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Bauunterbrechung statt BaustoppBahn schafft weitere Fakten

Während der Schlichtungsversuche von Geißler schreibt die Bahn neue Aufträge im Zusammenhang mit Stuttgart 21 aus. Der verletzte Demonstrant derweil bleibt auf einem Auge blind.

Stuttgart 21: Während in Gesprächen zwischen Baustopp und -unterbrechung gerungen wird, schafft die Bahn neue Fakten Bild: dapd

STUTTGART taz | Nicht nur verbal macht Bahnchef Rüdiger Grube im Streit um das Milliardenprojekt "Stuttgart 21" deutlich, wie er über einen Bau- und Vergabestopp als Bedingung für ein Schlichtungsgespräch denkt. Auch die Taten der Deutschen Bahn sprechen für sich. So hat sie jetzt, unmittelbar in den Tagen der Schlichtungsversuche von Heiner Geißler, zwei neue Aufträge für das Bahnprojekt ausgeschrieben.

Eine bewusste Provokation? "Da ich seit Tagen versuche, nicht weiter Öl ins Feuer zu gießen, will ich den Begriff der bewussten Provokation vermeiden", sagte der verkehrspolitische Sprecher der Grünen im Landtag, Werner Wölfle, auf taz-Anfrage. Doch auch seine etwas diplomatischere Aussage war deutlich: "Ein erfreulicher Tatbestand ist das nicht."

Am Dienstagabend habe das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 auch diesen Aspekt mit dem Vermittler Geißler besprochen. "Herr Geißler nimmt das mit als einen der Punkte, die für Verärgerung sorgen", so Wölfle. Das Kommunikationsbüro für Stuttgart 21 wollte sich auf Anfrage nicht dazu äußern.

Die weiteren Punkte, die Geißler nach dem Treffen mit dem Aktionsbündnis mit in die Gespräche mit den Projektträgern nehmen sollte, waren am Dienstag eindeutig. Von der Forderung nach einem umfassenden Bau- und Vergabestopp rückt das Aktionsbündnis trotz der ablehnenden Haltung Grubes nicht ab. Auch die Arbeiten am sogenannten Grundwassermanagement müsse ruhen. Das Bündnis verstehe Schlichtungsgespräche als "Faktenvermittlung", sagte Hannes Rockenbauch nach dem Treffen mit Geißler. "Faktenvermittlung heißt für uns auch, dass keine weiteren Fakten geschaffen werden dürfen, während man spricht."

Und so hat sich bislang im Grunde nur einer in dieser Schlichtungsphase bewegt: Geißler selbst. Er wolle nun nicht mehr den "psychopathologisch aufgeladenen Begriff Baustopp" verwenden. "Das ist mir zu dumm", sagte der CDU-Politiker. Er redet nun lieber von "Bauunterbrechung". Doch inhaltlich ändert auch das nichts an der festgefahrenen Situation.

Ob Geißler eine für beide Seiten annehmbare Definition der "Bauunterbrechung" findet, ist weiter ungewiss. Er ist nun wieder damit beschäftigt, mit Bahnchef Grube und der Landesregierung zu verhandeln. Möglicherweise könnte dann am Freitag oder Anfang nächster Woche ein erstes gemeinsames Gespräch mit beiden Seiten stattfinden.

Derweil wollen die Grünen einen Antrag zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses stellen zum massiven Polizeieinsatz im Stuttgarter Schlossgarten vor zwei Wochen. "Die Ereignisse waren ein tiefer Einschnitt in die Geschichte der Stadt", sagte der innenpolitische Sprecher der Grünen, Uli Sckerl, am Mittwoch in Stuttgart. Es gebe daher ein großes öffentliches Aufklärungsinteresse.

Die zentrale Frage sei, wie es zu dem "eklatanten Bruch" in der Polizeistrategie gekommen war und wer die politische Verantwortung dafür trägt. Die Grünen hätten aus Polizeikreisen eine Reihe von Hinweisen darauf, dass es eine erhebliche Einflussnahme seitens der Landesregierung gegeben habe. Ein Sprecher der Landesregierung bestritt dies.

Unterdessen wurde bekannt, dass der bei dem umstrittenen Wasserwerfereinsatz schwer verletzte Stuttgart-21-Gegner Dietrich Wagner auf einem Auge blind bleiben wird. Er habe schwere Prellungen auf beiden Augen erlitten und werde noch stationär behandelt, sagte am Mittwoch eine Sprecherin des Stuttgarter Katharinenhospitals zur Nachrichtenagentur dpa. Mit dem anderen Auge könne er nach zwei Operationen Menschen grob erkennen; hier gebe es es eine leise Hoffnung auf weitere Besserung.

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12 Kommentare

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  • R
    Robert

    Was ist eigentlich mit dem Verbrecher, der dem Demonstranten (im wahrsten Sinne des Wortes) das Licht ausgeblasen hat ? Wird der wenigstens wegen schwerer Körperverletzung angeklagt ?

  • D
    Dirk

    @ Zafolo:

     

    Alles Wissenswerte findet sich unter http://www.kopfbahnhof-21.de/ sowie auf von dort verlinkten Seiten.

     

    Wäre S21 tatsächlich richtungsweisend und visionär, wäre das hier wohl nie ernsthaft in Frage gestellt worden. Man hätte höchstens ein wenig gebruddelt und sich ansonsten damit abgefunden, daß 'mal wieder gebuddelt wird, oder eben in freudiger Erwartung kommender Verbesserungen brav alles erduldet, was auch immer an Ungemach droht. Darin zumindest hat man hier Übung.

     

    Es erscheint aber zunehmend als stümperhaft zusammengeschustertes Flickwerk mit dem primären Ziel der Baulandgewinnung auf Kosten der Infrastruktur und da man unter die Erde will entpuppt es sich auch als sehr konkreter und nur schwer überwindbarer Hemmschuh für alle künftigen, bedarfsgerechten Anpassungen der Verkehrsinfrastruktur.

     

    Dabei ist mit der avisierten Bebauung der bisherigen Gleisflächen aber bereits mittelfristig der Verkehrskollaps vorprogrammiert, denn es läuft alles auf einen Rückbau der Bahn und Anreize für noch mehr Individualverkehr hinaus - in einer Stadt, die bereits jetzt massive Probleme damit hat.

     

    Die Architekturvisualisierung von S21 scheint Moderne und Zukunft zu versprechen, aber so ziemlich alle Fakten sprechen dagegen. Das ist ein Betonklotz für Betonköpfe und steht im dringenden Verdacht, schon in naher Zukunft zum Grab und Sarkophag der Infrastruktur dieser Stadt und der Region zu werden. Das war Anlaß für jahrelange Kritik, hat zu alternativen Konzepten geführt, zog Unterschriftensammlungen nach sich und zwingt uns nun, da nach Jahren der Ignoranz dem Bürgerwillen gegenüber alle anderen Optionen erschöpft sind auf die Straße, um mit K21 das einzufordern, was S21 verspricht, aber nicht leisten wird:

    Zukunft und Moderne.

  • VS
    verzweifelte Schwäbin

    Nicht zu vergessen die verschnarchte SPD , die sich als willfähriger Steigbügelhalter betätigt, aber ein bißchen für die Bürgerrechte ist , falls es doch zu kritisch wird....

    Die Regionalpresse ( Schwäbische Zeitung ) ist extrem CDU/ FDP hörig- ich kann mich jeden Tag über die besch******* Beiträge aufregen.....

    Hier ist eine gleichgeschaltete ( Regional-) Presse die die ganz offen S 21- werbung betreibt.

  • E
    Ex-CDU-Wähler

    Man will S 21 auf jeden Fall durchdrücken und die Stuttgarter und Wähler vor vollendete tatsachen stellen.Ab einem bestimmten zeitpunkt gibt es keine rückkehr mehr vom bauvorhaben.Derweil ändert man noch die strafgesetze bzgl. Widerstand gegen die Polizei.Und herr Geissler moderiert das ganze.

  • T
    Tania

    Bei Stuttgart 21 kommt das ganze Ausmaß der Korruption und Vetternwirtschaft zutage, da nun endlich auch ein paar Medien den Mut haben über wichtige Themen zu berichten, die uns Menschen direkt angehen und bei denen wir konkret durch Demonstrationen eingreifen können. Bis vor einem halben Jahr, wurde konsequent einseitig berichtet und Korruption und Vetternwirtschaft heruntergespielt. Dass die Medien die Machthabenden schützen ist, immer mehr Leuten bewusst, zum Glück brauchen insbesondere die Zeitungen auch ein paar zahlende Leser, damit ihr "Werbeblatt" sich rentiert. Ich schau immer erst im Internet, ob es sich lohnt, eine Zeitung zu kaufen.

  • P
    prest

    Und die farblose BW SPD sträubt sich zunächst gegen einen Bürgerentscheid. Die werden schon sehen was sie davon haben, im März 2011 werden sie von den Wählern gnadenlos abgestraft. Leider waren die auch in den letzten Jahren eigentlich politisch gar nicht mehr präsent mit einer Ute Dingsda oder jetzt mit einem Nils Schmidt. Wer kennt diese Menschen denn schon. Und was haben die zu sagen außer Wischiwaschi.

  • H
    helmut-on-the-road

    Wie man grundlegend falsche Entscheidungen trifft weiß Rüdiger Grube sicherlich noch von seinem Mentor Jürgen Schrempp - wie man dabei absahnt auch.

    Und übrigens, einer der glühendsten Förderer des Projektes, der frühere Bahnchef Heinz Dürr hat in seiner Zeit als AEG-Vorstandsvorsitzender noch in Schreibmaschinen investiert, als die PCs schon direkt in der Tür standen. Soviel zur Weitsicht.

  • Z
    Zafolo

    Vielleicht müssen die S21 Gegner dem Rest der Republik mal etwas genauer kommunizieren, inwiefern ihre Interessen durch den Bau verletzt werden und warum es nicht früher schon Protest gab. Es wird den Leuten auch eine Verweigerungshaltung unterstellt ohne ein Angebot konstruktiver Alternativen.

     

    Wenn das nicht so ist - für eine bundesweite Plakatkampagne fänden sich sicher zahleiche Unterstützer. Z.

  • F
    FriendofEarth

    Der Zeitraum zwischen Ausschreibungsstart der komplexen Tunnelbohrarbeiten und Angebotsabgabefrist beträgt 2 Wochen. Welches Unternehmen kann in diesem kurzen Zeitraum ein Angebot kalkulieren, vor allem, wenn es so risikobeladen ist?

    Oder ist die Ausschreibung nur pro forma? Bei S21 wurde schon so grob gestümpert und gelogen, dass es nicht verwunderlich wäre, wenn in diesem Fall schon klar ist, wer den Auftrag bekommt. Auch das wäre typisch für dieses Jahrhundertfilzprojekt.

    Die Wettbewerbskommissare der Eu werden sich um den Fall kümmern müssen - hoffen wir, dass es dort einen letzten Funken von Unabhängigkeit und Moral gibt.

  • D
    Dirk

    Demnächst kommen laut Informationen der Parkschützer dann Baumaschinen für Brunnenbohrungen. Geißler tut mir nicht einmal leid. Der war lange genug in dem Laden. Der sollte wissen, wie das läuft. Wenn's auf die harte Tour nich geht, dann schicke einen honorigen Herren vor, der die Illusion des trauten Miteinander aufrecht erhält. Um Zeit zu schinden, bis endlich genügend unumstößliche Fakten geschaffen sind und um die Medien wieder auf Linie zu bringen.

     

    Und es funktioniert vortrefflich, denn man gewinnt auch Zeit, um z.B. eine Gegenbewegung gegen die Gegenbewegung medial aufzublasen, die sonst mangels Masse wohl nie beachtet worden wäre, nun aber im Sumpf der von Partei- und Wirtschaftsinteressen durchfilzten Medienlandschaft nach Kräften gehegt und gepflegt werden kann, bis man irgendwann zumindest all denen medial ein Patt vorgaukeln kann, die noch immer daran glauben, von der aktuellen Kamera des Staatsfernsehens der DDR - ähm - also von der Tagesschau seriös informiert zu werden:

    "Bürger doch für Stuttgart 21! Tausende zogen heute am Stuttgarter Landtag vorbei, wo Ministerpräsident Mappus sichtlich gerührt die Grußbotschaft persönlich entgegennahm und einmal mehr Bürgernähe bewiesen hat, indem er versprach, die Forderung nach Parkhäusern statt Parkbäumen auch gleich per Dekret umzusetzen. Die Menge jubelte und skandierte: Nieder mit dem Bahnhof! Vorwärts zum nächsten Parteitag der CDU!" ... oder so ähnlich...

     

    Und schon bin ich als Ossi wieder da, wo ich eigentlich nie wieder hin wollte: In einem Paradies für Parteibonzen, die sich ihre Demos selber organisieren und denen das Volk sonst im allgemeinen eher lästig geworden ist. Widerlich...

     

    Wie hatte das Uwe Steimle von der Dresdener Herkuleskeule 'mal so trefflich in "Neues aus der Anstalt" formuliert?

    "Wir ham' unsre Revolutioun schon gemacht! Nu seid Ihr 'mal 'dran!"

     

    In diesem Sinne: Oben bleiben! :-)

  • K
    KFR

    der arme Heiner G. ,wer wird ihn noch als Vermittler akzeptieren nach dieser Fahnestangen-Kletterei, Satz mit x

  • W
    Wolfgang

    Die Bahn AG, der Bankenverband, die BDI-BDA-Bauindustrie (deren Eigentümer und Großaktionäre) sind an der ungebrochenen S21-Durchsetzung interessiert. Mit Hilfe ihrer Landesregierung und FDP-CDU-CSU-Bundesregierung, Lobby-Parlamentsmehrheit und 'Verbildungs-Medienlandschaft sind sie entsprechend bemüht, gegebenenfalls hilft ihren Gewinn- und Profitinteressen der VS-Staatsschutz, ihre Polizei und Justiz.