Ballett über Oscar Wilde: Sehnsucht nach Begegnung

Leben und Werk eines Ahnherren der Äußerlichkeit: „A Wilde Story“ ist die neue Arbeit des preisgekrönten Choreografen Marco Goecke in Hannover.

ein dunkler Hintergrund, rechts im Bild küssen sich zwei Personen

Herrlich lang: ein Kuss zwischen Teleny (Louis Steinmetz) und Oscar Wilde (Conal Francis Martin) Foto: Bettina Stöß

HANNOVER taz | Versunken in fein austarierten Schwarz- und Grautönen ist die Bühne, auf dem Prospekt im Hintergrund versteckt sich eine nachtumhüllte Ruine. Selten erwärmen Lichtstrahlen das seelendunkle bis todestrunkene Ambiente. Es zu beleben, sich darin behaupten zu wollen, das versucht ein hypernervöser, hochvirtuoser High-Energy-Tänzer: Seine Füße trippeln, die Hände flattern, die Arme zittern wie bei einem flügge werdenden Vogel. Selbstverzückt vibrierend räkelt er sich empor in seiner physischen Pracht.

Den Körper extrem angespannt, entfahren dem Mann eruptiv immer wieder die kantigen Bewegungen, wie sie Choreograf Marco Goecke seinen streng klassisch ausgebildeten Ballettkünstlern anzutrainieren pflegt. In diesem Fall soll es sich bei dem Solisten um den Darsteller des Salonlöwen Oscar Wilde handeln (Conal Francis-Martin/Maurus Gauthier), der gerade mit der Energie des literarischen Schaffensdrangs – als Versteck und Heimat homosexueller Leidenschaften – seine Dandy-Rolle modelliert und so dem puritanisch verdrucksten Zeitalter der Königin Victoria trotzt. Dazu erklingen, etwas zu leise, die Smashing Pumpkins mit ihrem optimistischen „Tonight“-Song: „The impossible is possible tonight“; es folgen live aus dem Orchestergraben eher spätromantische Klänge.

„A Wilde Story“ ist die neue Produktion des Hannoveraner Ballettchefs betitelt, der gerade mit dem Deutschen Tanzpreis ausgezeichnet wurde. Wildes Leben und Werk zu vertanzen, scheint ungewöhnlich angesichts der abgezirkelten, jeglicher Zierrat abholden Handschrift des Choreografen.

Steht der irische Schriftsteller doch für das Gegenteil, die Ausschweifungen des Fin de Siècle, und propagiert als Ahnherr des Ästhetizismus ein süßlich parfümiertes Schönheitsideal. Aus dem Kult der Äußerlichkeit entwickelte Wilde eine Idee von Kunst, die „amoralisch“ und „völlig nutzlos“, ohne didaktische Funktion sein müsse, „niemals etwas anderes als sich selbst“ ausdrücken soll – ihre unmittelbare Wirkung auf Geist und Gefühl habe Vorrang über inhaltlich konkrete Aussagen.

6., 9., 11., 18., 20. + 26. 11., Staatstheater Hannover, Opernhaus

Genau so kann der Abend wahrgenommen werden. Ist doch der einzigartige Tanzstil Goeckes in der atemberaubend perfekten Darbietung seiner Compagnie allein schon ein sensationelles Ereignis, begeisternd nicht als Ausdruck irgendwessen, sondern schon als pure Form. „A Wilde Story“ hat daher immer auch etwas leerlaufend Maschinelles; wirkt manchmal wie ferngesteuerte Robotik. Zudem sind die Verquickungen von Motiven aus Wildes Kunstmärchen, seinem Roman „Dorian Gray“ und seiner eigenen Biografie dramaturgisch eher fluide denn präzise.

Die im Programmheft ausformulierten Inhaltsangaben der Szenen sind auf der Bühne nur angedeutet. Goecke will mehr. Zum Ausdeuten des behaupteten inneren Diskurses ist das Publikum allein auf den Bewegungskanon angewiesen. Denn die Sprechakte der Tän­ze­r:in­nen sowie die rezitierten Textpassagen aus den Lautsprechern bleiben akustisch unverständlich.

Mit Sopranistin Kiandra Howarth gelingt Goecke allerdings ein deutlich sprechendes Bild. Sie singt vom „Glück, das mir verblieb“, das Lied aus Erich Wolfgang Korngolds Oper „Die tote Stadt“ beschwört Liebe und Geborgenheit. Wildes Darsteller starrt die Sängerin dabei offenbarungsselig an, kämpft er doch um alle Formen der Liebe. Ohne sich für das komplizierte Verhältnis von Literatur und Leben genauer zu interessieren, zeigt Goecke, wie Wilde das Geliebtwerden im Berühmtsein genießt, sich in zugespieltem Applaus sonnt. Aber auch, wie er immer wieder hilflos mit seiner Frau um Nähe ringt, ohne dass es je zur innigen Umarmung kommt.

Mit dem Freund aber: gegenseitiges Hinternstreicheln und In-den-Schritt-Fassen, herrlich lang währt ein Kuss der beiden. Wieder getrennt, führt Wilde dann gern mal mächtige Onaniergesten aus. Sexuelles Begehren und der Sinn für Schönheit verbinden sich mit der Eitelkeit des Geltungsbedürftigen.

Aber worum geht es jenseits des Offensichtlichen? Hast und Getriebenheit kennzeichnet die Auftritte des Ensembles. Kaum organischer Bewegungsfluss, stattdessen blitzschnelle Verausgabungen. Überall Sehnsucht nach Begegnung, nie aber deren Erfüllung.

Stets neu zelebrieren die halbnackten Männerkörper wie unter Strom ihre Muskelspiele, wirbeln um sich selbst – als Feier ihrer selbst? Fetischisierung des Körpers? Oder sind sie scheiternde Entgrenzungskünstler wider verdrängte Wahrheiten und gesellschaftliche Zwänge? Mehrmals enden Szenen mit zu Schrei­fratzen gefrorenen Gesichtern, etwa wenn jemand ein Kreuz Kirche zeigt, während sich dahinter ein männliches Liebespaar umgarnt.

Zum Finale fällt der Bühnenprospekt um, Wilde ist allein, nach Haft und Zwangsarbeit wegen homosexuellen Lebenswandels auch physisch am Ende. Sein Tänzer-Darsteller schleicht mit spannungslos schlackerndem Körper herum, versucht vergeblich, den zackig grazilen Tanzstil zurückzugewinnen.

Sexuelles Begehren und der Sinn für Schönheit verbinden sich mit der Eitelkeit eines Geltungsbedürftigen

Nur eine Nachtigall tiriliert, wie in Wildes moralischer Geschichte „Die Nachtigall und die Rose“: Dort singt der Vogel bis zur Selbstaufgabe und spendet sein Blut fürs Liebesglutrotfärben einer weißen Rose, damit ein heillos Verliebter seiner Prinzessin das florale Symbol überreichen kann. Die lässt sich dann aber doch lieber mit Verehrern ein, die sie mit materiell wertvollen Geschenken überhäufen.

Im Schlussbild vermittelt sich die Einsamkeit eines Romantikers in einer liebeskalten, radikal Ich-bezogenen Welt. Drei Jahre nach der Haftentlassung stirbt Wilde im Pariser Exil, krank, verbittert, mittellos. Dass er auch ein früher Kämpfer der LGBTQ-Bewegung war, wie so vieles im Dunklen der Bühne. Was funkelt, ist die Formensprache Goeckes. Mehr braucht es nicht für Ovationen.

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