Basketball-EM und Chancen der Deutschen: Gordi, der Casting-Chef

Die deutschen Korbjäger gehen mit einem guten Kader in die Basketball-Europameisterschaft, der beste ist es aber nicht. Das hat mehrere Gründe.

Der Kapitan: Dennis Schröder will Verantwortung übernehmen.

Der Kapitan: Dennis Schröder will Verantwortung übernehmen Foto: dpa

Der korrekte Titel von Gordon Herbert, kurz „Gordi“, ist Bundestrainer. Aber in den vergangenen Wochen war der Kanadier, der auch im Besitz der finnischen Staatsbürgerschaft ist, eher Chef einer Casting-Agentur mit angeschlossenem Basketballbetrieb. Er sondierte. Er sichtete. Er testete. Und so sind in den vergangenen Wochen, also in der heißeren Phase der Vorbereitung auf die am Donnerstag beginnende Europameisterschaft, 29 (!) Spieler im Trikot der Nationalmannschaft aufgelaufen; fünf stehen in diesem schönen Sport bekanntlich auf dem Parkett, zwölf insgesamt auf dem sogenannten Spielberichtsbogen.

Es ist bezeichnend, dass im umfassenden Sichtungsprogramm des 63-Jährigen mit der speziellen Schluffi-Aura Ergänzungsspieler wie Christian Sengfelder (11 Einsätze), Justus Hollatz (11), David Krämer (9) oder Jonas Wohlfahrt-Bottermann (9), den alle nur Wobo nennen, am häufigsten zum Einsatz gekommen sind – und Krämer nun neben Leon Kratzer sogar aus dem EM-Kader gestrichen wurde.

Herbert hätte gern von Beginn an mit allen Schwergewichten jong­liert und die nervenzerreißende Qual der Wahl gehabt. Der Talentpool des deutschen Basketballs ist eigentlich gut gefüllt. Diverse Klassespieler haben ihren Weg in die US-Basketballliga NBA gefunden oder zu Topteams der Euroleague. Angesichts dieses Befundes schien heuer eher die Frage im Raum zu stehen: Wie geht Herbert mit den vielen Hochbegabten um? Kriegt er die vielen NBA-Jungs mit ihren Egos unter einen Hut? Jetzt seht fest: Herbert muss nehmen, was da ist. Nicht dabei sind: Maxi Kleber von den Dallas Mavericks, Isaiah Hartenstein (New York Knicks), Isaac Bonga (zuletzt Toronto Raptors und künftig Bayern München) und Moritz Wagner (Orlando Magic).

Wagner und Bonga sind verletzt, der Einsatz des Centers Daniel Theis (Indiana Pacers) ist fraglich. Der 2,04 Meter lange Profi, der zuletzt mit den Boston Celtics das NBA-Finale verloren hatte, schlägt sich mit einer Knieblessur herum, weshalb er fast die komplette Vorbereitung verpasst hat. Ebenfalls nicht dabei ist Tibor Pleiß, der mit Anadolu Efes Istanbul zweimal hintereinander die Euroleague gewonnen hat und bei den Türken als feste Größe gilt.

„Er fehlt uns“

Wegen der Personalsituation und überhaupt müsse das deutsche Team „humble“, also bescheiden, bleiben, sagt Dennis Schröder. Der Aufbauspieler in Diensten der Houston Rockets ist nicht nur – mit einer leichten Knöchelverletzung – dabei, er ist vom Trainer auch in die Rolle des Kapitäns geschubst worden. Weichen musste der 33-jährige Robin Benzing, der die Mannschaft jahrelang führte und nun nicht mehr im Kader steht. „Ich stehe fast täglich mit Robin in Kontakt. Er fehlt uns, und wir fehlen ihm“, sagt Schröder über den Routinier, der seit 2009 jeden Sommer für die Nationalmannschaft gespielt hatte. „Mit seiner Art war er immer ein sehr wichtiger Bestandteil der Mannschaft.“

Neben Schröder wird Franz Wagner das Team führen. Er ist als Rookie bei den Orlando Magic recht spektakulär in seine erste NBA-Saison gestartet, stand dort fast durchgehend in der Starting Five, also der Anfangsformation, und erzielte im Durchschnitt 15 Punkte pro Spiel bei einer Wurfquote von sehr ordentlichen 46,8 Prozent. Doch in erster Linie muss Dennis Schröder Verantwortung übernehmen, Qualitäten zeigen, die über Dribblings und Korbattacken hinausgehen. Zuerst im Spiel der Deutschen am Donnerstag gegen Frankreich (20.30; Magenta Sport), dann in den Folgetagen gegen Bosnien, Ungarn, Slowenien und Litauen.

Es gab in den vergangenen Jahren nicht wenige Beobachter, die glaubten, Schröder sei mit so einer Aufgabe überfordert, aber das kommende Turnier, das in vier Ländern (Georgien, Italien, Tschechien und Deutschland) und wegen dieser Coronasache ein Jahr verspätet stattfindet, könnte die Skeptiker eines Besseren belehren, wenngleich die Vorbereitung mit Höhen und Tiefen verlief.

Das Team des Deutschen Basketball-Bundes ist noch immer in der Findungsphase. Zuletzt überzeugte es in einem Qualifikationsspiel für die Basketball-WM 2023 mit einem Sieg gegen Slowenien, den selbst Superstar Luka Doncic nicht verhindern konnte. Aber es gab auch Schwächephasen, in denen das Spiel der Deutschen zu einem unansehnlichen Etwas regredierte. Die zweite Halbzeit gegen Schweden war mies, noch mieser das Spiel gegen Estland.

Das Team des Deutschen Basketball-Bundes, angetreten, um mit einer Konzentration der Kräfte den Titel nach 1993 wieder einmal gewinnen zu können, ist nach dem holprigen Casting aus dem Ranking der Favoriten herausgerutscht. Das Gros der Basketballjournalisten sieht Frankreich, Slowenien, Griechenland, Serbien oder Litauen vorn. Basketball-Faktotum Frank Buschmann will auf Twitter die Hoffnung nicht aufgeben: „Es wird nur über Teamchemie und Mentalität zu lösen sein“, schreibt der Kommentator. Und Dennis Schröder? Der verspricht, „ready“ zu sein.

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