Bauboom im Norden: Viel Neues in Alt-Pankow
Rund um die Florastraße drehen sich immer mehr Kräne. Auch zahlreiche Läden zeugen von neuen Bewohnern. Wird das betuliche Pankow der neue Prenzlauer Berg?
Plötzlich standen sie da. Im April rollten die Bagger auf den Garbatyplatz am Bahnhof Pankow - und alle staunten. Jahrelang war der nach dem jüdischen Zigarettenfabrikanten benannte Vorplatz des Bahnhofs Treffpunkt für Passanten, Jugendliche, ein paar Trinker. Nun soll er bebaut werden. Der baden-württembergische Investor Merz Objektbau wird den Platz mit einem Riegel überbauen, an der Berliner und an der Grunowstraße entstehen ein Ärztezentrum und Einzelhandelsflächen. In den vergangenen Jahren hatten sich in Pankow die Investoren eher zurückgehalten. Das 20-Millionen-Projekt aber zeigt: Nun stehen dem Stadtteil rasante Veränderungen bevor.
Doch es sind weniger Bürobauten wie am Garbatyplatz, die die Projektentwickler nach Pankow ziehen, sondern die steigende Nachfrage nach Wohnungen, weiß Pankows Baustadtrat Michail Nelken. "Vor einiger Zeit mussten wir den Investoren noch einen bestimmten Wohnungsanteil schmackhaft machen", so der Linken-Politiker. "Nun wollen die gar nichts anderes mehr bauen."
Die Liste der bereits begonnenen oder geplanten Projekte ist lang. An der Florastraße Ecke Gaillardstraße hat die Firma Kondor Wessels mit dem Bau von 240 Stadtwohnungen begonnen. "Floragärten" heißt das 60-Millionen-Projekt. Es erinnert schon mit dem Namen an ähnliche Vorhaben in Prenzlauer Berg. Dort hatte 2005 mit der Townhouse-Anlage Prenzlauer Gärten der Wohnungsbauboom für Besserverdienende begonnen.
Weitere Wohnungen entstehen derzeit rund um das Schloss Schönhausen. An den Schlossgärten baut das Architekturbüro Schmid und Artebau schicke Townhouses und Stadtvillen, im "Orangeriepark" entstehen Eigentumswohnungen. Die Preise sollen zwischen 2.500 und 3.500 Euro pro Quadratmeter liegen.
Selbst das in den 60er Jahren im Stil der DDR-Moderne errichtete Gästehaus des Schlosses wird in Wohnungen umgebaut. Das Nürnberger Unternehmen Terraplan hatte dafür gar den jüngst verstorbenen Künstler Walter Womacka einbezogen, um den von ihm gestalteten Fries und die Wandbilder zu rekonstruieren.
Terraplan, sagt Baustadtrat Nelken, sei ein Glücksfall. "Die wissen, wie man denkmalgerecht und dennoch mit Qualität baut." So hat es das Unternehmen geschafft, die jahrelang leerstehende Alte Mälzerei zwischen Mühlenstraße und Neuer Schönholzer Straße wieder zu beleben. Auch das ehemalige Sozialamt in der Dusekestraße, 1885 als Parksanatorium errichtet, baut die Firma zu Lofts um.
Dennoch glaubt Nelken nicht, dass es in Pankow einen Bevölkerungsaustausch gibt wie in Prenzlauer Berg. "Zur Gentrifizierung gehört die Entdeckung eines heruntergekommenen Viertels durch Künstler und Studenten", sagt Nelken. Alt-Pankow dagegen sei schon zu DDR-Zeiten ein eher bürgerlicher Wohnort gewesen. "Da ist der Sprung also gar nicht so groß."
Ähnlich sieht das Bezirksbürgermeister Matthias Köhne (SPD). Er verweist auf ein Gutachten zum Abschluss des Sanierungsgebiets an der Wollankstraße. "Daraus geht hervor, dass sich die Bevölkerung nicht so ausgetauscht hat wie in Prenzlauer Berg." Köhne wörtlich: "Hier wird es kein Ende nehmen wie am Kollwitzplatz."
Doch der Druck steigt. Die Ersten, die der neue Bauboom in Pankow trifft, sind 18 Kleingärtner an der Brehmestraße. Sie sollen sechs schicken Häusern weichen, die die Baugemeinschaft Himmel und Erde errichten will. Im Katalog der Gemeinschaft heißt es: "Obwohl die Gegend viel ruhiger ist als der Prenzlauer Berg, entwickelt sich insbesondere in der Florastraße eine Kiezkultur mit netten Cafés, Kneipen und Geschäften."
Gekauft hat die Baugemeinschaft das Grundstück von der Deutschen Bahn. "Dabei hatten wir mit der Bahn einen unbefristeten Pachtvertrag", ärgert sich Wolfgang Wölfer vom Bezirksverband der Gartenfreunde. Seiner Ansicht nach sind mittelfristig 700 Kleingärtner in Pankow von Bebauung bedroht.
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