Bankenaufsicht in Deutschland: Die hilflosen Regulierer
Bei der Regulierung der Finanzmärkte ist jeder für sich allein. Eine wirksame Kooperation der nationalen Regierungen und Aufseher findet noch zu selten statt.
Schnee fällt in London nur alle paar Jahre für wenige Stunden. Dass die britische Hauptstadt darauf nicht eingerichtet ist, musste Jochen Sanio leidvoll erfahren. Nach einem langen Verhandlungstag hatte der Chef der deutschen Finanzaufsicht schon die Abend-Maschine bestiegen, als der Pilot verkündete, das einzige verfügbare Enteisungsgerät des Airports Heathrow werde das Flugzeug nun startklar machen. Allerdings: Das Eis auf den Tragflächen war zu dick. Mit seiner nächsten Ansage forderte der Pilot die Passagiere zum Aussteigen auf - und fügte hinzu: "Nun ist jeder auf sich allein gestellt".
Der Chef der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) erzählt diese Anekdote, um zu illustrieren, wie es um die internationalen Bemühungen zur Regulierung der Finanzmärkte bestellt ist. Jeder für sich allein: Eine wirksame Kooperation der nationalen Regierungen und Aufseher findet zu selten statt.
Die Verhandlungen sind sehr mühsam, die Fortschritte halten sich in Grenzen. Dabei haben die Regierungen der mächtigsten Wirtschaftsnationen (G20) die Latte bei ihrem Gipfel in Washington im November 2008 selbst sehr hoch gelegt. Den mächtigen Rating-Agenturen wollte man einen weltweiten Verhaltenskodex verordnen und die Hedgefonds zur Offenlegung ihrer Geschäfte zwingen.
Hauptaufgabe: Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) soll Banken, Versicherungen und den Wertpapierhandel in Deutschland überwachen. Ziel ist es, die Funktionsfähigkeit des deutschen Finanzsystems sicherzustellen.
Vorgehen: Im Rahmen der Bankenaufsicht überwacht die in Bonn und Frankfurt ansässige Behörde die Einhaltung des Kreditwesengesetzes (KWG) - der zentralen Rechtsgrundlage für die Ausübung von Bankgeschäften. Unter anderem kontrolliert die BaFin etwa die Ausstattung von Banken mit Liquidität und Eigenkapital, sie prüft die Tragfähigkeit der Geschäftsmodelle und die Einberufung von Bankvorständen. Darüber hinaus kann die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht in bestimmten Fällen Sonderprüfungen anordnen, die von Mitarbeitern der Behörde vor Ort durchgeführt werden.
Arbeitsteilung: Die Bankenaufsicht erfolgt in Zusammenarbeit mit der Bundesbank. Diese Arbeitsteilung führt in der Öffentlichkeit häufig zu Kritik. Bei der Wertpapieraufsicht hat die BaFin das Ziel, die Funktionsfähigkeit des Börsenhandels zu gewährleisten. Eine Hauptaufgabe ist hier die Unterbindung von Insiderhandel. Neben der Kontrolle des Bank- und Versicherungsgeschäfts ist sie auch für die Bekämpfung von Geldwäsche zuständig.
Jochen Sanio
Der Jurist wurde 1947 in Hameln geboren und kam 1974 zum Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen. Er übernahm die Leitung der Grundsatzabteilung, bis er schließlich 1995 Vizepräsident des Bundesaufsichtsamtes wurde. Ab 1990 macht sich Sanio einen Namen bei den Verhandlungen in Basel zwischen den 13 wichtigsten Industrieländern.
2002 organisiert er die Zusammenlegung des Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen mit dem für den Wertpapierhandelund dem für das Versicherungswesen zur BaFin. Sanio übernahm als so die Leitung von 1700 Mitarbeitern.
Ansagen wie diese brachen mit der Logik der Vergangenheit. War es in den vergangenen Jahrzehnten immer darum gegangen, die staatliche Kontrolle der Wirtschaft zu schwächen, sollte sie nun verstärkt werden. Um eine Finanzkrise wie die gegenwärtige unwahrscheinlicher zu machen, wollte man "alle Finanzmärkte, Produkte und Teilnehmer angemessen regulieren oder einer Überwachung unterwerfen".
Solche "klaren Aussagen gilt es nun konsequent in die Tat umzusetzen - ohne die im Text angelegten Hintertürchen zu öffnen", sagt Jochen Sanio. "Unter den heutigen krisenhaften Zuständen sind nur robuste Aufsichtsansätze angemessen, deren Regeln mit hoheitlichen Mitteln durchgesetzt werden können."
In diesen Worten schwingt die Befürchtung mit, dass manche notwendige Regulierung jetzt, da der Druck der Krise nachlässt, auf der Strecke bleiben könnte. So hat die EU-Kommission die Banken verpflichtet, fünf Prozent der Wertpapiere in ihrer Bilanz zu halten, wenn sie neue, risikoreiche Finanzprodukte verkaufen. "Das ist das absolute Minimum. Ich will 20 Prozent", kritisierte daraufhin Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD). Aber ein so hoher Eigenanteil würde die Geschäfte der Banken merklich bremsen, was die EU-Kommission im Interesse der Institute offenbar verhindern will.
