Bahn-Chef ignoriert Rücktritt: Prellbock Mehdorn
"Die Frage nach Rücktritt stellt sich nicht", sagt Bahn-Chef Hartmut Mehdorn. Er hält die Angriffe auf ihn für politisch motiviert. Doch die Motivation, ihn zu stützen, schwindet sogar im Kanzleramt.
BERLIN taz Der politische Rückhalt in der großen Koalition für Bahn-Chef Hartmut Mehdorn schwindet. Bundeskanzlerin Angela Merkel will nach Informationen der Bild am Sonntag künftig nicht mehr mit den Worten zitiert werden, sie stehe "bedingungslos hinter Mehdorn". "Die Bundesregierung will bereits kurzfristig über personelle Konsequenzen entscheiden", verlautete, der Nachrichtenagentur Reuters zufolge, aus Regierungskreisen. Bisher hat sich Mehdorn auf die Unterstützung des Kanzleramtes verlassen können, das den Kurs des letzten großen Unternehmens in Staatsbesitz bestimmt.
Führende Politiker aus SPD, FDP, Grünen und Linkspartei forderten am Wochenende die Abberufung des umstrittenen Bahnchefs. "Mehdorn muss weg", sagte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit am Sonntag auf einer SPD-Tagung in Berlin. "Es ist einer der größten Skandale, dass der Bahn-Chef noch immer im Amt ist". Auch Dietmar Bartsch, Bundesgeschäftsführer der Linken, forderte die unverzügliche Entlassung des Bahnchefs. Der Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Fritz Kuhn, sagte, Merkel müsse "dafür sorgen, dass Mehdorn geht". FDP-Chef Guido Westerwelle sagte in Köln, die Vorgänge im Unternehmen könnten "nicht einfach mit Schulterzucken durchgewunken werden".
Die Affäre um die Ausspähung von Bahn-Mitarbeitern hatte sich am Freitag zugespitzt, nachdem bekannt wurde, dass der Konzern über Jahre hinweg den gesamten Mail-Verkehr der Mitarbeiter im Konzern kontrolliert hatte. Zudem wurde während des Lokführerstreiks im Jahr 2007 eine Mail der Gewerkschaft der Lokführer (GDL) mit einem Streikaufruf gelöscht, wie ein Sprecher des Konzerns jetzt bestätigte.
Der 66-jährige Konzernchef Mehdorn, der heute in Berlin die Konzernbilanz 2008 vorstellt, lehnt einen Rücktritt weiterhin ab. Stattdessen kritisierte er die Forderungen als politisch motiviert: "Offensichtlich haben einige das Ziel, den eingeschlagenen Kurs der Deutschen Bahn zu torpedieren und damit einen politischen Linkskurs durchzusetzen", sagte Mehdorn der Bild am Sonntag.
Nach Informationen des Spiegels hat die Abteilung Konzern-Sicherheit mit Hilfe externer Spezialisten den gesamten E-Mail-Verkehr des Konzerns gefiltert, um Bahn-kritische Netzwerke innerhalb des Unternehmens zu entdecken. Mails an Verkehrsexperten, Journalisten, Gewerkschafter, Bundestagsabgeordnete und Bahn-kritische Gruppen seien systematisch abgefangen worden. Insgesamt hätten die Bahn-internen Schnüffler Mails zu weit über 50 Personen abgefangen und analysiert, berichtet der Spiegel. 382 Fälle seien so bis Ende 2008 zusammengekommen. Daten von Fahrzeugbewegungen, Dienst- und Urlaubsreisen sollen nach Angaben von Bahn-Mitarbeitern dazu verwendet worden sein, Bewegungsprofile zu erstellen. Die Bahn streitet dies jedoch ab.
"Ich habe fast damit gerechnet, dass die Bahn meinen Mail-Verkehr mit ihren Mitarbeitern überwacht", sagte Infrastrukturexperte Kay Mitusch der taz. Mitusch ist Professor an der TU Berlin und gehörte schon 2005 zu den ersten Experten, den die Schnüffler der Bahn auf ihre Liste zur Mail-Überwachung setzten. Als Bahn-Gutachter im Auftrag der Bundesregierung hat der Experte Kontakt zu vielen Mitgliedern der DB AG. Mitusch hat selbst erfahren, wie geheimniskrämerisch die Bahn mit grundlegenden Informationen über ihr Schienennetz umgeht. "Zahlen etwa zum Netzzustand oder der Netzbelegung gehören aber in die Öffentlichkeit." Bahn-Mitarbeiter seien oft wichtige Quellen, um diese Informationen zu bekommen. "Die Ursache liegt eigentlich beim Gesetzgeber. Selbst die Regulierungsbehörde hat extrem eingeschränkte Informationsrechte", sagt Mitusch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Vorschläge für bessere Schulen
Mehr Führerschein wagen