: „Barre hat Angst, nochmal Leute zu erschießen“
■ Ein Gespräch mit dem Oppositionspolitiker Nur Ahmed Weheliye über das „Manifest“ und den Widerstand
INTERVIEW
In diesen Wochen hat sich die Krise des Barre-Regimes spürbar verschärft. 114 prominente Politiker und Persönlichkeiten Somalias verfaßten im Mai 1990 ein „Somalisches Manifest“, in dem die Situation des Landes und die Notwendigkeit eines demokratischen Wandels dargelegt wird (siehe nebenstehende Dokumentation). Diese Initiative sollte die Opposition im Land und im Exil zusammenführen, um einen ersten Schritt zu einem gemeinsamen Programm zu tun. Nur Ahmed Weheliye, einer der Erstunterzeichner des Manifests und Mitglied des „United Somali Congress“, gibt Auskunft über die Zeit seit der Veröffentlichung des Manifests.
taz: Wie hat Präsident Siad Barre auf das Manifest reagiert?
Weheliye: Ich glaube, Barre hat das nicht erwartet. Es sind prominente Leute unter den Unterzeichnern, frührere Politiker, der erste somalische Präsident ist dabei, viele sehr wichtige Leute, religiöse Führer, Intellektuelle. Alle somalischen Stämme sind repräsentiert und auch alle Klassen, Schichten. Er hat das nicht erwartet und war sehr böse. Er hat gesagt, ich habe diesen Brief nicht bekommen, und Ende Juni hat er eine Gruppe von 47 Leuten ins Gefängnis gesteckt.
Während sie im Gefängnis saßen, gab es in Mogadischu die Stadion-Affäre. Das war am 6.Juli. Siad Barre wollte im Mogadischu-Stadion auftreten und eine Rede halten, vor einem Fußballspiel, und er wurde ausgepfiffen. Das war das erste Mal in der Geschichte, daß er öffentlich ausgepfiffen wurde; obwohl er sehr verhaßt war, haben die Leute immer gejubelt, er hatte immer eine Gruppe von Leuten, die geklatscht haben, wie bei Ceausescu. Es war das erste Mal, daß ihn eine große Menschenmenge ausgepfiffen hat. Seine Sicherheitskräfte haben sehr viele Leute erschossen. Die genaue Zahl kennen wir nicht. Einige Ausländer, die da waren, haben gesagt, 200 bis 600 sind gestorben.
600 Tote im Stadion?
Ja. Und das war neu. Es hat die Menschen sehr erregt. Wenig später, am 15.Juli, sollte der Prozeß gegen die 47 beginnen unter den „National Security Laws“. Nach diesen Gesetzen wird jeder, der gegen die Regierung ist, zum Tode verurteilt. Doch es haben Tausende von Leuten vor dem Gerichtsgebäude demonstriert. Es hätte zu Auseinandersetzungen kommen können. Der Richter hat drei Stunden die Klageschrift verlesen und danach die Angeklagten freigesprochen. Barre hatte das befohlen. Er hat bestimmt Angst gehabt, nochmal Leute zu erschießen. Danach gab es ein großes Fest auf der Straße.
In letzter Zeit sind auch viele Bomben explodiert, und viele Ausländer sind getötet worden. Ein Italiener ist getötet worden, eine Deutsche, eine Amerikanerin, alles innerhalb von zwei Monaten.
Nun hat ja Siad Barre gesagt, daß er im September möglicherweise zurücktreten und mehr Demokratie einführen würde.
Er hat im letzten Jahr gesagt, er würde mit der Opposition sprechen, wo sie wollten, wann sie wollten; er wäre nicht bereit zurückzutreten, aber er werde einen Demokratisierungsprozeß durchzuführen. Und es war kurz danach, daß er in Mogadischu Leute erschossen hat (siehe obenstehenden Bericht, d.Red.). Wir Somalis sagen immer, er erzählt von der Demokratisierung, das erzählt er den Ausländern, aber wir glauben ihm nichts! Gar nichts. Er hat keinen Spielraum mehr.
Wie ist momentan die militärische Lage zwischen der Armee und der Opposition?
Am aktivsten in den letzten paar Monaten war die USC in Zentralsomalia. Gerade in den letzten Tagen haben wir gehört, daß sie mehrere Male Provinzhauptstädte wie Galkayo und Bulo Burti angegriffen hat, daß der Oberbefehlshaber der Regierungstruppen dieser Region und viele Offiziere getötet wurden und daß die Rebellen viele Waffen erbeutet haben.
Bekommen sie Unterstützung aus Äthiopien?
Ja, aus Äthiopien bekommt die Organisation hauptsächlich logistische Unterstützung. Was Waffen anbetrifft, kriegen sie mehr von Barres Soldaten, sie erbeuten die wichtigsten Bestände ihrer Waffenlager selbst.
Von wem bekommt Barre seine Waffen?
Barre kriegt seine Unterstützung jetzt hauptsächlich von Libyen. In den letzten Tagen ist er auch nach Irak geflogen. Italien hat ihn auch unterstützt, die Amerikaner auch ein bißchen, der Kongreß ist dagegen, aber er hat dort auch was bekommen. Und ich glaube, die Deutschen geben auch.
Geben die Deutschen auch Militärhilfe?
Die Deutschen, nein, sie unterstützen die Polizei, aber sie kann man auch gegen die Bevölkerung einsetzen.
Interview: Dominic Johnson
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