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Balzverhalten –96

■ Modernes Liebeswerben per Computer und Laternenpfahl

Ach, Hölderlin! Wie schön umgarntest du Diotima. Du ließest sie baden im Fluß deiner Worte, in zierlich geschnitzten Metaphern und allerfeinsten Andeutungen. Silbe für Silbe süßestes Sehnen, Brief an Brief gekoppelt wie ein Kuß.

Heutzutage hängt ein Computerausdruck am Laternenpfal: „Marco verzweifelt gesucht“. Mehr als 150 Exemplare kamen vor einigen Tagen nieder über Bremen und Bremerhaven. Denn hier muß er irgendwo leben, Marco, der verlorene Angebetete. Ein kleiner Anker rechts im Bild stellt einen deutlichen Bezug zum Maritimen her. Das schien der Absenderin wichtig, denn sie wohnt in Kassel.

Wer denkt, bei Marco handele es sich um einen Kater, wird schnell per Aushang eines Besseren belehrt. Marco ist 1,80 Meter groß, dunkelblond und Jeansträger. Mitte Juni war er mit einem Fußballverein im holländischen Stavoren und verdrehte Susanne K. in der ortseigenen Disco am Hafen den Kopf. Darüber vergaßen beide die Zeit. Als die Tür geschlossen wurde, fanden sie sich draußen wieder. Versunken in Flirt und Regen. Und wären wohl dort noch lange geblieben, wenn, ja wenn nicht Susannes Freundin jetzt doch ein wenig gedrängt hätte, ins Feriendomizil zurückzukehren. Der zuvor beschworene Austausch der Adressen ging „in dem ganzen Streß“ unter.

Seitdem sucht Susanne ihren Marco. Verzweifelt. Zuerst faxte sie alle Fußballvereine an. Vergeblich, kein Marco paßte zur Beschreibung. Dann ließ die 20jährige ihn per Radiodurchsage suchen. Keine Reaktion, kein Anruf, kein Marco. Schließlich hatte sie die Idee, ihn per Aushang aufzuspüren. Freundin und Schwester standen hilfreich zur Seite. Sie vereinten Trauer, Trost und Hoffnung am Computerbildschirm, ließen den Drucker surren und brachen frohen Mutes in Kassel zum Nordischen auf. Seither prangt Susannes Telefonnummer an jeder bremischen Ecke.

Noch am selben Abend litten Susannes Eltern unter Daueranrufern. Alle wollten Marco sein. Nahezu 20 junge Männer rangelten sich um Zuwendung. Doch keiner war der echte Prinz. Das merkte Susanne beim Rückruf durch kluges Nachfragen. Einer bot ihr gar Telefonsex an. Selbst in der Nacht wird sie seither markotisiert. Das hatte sie nicht gewollt. Obschon, sagt sie, die ganze Aktion „auch viel Spaß gemacht hat“. Nur die Telefonnummer wird nicht mehr öffentlich rausgegeben. Auch nicht für den entfernten Geliebten.

Doch Susanne K. ist entschlossen, weitere Schritte zu unternehmen. Sie gibt sich nicht geschlagen. Schließlich weiß sie, was sie will. Sie wird nicht in stillem Liebesleid vergehen. Wild entschlossen ist die angehende Erzieherin, ihren Schatz zu finden. Wie jene Susan aus der Madonna-Filmvorlage. Und bei der hat's schließlich auch geklappt. Obwohl: „Wenn nicht, dann nicht“, sagt die Kasseler Susanne am Ende unbekümmert und ohne jeden Anflug von Romantik. Aber haben möchte sie ihn schon, den Marco. Und dabei wollen wir sie, getreu dem Motto „taz hilft“, gerne unterstützen: Wer über Marcos verbleib etwas weiß, möge sich melden. Ernstgemeinte Zuschriften sind unter „Marco“ in der taz abzugeben.

dah

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