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Bäder-Schließungen im NordenSpaß von gestern

Mit den Freibädern geht es bergab. Dabei sind sie einer der wenigen Orte, wo sich Menschen aller Schichten und Altersklassen begegnen.

Ort der Begegnung: das Kaifu-Freibad in Hamburg-Eimsbüttel Foto: dpa

Hamburg taz | Meine letzten Sommerferien, kurz bevor ich zu Hause ausgezogen bin, habe ich mit meiner Mutter im Freibad verbracht. Ich habe in einer Fabrik Tierfutterdosen sortiert und verpackt, Frühschicht, die ging um 5.30 Uhr los, 8,5 Stunden später bin ich wieder auf meine Vespa gestiegen und ins Freibad gefahren, da wartete meine Mama neben dem 50-Meter-Becken auf der flachen Tribüne aus dunkelgrauen Steinplatten, an denen man sich die Badesachen aufribbelte, bis der Hintern durch den fadenscheinig gewordenen Stoff schimmerte.

Wir saßen da rum, ich schwamm viele Bahnen, Mama schwamm einige Bahnen, wir lasen, unterhielten uns und lästerten über die anderen Badegäste, zum Beispiel meinen da schon ehemaligen Deutschlehrer. Er wurde gern laut im Unterricht, wenn jemand nicht zuhörte, nicht mitmachte, nicht vorbereitet war, die Stimme-Erheb-Quote war dementsprechend.

Jetzt, ohne seine Anzughosen und die immer zu weiten Hemden, sah sein Gang nicht mehr bedrohlich, sondern unbeholfen aus. Er stakste in seiner engen Badehose (damals trug Mann, naja Jugendlicher, weite und überknielange Shorts zum Schwimmen) am Beckenrand auf und ab, die Knie zu weit anhebend, die Füße vorsichtig absetzend, schwimmen habe ich ihn nicht sehen, er sprach mit niemandem, grüßte niemanden, niemand sprach mit ihm, niemand grüßte ihn. Fort war die ganze Autorität.

Wie viele Stunden ich auf einer stacheligen Freibadwiese und im Chlorwasser verbracht habe, weiß ich natürlich nicht. Unzählige. In meiner Erinnerung war früher immer schönes Wetter und ich war immer im Freibad. Habe erst Ringe vom Beckenboden raufgeholt, habe dauernd Ohrenschmerzen vom ganzen Tauchen bekommen, habe Schwimmabzeichen gemacht, die meine Mutter mir an den Badeanzug genäht hat, wo sie dann ausblichen.

Saltos vom Turm

Später haben wir die grauen Steinplatten mit unseren nassen Bikinihosen gestempelt, die Formen der Abdrücke verglichen und geguckt, welcher am schnellsten trocknet. Wir haben uns nebeneinander mit den Füßen an den Beckenrand gehängt, sind dann untergetaucht, mit dem Rücken an der Beckenwand, wer es am längsten schafft! Haben Saltos vom 1er oder 3er gemacht – oder Klappköpper. Ich habe einmal einen Sitzköpper vom 5er gemacht und bin ein einziges Mal Kerze vom 7,5er gesprungen, aber auch nur, weil ich mir nicht Blöße geben wollte, die Leiter wieder runterzusteigen.

Wir sind mal nachts mit den Rädern ins Nachbardorf ins Freibad gefahren, sind kichernd und pssssst zischelnd über den Maschendrahtzaun gestiegen und im Dunkeln vom 3er gesprungen. An dieses Gefühl, ins Nichts zu springen, kann ich mich gut erinnern.

Im Freibad waren wir frei, die Erwachsenen waren weit weg, auf der Babywiese, auf dem Bademeisterturm oder jenseits des Zauns. Einmal hatte ich nach den Sommerferien grün schimmernde Haare vom vielen Tauchen im gechlorten Wasser. Mein Leben wäre ärmer ohne Freibäder.

Irgendwie an die Oberfläche

Mein Vater erzählt gern, wie er mich als ganz kleines Mädchen mit ins Bad nahm, noch ehe ich schwimmen konnte. Er hatte mich als Säugling gleich von Anfang an in der Badewanne untergetaucht. Tauchen konnte ich also und zum Luftholen paddelte ich irgendwie an die Oberfläche, dann wieder unter und weiter. Er hat sich das aus sicherer Entfernung angeschaut und besorgte Badegäste („Hören Sie, Ihr Kind ertrinkt!“) abgewiesen („Nee, die taucht gleich irgendwo wieder auf.“)

Daran kann ich mich natürlich nicht erinnern, aber jedes Mal, wenn ich im Freibad untertauche und der Sound aus Planschen und Kreischen dumpf wird, bin ich tief zufrieden, das Licht bricht sich im Wasser, ich gleite lautlos, dümpele vor mich hin und keiner stört.

Nun muss nicht jede eine so innige Beziehung zu Freibädern und Chlorwasser haben, um zu erkennen, dass wir diese Freibäder brauchen, mit erschwinglichem Eintritt, mit diesem Gefühl der Freiheit, und dass sie durch nichts ersetzbar sind.

Mehr zu Freibädern als bedrohte Spezies lesen Sie in der gedruckten taz am Wochenende oder hier

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1 Kommentar

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  • Hätten Linke ab 2012 im Kampf gegen die Krisenpolitik den Kampf gegen den EU-Fiskalpakt geführt und gewonnen, dann hätten wir heute keine "Schuldenbremse".



    Damals gab es Leute, die befürchteten die Beschlagnahmung ihrer Guthaben durch den Rettungsfonds ESM. Aber es gab nur vereinzelten Widerstand gegen den Fiskalpakt.



    Weil "keine Schulden machen" "schuldenfrei" zu sein zu einer Art Religion gehört.



    Die Hallen- und Freibäder gehören zu den öffentlichen Strukturen, die für die Lohnabhängigen gebaut wurden.



    Dafür müssen die armen Superreichen mit ihren winzigen Pools klar kommen - wo es keine 50 Meter-Bahnen gibt.