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Balance der Mittelmäßigkeit

Hamburger SV – Schalke 04 3:0 / Dank des „dummen“ Spiels der Gäste kann ein geistloser HSV das endgültige Chaos noch verhindern  ■ Aus Hamburg Claudia Thomsen

Auf den Hamburger Sportverein schauen heißt lernen. Lernen beispielsweise, wie man sich gezielt auf ein „Schicksalsspiel“ vorbereitet, mit dem der wenig inspirierenden Serie von zuletzt zwölf erzielten und dreizehn kassierten Toren (2:10 Punkte) ein Ende bereitet werden sollte. HSV-Präsident Ronald Wulff jedenfalls begab sich am Freitag höchstselbst aufs Ochsenzoller Trainingsgelände, um das zu tun, was man von einem echten Schnauzbartträger wohl auch erwarten kann: Einheizen wollte er den Jungs, auf daß das Team einem thermodynamischen System gleich vom vorläufigen Chaos in einen Zustand der Ordnung übergehe. „Wer nicht spurt, der fliegt“, hieß das in Wulff-Deutsch. Worte, die so heiß waren wie der erste Krokus auf der Wiese, da jeder minimalinformierte Fan weiß, daß beim präsidialen Dentallaborchef alles in Frage käme, nur keine Verschuldung. Ohne wirkliche Investitionen zu tätigen, wäre der Kader aber nicht effektiv auszuwechseln.

Taktisch nicht klüger die Idee des Vereins, „die echten Anhänger des HSV, die zu ihrem Verein halten, gleich welchen Tabellenplatz er einnimmt“ (Vizepräsident Hans Schümann), verstärkt zur Kasse zu bitten, indem man die sonnabendliche Begegnung gegen Schalke als Spitzenspiel einstufte, für das die kostspieligere der beiden Preiskategorien des Volkspark-Stadions gilt. Am dichtesten jedoch schien sich der Nebel um jene Männer, die beim HSV organisatorisch was zu melden haben, im Hirn von Pressesprecher Kurt Emmerich zusammengezogen zu haben: „Schalke 04, das war der Meister der Jahre 1934, 35, 37, 39, 40 und 1942. Dann schließlich noch einmal mitten im Krieg 1958, seither nicht mehr“, heißt es in seiner Stadionblatt-Kolumne „Aus meiner Sicht“. Kann dies alles Zufall sein? Oder handelt es sich um programmatischen Dilettantismus zur Ablenkung des Fan- und Pressefrustes? Auf daß Benno Möhlmann im kritikfreien Raum angeschlagenes Selbstbewußtsein und Konzentrationsvermögen seiner Kicker therapieren möge?

Die Hoffnung auf Materialisation dieses Vorhabens in Fußball stieg nicht eben, als Manndecker Carsten Kober, erstmalig wieder von Beginn an dabei, mit Baggio- Zöpfchen auflief. Bemühter als zuletzt gegen Stuttgart und in Uerdingen ging die Heimequipe dann schon zur Sache, das Wesentliche jedoch, nämlich Zusammenhänge herzustellen, mißlang trotzdem gründlich. Da halfen auch drei Spitzen (Ordenewitz, Kindvall, Ivanauskas) nichts. Yordan Letschkow, seine Magie scheint er in Amerika vergessen zu haben, spielte von 50 auf dem Grün befindlichen Minuten 49 so unsäglich auf, daß die HSV-Fans unter den 21.800 Zuschauern bei jedem seiner Ballkontakte kollektiv ins Ächzen kamen. Sein – wie man so sagt – tödlicher Paß auf Harald Spörl in der 42. Minute beeindruckte vor allem deshalb nachhaltig, weil es sein einzig gelungener war. Spörl jedenfalls tunnelte Schalkes Tormann Jens Lehmann und schob zum 1:0 ein.

Beflügeln tat dies die Hanseaten keineswegs. Kombinationsspiel, ach was, einfachste Spielzüge – Fehlanzeige. Der heimische Rasen wurde von Möhlmanns Mannen konsequent individuell und separat beackert, geflankt und gepaßt nur, wenn es gar nicht mehr anders ging. Der im Fall befindliche Jörg Albertz beispielsweise mußte sich nach einer knappen Stunde so rechtzeitig vom Ball trennen, daß Niklas Kindvall die Möglichkeit zum Erzielen eines elegant gelupften Tores nutzte. Zehn Minuten vor Schluß ließ sich dann der für Valdas Ivanauskas (74.) eingewechselte André Breitenreiter im Strafraum am Körper von Jiri Nemec zu Boden gleiten, was mit einem Elfmeter belohnt wurde, den Spörl verwandelte.

Der hohe Sieg des HSV wurde also erzielt, „weil wir so dumm gespielt haben und die Schiedsrichter sich anpaßten“, wie Schalkes Coach Jörg Berger präzise und treffend formulierte. Macht Tabellenplatz neun für den HSV, einen Verein, der budgetmäßig im unteren Tabellendrittel positioniert ist, weil man seit dem unspektakulären Mittun im UEFA-Cup 91/92 nicht mehr in die Regionen vorstoßen konnte, wo das wirkliche Geld zu verdienen ist. Bei einem Verein, der trotz Budgetdefizit und ohne Weltklassespieler im oberen Tabellendrittel mitmischen will, muß das fehlende Geld eben mit Geist kompensiert werden, wie in Freiburg etwa. Benno Möhlmann bringt diesbezüglich sicher einiges mit, aber er ist eben kein echter Patriarch wie Otto Rehhagel, der die Menschen in seiner Umgebung scheinbar mühelos zu Untertanen mutieren läßt und der Männer wie Ronald Wulff, die alles, was sie anpacken, in einer nicht radikalisierbaren Skalenhöhe der Mittelmäßigkeit halten, sicher auf Kurs zu bringen wüßte.

Schalke 04: Lehmann - Thon - Eigenrauch, Linke - Latal (72. Eckstein) Herzog, Müller, Nemec, Büskens - Mulder, Kohn (66. Scherr)

Zuschauer: 21.800; Tore: 1:0 Spörl (42.), 2:0 Kindvall (59.), 3:0 Spörl (80./Foulelfmeter)

rote Karte: Scherr (70.) wegen Notbremse

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