Bahntest 2009: Lieber pünktlich als billig
Jeder zweite Deutsche würde mehr Zug fahren - wenn das Angebot besser wird. Das zeigt eine Umfrage des Verkehrsclubs Deutschland. Sein Vorschlag: Vertaktung ändern.
Pünktlich und flexibel - das sollte die Bahn aus Sicht der Verbraucher vor allem sein. Der Preis ist weniger wichtig. Zu diesem Ergebnis kommt der Bahntest 2009 des alternativen Verkehrsclubs Deutschland (VCD), der am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde.
Die Untersuchung wird seit 2001 vom Verkehrsclub Deutschland fast jedes Jahr in Auftrag gegeben. Mit ihr soll herausgefunden werden, wie die Bahn attraktiver werden kann. 2.600 Leute wurden dafür befragt - dazu gehörten Bahnfahrer, aber auch Personen, die nicht in den Zug steigen.
Die Hälfte von ihnen erklärte sich bereit, die Bahn häufiger zu nutzen - wenn sie ihre Ansprüche besser erfüllt. 75 Prozent der Befragten sehen "Flexibilität" als Kriterium für die Wahl des Verkehrsmittels. Es folgten "Zeitgewinn" (52 Prozent) und "Pünktlichkeit" (51 Prozent). "Geringe Kosten" nannten lediglich 43 Prozent von allen und sogar nur 32 Prozent der Autofahrer als Voraussetzung für den Umstieg auf die Bahn. Nur jeder Fünfte fand den Klimaschutz wichtig.
Zwar wird seit der Bahnreform 1994 mehr Bahn gefahren als zuvor: Mit 2,3 Milliarden Fahrten im Jahr 20008 waren es - laut dem Verkehrsclub - gut 55 Prozent mehr als 1994. Dennoch sind die Regionalzüge und S-Bahnen allenfalls zu 30 Prozent ausgelastet. Der Fernverkehr kommt auch nur auf knapp 45 Prozent.
Dabei sei, sagte der VCD-Vorsitzende Michael Gehrmann, "die Bahn deutlich besser als ihr Ruf" - und günstig. Berücksichtige man nicht nur die Treibstoffkosten, sondern auch Steuern, Versicherungen und den Wertverlust des Autos, sei die Bahn viel billiger. So koste etwa eine Fahrt mit dem Auto von Berlin nach München 328 Euro, mit der Bahn aber nur 127 Euro. In Städten kämen oft hohe Parkplatzgebühren dazu. Auch sei das Auto nach gängigen Routenplanern von Tür zu Tür kaum schneller. Bahnmuffel hätten Vorurteile. Wer lieber ins Auto steigt, schätzte in der Studie die Bahn durchweg schlechter ein als derjenige, der den Zug nimmt. Viele gaben an, vor allem mit dem Auto zu fahren, weil sie sich damit flexibler, aber auch schneller fühlen.
Der VCD forderte die Bahn und die Politiker auf, mit den "Mythen der Nichtfahrenden" aufzuräumen.
Sein erster Vorschlag dazu: Die Bahn solle nach Schweizer Vorbild einen Deutschlandtakt einführen. Bei diesem Modell fahren Züge in jeder Stadt zur gleichen Minute ab, was das Planen von Bahnreisen viel einfacher machen würde. Dabei würden nicht einzelne Strecken auf maximale Geschwindigkeit ausgebaut, sondern die Züge mit Blick auf die zentralen Umsteigepunkte angepasst, erklärte VCD-Experte Gehrmann. Der zweite Vorschlag: Die Bahn bekommt ein einfacheres Preissystem. "Die Tickets müssen insgesamt günstiger werden, statt verbilligte Tickets mit Zugbindung anzubieten", meinte Gehrmann. Neue Bahnreisende würden dadurch abgeschreckt, dass gerade die günstigen Fahrkarten keinerlei Flexibilität böten. Zudem forderte er einheitliche Tarife für den Nah- und Fernverkehr. Nach dem Vorbild Schweiz sollten alle Züge auf einer Strecke - egal ob Bummelzug oder ICE - zum gleichen Preis zu nutzen sein.
Bei der Deutschen Bahn kamen die Vorschläge allerdings nicht gut an. Das Schweizer Taktsystem sei nicht auf Deutschland übertragbar, so ein Sprecher zur taz - "hier fahren viel mehr Züge". Und das deutsche Preissystem sei schon gut, "es bietet für jeden etwas."
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