Ähnlich sieht die Lage bei den Rating-Agenturen aus. Diese Firmen wie Moody's, Standard & Poor's und Fitch werden für die Finanzkrise mitverantwortlich gemacht, weil sie Bestnoten für Wertpapiere vergeben hatten, die sich später als wertlos und verlustträchtig entpuppten. "Die drei weltweit dominierenden US-amerikanischen Rating-Agenturen sind der Prototyp eines global players", sagt Sanio, "um die massiven Probleme, die sie aufwerfen, in den Griff zu bekommen, brauchen wir eine internationale Aufsichtsinstanz. Die müsste harte Kontroll- und Prüfungsrechte haben, damit sie die Rating-Agenturen auf dem Pfad der Tugend halten kann."
Was der irische EU-Binnenmarkt-Kommissar Charlie McCreevy, ein Anhänger möglichst schwacher Regulierung, nun vorgelegt hat, wird diesem Anspruch nicht gerecht. Zwar ist auch McCreevy bereit, eine europäische Registrierung der Agenturen zu etablieren. Den Ansatz der weltweiten Kontrolle der einflussreichen Firmen hat er damit aber erst zunichte gemacht.
In Sachen "Hedgefonds" ist die Gegenwehr namentlich der britischen Regierung noch offensichtlicher. Finanz-Staatssekretär Paul Myners reist gegenwärtig durch Europa, um andere Regierungen auf seine Seite zu ziehen. Das Ziel: Unter anderem will Myners die geplanten Informationspflichten der Risiko-Investoren reduzieren. Gelinge dies nicht, wanderten die Fonds aus dem Finanzzentrum London ab, argumentiert Myners. Deshalb will die britische Regierung die Regulierung der Hedgefonds nur möglichst schwach ausgestalten.
Aber selbst derartige Widerstände können gewisse Fortschritte nicht verhindern. Ein Beispiel: Die EU-Finanzminister haben unlängst beschlossen, drei neue Behörden für die europaweite Kontrolle der Börsen, Banken und Versicherungen zu gründen, wahrscheinlich in Form von EU-Agenturen. "Diese werden zunächst begrenzte Zuständigkeiten haben, doch es wird wohl nur ein paar Jahre dauern, bis sich daraus mächtige Aufsichtsbehörden mit weitreichenden Kompetenzen entwickeln", sagt der BaFin-Chef.
Bessere Möglichkeiten haben die Bankenaufseher neuerdings auch in Deutschland. Sollten Prüfungen ergeben, dass ein Institut über zu wenig Eigenkapital verfügt, kann die BaFin die jeweilige Bank vorsorgend zur Erhöhung ihrer Eigenkapitalquote verpflichten. Die Höhe des notwendigen Eigenkapitals ist mitentscheidend dafür, welche Risiken ein Institut eingehen kann. Der Charme der neuen Regelung: In letzter Konsequenz kann die BaFin Banken zur Teilnahme am Bad-Bank-Modell zwingen. Augenblicklich zieren sich die meisten Institute noch, ihre faulen Wertpapiere, die Sanio auf insgesamt rund 200 Milliarden Euro beziffert, auf der unlängst vom Bundestag beschlossenen staatlichen Mülldeponie abzuladen. Diese Lösung erscheint den Banken zu teuer, weil sie als Gegenleistung für die Stützung entsprechende Gebühren an den Staat zahlen sollen.
Diese Schritte zur Regulierung der Finanzmärkte wurden durch die Krise ausgelöst. Ob ein künftiger erneuter Zusammenbruch durch die ausgeweitete staatliche Kontrolle der Banken, Produkte und Akteure aber zu verhindern wäre, steht auf einem anderen Blatt.
Zwar haben die G20-Regierungen auch beschlossen, zusätzlich eine neue globale Aufsicht einzurichten. Der Internationale Währungsfonds wird mit der intensiven Beobachtung der globalen Finanzmärkte zu betraut. Das Financial Stability Board, in dem die Finanzaufseher und Notenbanken der G20-Staaten zusammenarbeiten, bekommt mehr Möglichkeiten. Und der neue Europäische Rat für Systemrisiken wird die künftige globale Aufsichtsstruktur komplettieren.
Aber die gemeinsame Kontrolle der Märkte ist immer nur so gut, wie die Beteiligten bereit sind, im großen Kreis Auskunft über die Risiken zu geben, die im eigenen Land auftauchen. Genau daran habe es gehapert, meint BaFin-Chef Sanio: "Die Finanzkrise hat bei allen Aufsehern Wissenslücken offenbar werden lassen - und zwar nicht auf der Mikro-Ebene, also der der einzelnen Banken, sondern auf der Marko-Ebene, auf der sich Risiken entwickeln, die das internationale Finanzsystem gefährden können."
Wird sich daran etwas ändern? Was die Zukunft der neuen internationalen Zusammenarbeit betrifft, ist Sanio nicht gerade optimistisch: "Das dürfte ein schwieriges Unterfangen werden. Denn selbst wenn die Krisen-Diagnose gelingt, fragt sich doch, welche Therapie zum Einsatz kommen soll." Wie man am hinhaltenden Widerstand der britischen Regierung erkennt, scheiden sich an wirksamen Gegenmaßnahmen oft die Geister.
"Unter den heutigen krisenhaften Zuständen sind nur robuste Aufsichtsansätze angemessen"
Noch zieren sich die Institute noch, faule Wertpapiere, auf der staatlichen Mülldeponie abzuladen
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