Barrierefreis Bahnreisen: Ziel kaum erreichbar
Bis zum Jahr 2022 muss der öffentliche Personennahverkehr in Deutschland barrierefrei sein. Das ist kaum zu schaffen.
Für Menschen, die einen Rollstuhl benutzen müssen, ist es mit dem Flieger weitaus einfacher als mit der Bahn, etwa von München nach Hamburg zu kommen. „Ich würde empfehlen zu fliegen“, sagt Dominik Peter, Vorsitzender des Berliner Behindertenverbandes „Für Selbstbestimmung und Würde“.
Anders als die Deutsche Bahn haben Fluggesellschaften und -häfen in Europa eine gut funktionierende Infrastruktur für gehbehinderte Menschen aufgebaut, ist Peters Erfahrung. „Manchmal muss man ein bisschen warten, aber im Großen und Ganzen läuft es wunderbar“, sagt der 55-jährige Rollstuhlfahrer.
Bei der Bahn ist er auf Servicepersonal angewiesen – ist keines verfügbar, komme er nicht in den Zug hinein oder hinaus. Der Personalmangel bei der Bahn schränkt die Flexibilität des Reisens für Personen mit einer Beeinträchtigung ein. Reisen müssen lange im Voraus angemeldet werden.
Einen Vorteil hat das Bahnfahren allerdings: Menschen mit einem entsprechenden Vermerk im Behindertenausweis können kostenlos eine Begleitperson mitnehmen. In Europa gilt das im Flugzeug – anders als etwa in Australien – nicht. Und noch einen Nachteil haben Flieger neben der schlechten Ökobilanz: Behindertengerechte Toiletten fehlen.
Busreisen unmöglich
Rund 10 Prozent der BürgerInnen in Deutschland sind auf einen barrierefreien öffentlichen Nah- und Fernverkehr angewiesen, weil sie seh- oder gehbehindert oder auf andere Weise beeinträchtigt sind. Doch viele Verkehrsunternehmen sind darauf nicht eingestellt.
Heute sind Menschen mit Rollstuhl vom Fernbusverkehr – der preiswerten Alternative zu Bahn und Flieger – faktisch ausgeschlossen. Marktführer Flixbus setzt nach eigenen Angaben nur vereinzelt barrierefreie Busse ein. Der überwiegende Teil der deutschen Fernbushaltestellen und Autobahnraststätten sei nicht behindertengerecht ausgestattet, teilt das Unternehmen mit.
Immerhin: Fernbusse müssen ab 2020 mindestens zwei Plätze für RollstuhlfahrerInnen vorsehen und über eine Einstiegshilfe verfügen. Ob das tatsächlich umgesetzt wird, ist abzuwarten. Der Sozialverband VdK fordert eine zentrale Kontrolle des bundesweiten Fahrzeugbestands und der neu anzuschaffenden Fahrzeuge im Fernlinienbusverkehr.
Künftig soll es für Menschen im Rollstuhl, mit Rollator oder Kinderwagen einfacher werden, den Bus, die Straßen- oder U-Bahn zu nehmen. Der öffentliche Personennahverkehr muss bis zum Jahr 2022 komplett barrierefrei sein. Das sieht das 2013 novellierte Personenbeförderungsgesetz vor.
Nur 70 Prozent der Bahnhöfe
„Doch das Jahr 2022 wird vorbeigehen, und wir werden keine komplette Barrierefreiheit haben“, befürchtet Peter. In Berlin ist die Lage vergleichsweise gut, findet er. Hier seien auch die Behindertenverbände stark und fänden beim Senat Gehör. „Aber bundesweit wird viel zu wenig getan“, so Peter.
Noch immer sind Busse nicht flächendeckend für den Transport von Rollstuhlfahrern eingerichtet. Noch immer schaffen Verkehrsbetriebe Fahrzeuge an, die für Menschen mit Rollstuhl nicht ohne Probleme nutzbar sind, kritisiert Peter. „In Hamburg werden S-Bahnzüge bestellt, die nicht barrierefrei sind“, sagt er.
Dennoch: Verglichen mit der Deutschen Bahn, sei bei vielen kommunalen Verkehrsunternehmen viel geschehen, um Barrierefreiheit zu schaffen, sagt Matthias Gastel, bahnpolitischer Sprecher und Bundestagsabgeordneter der Grünen. „Auch bei den Bussen sind wir recht weit, zumal dort der Fahrer immer beim Einstieg mit Klapprampen helfen kann.“
Bei der Bahn dagegen werden viele Bahnsteige auch in den nächsten Jahren nicht mit Aufzügen oder Rampen ausgestattet sein. „Die Bahn sagt zwar, dass heute schon 70 Prozent der Reisenden barrierefrei zum Bahnsteig gelangen, aber wann der letzte Bahnhof barrierefrei sein wird, steht in den Sternen“, kritisiert Gastel. Vor allem an Stationen mit unter 1.000 Reisenden am Tag passiere viel zu wenig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Klimakiller Landwirtschaft
Immer weniger Schweine und Rinder in Deutschland