwischen haben sich die Wogen geglättet, im Bauministerium glaubt man, rechtzeitig zur Frist im November einen Architekten für das Mammutprojekt zu finden. Dass statt der erwarteten 1.000 nur rund 160 Architektenteams Interesse am Wettbewerb zeigten, liegt laut BDA-Präsident Frielinghaus nicht nur an der Größe des Projekts. "Viele Kollegen scheuen es, sich in eine so aufgeladene und festgefahrene Situation zu begeben. Und sich an einem Verfahren zu beteiligen, hinter dem sie inhaltlich nicht stehen."
Man habe "ein einmaliges Abenteuer" vor sich, sagt Jury-Mitglied Kulka. Obwohl er mit Zuversicht in den Wettbewerb gehe, müsse man das Scheitern bei einer so diffizilen Sachlage "mitdenken".
Eins steht jetzt schon fest: Wer den barock-modernen Zwitter am Schlossplatz tatsächlich bauen darf, wird sehr breite Schultern brauchen, um das neue Doppelgesicht der Stadt tragen zu können. Und muss schon sehr geschmeidig sein, um im Zickzackkurs zwischen den Fronten nicht anzuecken.
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