Bäckereien und Metzgereien schließen: Oh Wurstbrötchen!
Über die vergangenen zehn Jahre hat ein Drittel der Bäckereien und Metzgereien in Deutschland dichtgemacht. Eine wehmütige Mettpoesie.
Berlin kann nicht gemeint sein, und wenn doch, dann wäre das Sterben der traditionellen Bäckereien und Metzgereien in der Hauptstadt kein allzu großer Verlust. Denn in Berlin haben die Familienbetriebe und die Billigdiscounter eines gemeinsam: Sie können, von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen, kein gutes Brot machen und gute Wurst auch nicht (und gutes Bier schon gar nicht, aber darum geht es diesmal nicht).
Woanders aber wird das Wehklagen groß sein, und zwar zu Recht. Eine Leberkäs-Semmel in Niederbayern kauft man nicht bei Aldi-Süd und wenn doch, kann man auch gleich zu Hause in den Altpapierkarton beißen. „Drei im Weggla“ gibt’s in Franken beim Metzger, wer die kleinen Bratwürste bei Penny oder Lidl holt, muss ein zugezogener Berliner sein.
Ein Mettbrötchen im Ruhrgebiet, ein Schinkenbrötchen zwischen Münster und Hannover und selbst das Fischbrötchen an Nord- und Ostsee (das ja auch nur ein verkapptes Wurstbrötchen ist), all das ist meist leckerer, wenn man es beim Bäcker oder Metzger holt.
Da hat sich nämlich morgens jemand Mühe gemacht: Ein paar Brötchen aufgeschnitten, gut gebuttert, und dann belegt, nicht zu knapp und nicht zu dick. Garnitur kann, muss aber nicht. Entscheidend bei Wurstbrötchen sind ja eben nicht das Salatblatt, das Gürkchen, ein wenig Tomate. Nice to have, das ja, aber trotzdem nur Garnitur. Es heißt Wurstbrötchen, nicht Salatbrötchen, entscheidend sind die Wurst (gerne viel! Und gute Qualität!) und das Brötchen (meist ein einfaches Brötchen, eher selten Mehrkorn).
Wurstbrötchen als neues Rauchen
Wurst. Weißes Brötchen. Kombiniert. Das ist ungesund, vom Discounter wahrscheinlich noch ungesünder als vom Bäcker oder Metzger. Aber auch traditionelle Bäckereien und Metzgereien haben Gesünderes zu bieten als Wurstbrötchen. Das Wissen, gleich ins Gegenteil einer lebensverlängernden Maßnahme zu beißen, gehört zum Wurstbrötchen wie ein Klecks Senf, Remoulade oder Ketchup. Wurstbrötchen war schon das neue Rauchen, als im Krankenhaus noch geraucht wurde. Anders gesagt: Selbst die härtesten Raucher warnen in der Raucherecke vor den Gesundheitsgefahren des Wurstbrötchens.
Nehmen wir zum Beispiel das Mettbrötchen, auch Männermarmelade genannt. Ein Weißbrötchen mit rohem Hackfleisch. Vom Schwein. Also Pappe mit Pampe, Cholesterin, Antibiotika, Hormone, Keime, Erreger inklusive. Dazu noch stark gewürzt: Salz (ungesund!), Pfeffer (auch ungesund!). Und obendrauf ein halbes Pfund rohe Zwiebeln. Es gibt nichts Vergleichbares, mit dem man so einfach und symbolisch perfekt sämtlichen Gesundheitsgurus in den Arsch treten kann.
Ein Mettbrötchen aber wird niemand beim Discounter kaufen, wo es eingeschweißt zwischen anderen „Frischeprodukten“ liegt, von denen einige vielleicht sogar wirklich frisch sind. Nein, das gehört bei einem Bäcker oder Metzger in die Auslage, zusammen mit Schinken- und Eibrötchen, und allen muss man ansehen, dass sie eben nicht mehr ganz frisch sind, sondern schon einen Vormittag über reifen konnten, um ihr volles Aroma zu entfalten. Mit diesen Stellen, an denen sich Belag und Garnitur leicht verfärben oder wellen.
Da heißt es dann zugreifen, denn genau so muss ein Wurstbrötchen sein – die Welt ist ja auch nicht perfekt. Und auch Vegetarier und Veganer wollen wir nicht vergessen: Der Anblick eines Mettbrötchens am Morgen dürfte dem wachsenden Heer an Nichtfleischessern mehr Zulauf bringen als alle Kritik an der Massentierhaltung. Denn, klar, schön ist so ein Mettbrötchen nicht. Aber lecker. Mahlzeit!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren