Bauernproteste in Berlin: Klöckner gegen „völkische“ Fahne
Die Agrarministerin kritisiert, dass Bauern die Fahne einer gewalttätigen Bewegung benutzen. Ein Veranstalter kooperiert mit einem Rechtsradikalen.
![Ein Traktor mit zwei Fahnen im Hintergrund ist der Fernsehturm zu sehen Ein Traktor mit zwei Fahnen im Hintergrund ist der Fernsehturm zu sehen](https://taz.de/picture/4650420/14/Bauernprotest_Berlin_Landvolk_Pflug_und_Schwert-1.jpeg)
Klöckner ging schon am Mittwochnachmittag auf die Teilnehmer zu. Sie komme gerade aus der Gedenkstunde des Bundestags für die Opfer des Nationalsozialismus, sagte sie laut einer Audioaufzeichnung, die das Ministerium der taz schickte. Damals seien Menschen ausgegrenzt worden „aufgrund von völkischem Denken“. Deshalb mache ihr „sehr große Sorge“, dass die Demonstranten die Fahne mit Pflug und Schwert führten. „Sie sind nicht so[lche] Leute, aber das macht es halt schwierig, mit seinen Botschaften durchzudringen, wenn man mit solchen Fahnen unterwegs ist“, warnte sie.
Während der Weimarer Republik organisierten sich in Schleswig-Holstein in der Landvolk-Bewegung Bauern, die wegen einer hohen Verschuldung in Not geraten waren. Sie verübte mehrere Bombenanschläge auf Landrats- und Finanzämter und auf Privathäuser einzelner Regierungsbeamter. Viele der Landvolkakteure traten früh der NSDAP bei. Der Historiker Christian M. Sörensen schreibt, die Bewegung habe mit ihrem Kampf gegen das „System“ die Abkehr von den bisherigen Parteien verstärkt, die Bauern für politische Betätigung mobilisiert und so „– ungewollt – den NSDAP-Aufstieg gefördert“. Die Geschichtswissenschaftlerin Heidrun Edelmann attestierte im Bauernblatt Schleswig-Holstein Claus Heim, einem der wichtigsten Landvolkführer, „völkische, nationalistische und antisemitische Denkansätze“.
„Selbst ohne den historischen Hintergrund, der allen Abwiegelungen zum Trotz auch von Gewalt und der Nähe zu Antisemitismus, Ständetum und Nationalsozialismus geprägt war: Was, bitteschön, soll ein blutrotes Schwert denn vermitteln?“, fragte das Fachblatt agrarheute vergangenen September. „Dass die Landwirtschaft wieder zurück in die Mitte unserer Gesellschaft möchte? Wohl kaum.“
„Ich selber wähle links“
Kritisiert wurde auch, dass eine stundenlange Diskussion zwischen Klöckner und Demonstranten am Mittwochabend von einem Youtuber übertragen wurde, der sonst vor allem „Querdenker“-Demonstrationen und Veranstaltungen mit dem thüringischen AfD-Chef Björn Höcke gesendet hat. Einer der Organisatoren der Bauerndemo, Alf Schmidt, sagte der taz, der Livestreamer habe sich spontan angeboten.
„Wir haben ihn vor Ort vom BKA [Bundeskriminalamt] überprüfen lassen. Gegen ihn liegt nichts vor“, so Schmidt. Der Mann habe inzwischen der AfD „abgeschworen“. „Die Fahne ist vom Verfassungsschutz genehmigt worden“, sagte Schmidt weiter. Auf Klöckners Einwand, dass die Landvolkbewegung gewalttätig gewesen sei, antwortete er, Vorläufer heutiger Parteien hätten doch Hitler gewählt. Schmidt verwahrte sich dagegen, „in die rechte Ecke gestellt zu werden“: „Ich selber wähle links“, sagte er.
Die unter anderem von der Bewegung „Land schafft Verbindung – Das Original“ organisierten Proteste entgleisten zunehmend „und rutschen gefährlich ab in nationalistische Motive und Worte“, kritisierte Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament. In ihrem Aufruf verlangte die Bewegung, „die Versorgung der Bevölkerung zu mindestens 80 Prozent bei Fleisch, Milch und Getreide aus deutscher Urproduktion zu gewährleisten“. Dabei sei Deutschland bei einigen der wichtigsten Lebensmitteln Exportweltmeister, beispielsweise bei Fleisch oder Milch, so Häusling.
Methoden rechtsextremer Kreise?
„Land schafft Verbindung“ erwecke den Eindruck, dass aus Nachbarstaaten nach Deutschland eingeführte Lebensmittel nicht den hiesigen Standards entsprächen. „Es gibt keinen deutschen Standard, sondern einen europäischen, der für alle Mitgliedsländer gilt“, entgegnete der Grüne. Einige Anführer der Protestler säeten Zwietracht und bedienten sich Methoden, die denen von „rechtsextremen Kreisen sehr nahekommen.“
Auch vor dem Umweltministerium in Berlin demonstrierten die Bauern. „Die Proteste enthalten andere Botschaften als noch vor einem Jahr. Es geht nicht mehr nur um angeblich zu hohe Umweltstandards, sondern auch um Herkunftskennzeichnung, die Stärkung der Landwirte in der Lieferkette, Tiefpreise bzw. die Verantwortung des Handels“, teilte ein Sprecher von Ministerin Svenja Schulze (SPD) der taz mit. Das Ministerium sei schon lange der Auffassung, dass die auf Billigproduktion und Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt ausgerichtete verfehlte Agrarpolitik die entscheidende Ursache für die wirtschaftliche Misere vieler Betriebe sei. „Bei einigen Forderungen wie Mindestquoten für deutsche Lebensmittel wird das Rad aber überdreht: Man soll und kann den Leuten nicht vorschreiben, dass sie anstatt Parma- nur noch deutschen Schinken essen dürfen.“
Demos sollen weitergehen
Der Sprecher kritisierte, dass die Demonstranten nicht die Empfehlungen der Borchert-Kommission des Agrarministeriums zum Umbau der Tierhaltung und die Zukunftskommission Landwirtschaft der Bundeskanzlerin aufgreifen würden. Deshalb „wirken die Proteste etwas aus der Zeit gefallen“. Die Borchert-Kommission hatte eine Abgabe auf Fleisch vorgeschlagen, mit der Landwirte ihre Ställe so umbauen sollen, dass sie tierfreundlicher sind.
Die Demonstrationen in Berlin sollten weitergehen, sagte Veranstalter Schmidt. Er wolle nun Anträge bei der Veranstaltungsbehörde für die nächsten vier Wochen stellen.
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