Baseballteam verlässt Oakland: Oaklands emotionaler Abschied vom A
Oakland muss die legendären Athletics ziehen lassen. Die einstige Erfolgsstrategie scheint dem Klub letztlich zum Verhängnis geworden zu sein.
Nach 4.493 Spielen in 57 Jahren gingen im Coliseum die Lichter aus. Die Betonschüssel in der kalifornischen Hafenstadt war bis Donnerstag Heimstätte der Athletics, die ihr letztes Spiel vor 46.000 Fans mit 3-2 gegen die Texas Rangers gewannen. Für Oakland endet eine Ära. Das Baseballteam mit dem ikonischen „A’s“-Logo und den grün-goldenen Trikots verlässt zum Saisonende die Stadt, in der es seit 1968 zu Hause war. Die „Heimspiele“ trägt es ab April in Sacramento aus, 2028 zieht das Franchise nach Las Vegas.
Im US-Sport keine Seltenheit. Auch die Athletics spielten in Philadelphia und Kansas City, bevor es nach Kalifornien ging. Oakland, so etwas wie die unterprivilegierte Stiefschwester im Schatten San Franciscos, trifft der Verlust allerdings ungleich härter: Die Geburtsstadt von Kamala Harris, industriell, arm, aber mit ihrer diversen Sozialstruktur ohne klare ethnische Bevölkerungsmehrheit auch kultureller Fluchtpunkt in der sich immer weiter gentrifizierenden Bay-Area wird sportpolitisch abgehängt. Nach den Golden State Warriors (NBA) und den Raiders (NFL) verliert sie innerhalb weniger Jahre ihr letztes Profiteam, ein besonders schillerndes dazu, und damit ein Stück Identität.
Die „Swinging A’s“ der 1970er Jahre gehören zu den großen Teams des Sports, vergleichbar mit Ajax Amsterdam im europäischen Fußball. Die Spieler sind Legenden, ihre Namen Musik in den Ohren der Fans: Der kubanische Shortstop Dagoberto Campaneris Blanco, genannt Bert, bis heute Rekordspieler der Athletics (1.795 Spiele). Pitcher Rollie Fingers, berühmt für seinen Fastball und den exaltierten Schnauzer.
Modisch im konservativen Baseball ein Statement, sportlich eine Zeitenwende, mit ihm wurde quasi die Rolle des Closers erfunden, dem Wurfspezialisten, der in den späten Innings eine knappe Führung nach Hause bringt. Oder Outfielder Reggie Jackson, Nickname „Mr. October“, wo im Baseball Titel geholt werden. Das Team gewann drei World Series hintereinander.
„Earthquake Series“
Unter Coachlegende Tony La Russa kam 1989 eine weitere hinzu. Gegner waren die Giants von der anderen Seite der Bay. Doch seine Dramatik bezog das Derby nicht aus der Rivalität beider Mannschaften. Der Candlestick Park von San Francisco war eine halbe Stunde vor Beginn des dritten Spiels gut gefüllt, als die Erde zu beben begann. „I’ll tell you what, we’re having an earth…“ sagte ABC-Kommentator Al Michaels, bevor die Übertragung abbrach.
Im Stadion kam niemand zu Schaden, aber das Loma-Prieta-Erdbeben mit der Stärke von 7,1 kostete 63 Menschen das Leben. Möglicherweise verhinderte das Spiel weitere Opfer, viele Pendler saßen bereits zu Hause vor dem Fernseher. Das später wieder aufgenommene Duell ging als „Earthquake Series“ in die Geschichte ein, welche die A’s im Best of Seven Modus mit 4-0 Siegen klar für sich entschieden. Danach zerfiel das Team um Denis Eckersley und Ricky Henderson, dem Spieler mit den meisten Stolen Bases im Major League Baseball (1.406).
Um die Jahrtausendwende revolutionierte der Klub das Spiel, was sich weniger an Titeln bemaß als am Impact. Popkulturell durch den Film mit Brad Pitt geadelt, ist der Ansatz sportlich mit Billy Beane verknüpft, seit 1997 General Manager, auf den sich heute sportübergreifend neben vielen anderen Vereinen auch der FC Liverpool beruft.
Es geht um eine dem Baseball ureigene Leidenschaft: Statistik. Der Name: Moneyball. Ziel war es, auf teure Stars zu verzichten und stattdessen mit schmalem Budget eine erfolgreiche Mannschaft auf der Basis von Daten (Sabermetrics) aufzubauen. Ein Märchen, das seinen Höhepunkt 2002 erreichte, als ein fast namenloses Team 20 Spiele in Folge und schließlich die Division gewann. Bis 2020 folgten fünf Division-Titel, zu mehr sollte es nicht reichen.
Steilvorlage zum Kaputtsparen
Das notorische Scheitern in den Play-offs gehört heute fast zur Folklore des Klubs, legt aber auch die Schwachstelle des Moneyballs offen, dass bei den Entscheidungsspielen vielleicht doch die Stars den Unterschied machen. Wie es geht, zeigen die Houston Astros, die bis 2016 in der derselben Division herumdümpelten, dann auf der Basis der Sabermetrics gezielt Geld in die Hand nahmen und zweimal die World Series gewannen.
In Oakland lief es anders. In der Rückschau scheint der Erfolg der Moneyball-Jahre dem Klub zum Verhängnis geworden zu sein, denn sie lieferten Eigentümer John Fisher aus der Komfortzone des Underdogs heraus die Steilvorlage, das Team kaputtzusparen: Seht her, es geht doch prima ohne Geld. Dass dieses Model auch in neue Spieler investieren muss – geschenkt. Die Fans reagierten mit der im US-Sport beispiellosen Sell-the-Team-Protestkampagne, in der sie Fisher aufforderten, nicht die Spieler, sondern den Klub zu verkaufen. Als der Erfolg und die Zuschauer wegblieben, bestärkte dies Fisher, Oakland zu verlassen. Oder war es Teil seines Plans? Zu seinen Motiven schweigt er, es passiert einfach.
Seit Jahren verrottet das marode Coliseum. Möglich, dass er die zähen Verhandlungen mit der klammen Stadt über ein neues Stadion nur zum Schein führte, während der Deal mit Las Vegas längst eingetütet war. In der aktuellen Gehaltsliste belegen die A’s mit 62 Mio. Dollar abgeschlagen den letzten Platz. Eine Website für Sportwetten kommentierte trocken: The Athletics don’t care about their current on-field product.
Fischers zynisches Gebaren erinnert an den Baseballfilm „Die Indianer von Cleveland“, in dem eine gierige Eigentümerin eine Mannschaft voller Luschen zusammenstellt, um das Team aus der grauen Arbeiterstadt nach erfolgloser Saison ins sonnige Florida zu verpflanzen. Im Film scheitert der Plan natürlich, denn die vermeintlichen Loser berappeln sich und gewinnen die Meisterschaft.
Das wird den A's nicht gelingen. Man schwelgt seit Wochen in Nostalgie und ist froh, dass die Spielzeit besser lief als die Horrorsaison im letzten Jahr, als das junge Team mit 112 Niederlagen nur knapp am schlechtesten Rekord seit Jahrzehnten vorbeischrammte. Am Sonntag bestreiten sie ihr finales Spiel. Auswärts. In Seattle. Dann heißt es zum letzten Mal: Let’s go Oakland!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Verbotskultur auf Social Media
Jugendschutz ohne Jugend
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“