Bachmannpreis – Tag 1: Löcher im Fortschritt
In Klagenfurt hat der Bachmann-Preis begonnen. Am ersten Tag überzeugen vor allem eine feministische Zukunftsvison und eine Weltall-Novelle.
Mit zwei starken Erzählungen beginnt Tag 1. Die Berliner Autorin Katharina Schultens, die bislang einige Gedichtbände veröffentlicht hat, liest einen Auszug aus einem Roman namens „Urmünder“, an dem sie gerade arbeitet – ein düsteres, erratisches Textgeflecht, eine Erzählung, die im Jahr 2184, zweihundert Jahre nach Orwells „1984“, spielt. Zentrales Motiv ist das des Gebärens, auch im Sinne der katholischen Empfängnis (die Figuren heißen in Variation „Marya“, „Maria“ und „Mariä“).
Der bessere Mensch aber muss erst noch geboren werden, weiß dieser Text, und wenn jemand in der Handlung die kaputte, zerrüttete Welt rettet, dann ist es die Frau, die neues, die anderes Leben gebiert. Die Story skizziert ein Matriarchat als Zukunftsentwurf, zugleich einen undurchsichtigen Topos, in dem Chimäre, also Mischwesen, eine bedeutende Rolle einnehmen. Schultens' sprachgewaltige, feministische Science-Fiction-Literatur überzeugt die Juror_innen durchweg, eine „Dechiffrieraufagbe sondergleichen“, wie der Juryvorsitzende Hubert Winkels es nennt, sei der Text dennoch. Wie es gute Literatur eben ist.
Eine kluge Novelle in doppeltem Sinne legt die Wiener Autorin Sarah Wipauer vor. Ihr Text „Raumstation Hirschstetten“ verknüpft eine historische mit einer aktuellen Begebenheit: Zum einen geht er zurück auf einen Doppelselbstmord des Kinderarztes und Forschers Clemens von Pirquet und dessen Frau im Jahr 1929, zum anderen auf das Ende 2018 aufgetauchte Loch im russischen Raumschiff Sojus. Daraus verwebt Wipauer in unspektakulärem Tonfall, aber mit umso subtilerem Humor, eine Erzählung über den Fortschritt der Menschheit und wo eigentlich die Löcher im Forschritt herkommen, die dann irgendwann zu stopfen sind (hier übrigens wieder von einer Frau).
Neben Schultens und Wiepauer darf sich die in der Nähe von Klagenfurt aufgewachsene Regisseurin und Autorin Julia Jost Hoffnungen auf einen Preis machen. Ihre Erzählung „Unweit vom Schakaltal“ befasst sich mit den erzreaktionären und rechtsextremen Strömungen im Lande und wird von der Jury recht einhellig als in bester boshaft-österreichischer Traditon stehende Literatur gewürdigt.
Es sind die konventioneller erzählten Texte, die an diesem ersten Tag das recht hohe Niveau nicht ganz halten. Die Züricher Autorin Silvia Tschui stellt „Der Wod“ vor, eine Story zweier Brüder, die zum Ende des zweiten Weltkrieges vor Vertreibungen im nicht näher benannten Osten fliehen. Tschui trägt zwar leidenschaftlich und gut vor, die Handlung steht aber zu sehr für sich, bleibt hermetisch, kontextualisiert nicht. Und es gibt einen merkwürdigen, unaufgelösten Kontrast zwischen dem Tonfall der Erzählung und der Brutalität des Geschehens.
Die Schweizerin Andrea Gerster erzählt dagegen in „Das kann ich“ zum Ende des Wettbewerbstags die Geschichte einer Mutter und Großmutter, die ‚nur das Beste‘ für ihren Sohn und ihre Schwiegertochter will, deren Wesen und deren Lebenslügen sich aber nach und nach entfalten. Die psychologische Erzählung wirkt im Ganzen zu langsam, zu langatmig, zu klischeebeladen.
Hingewiesen sei unbedingt noch auf die Eröffnungsrede am Mittwochabend von Clemens J. Setz, der darin einen Bogen von den Storylines des Wrestlings („Kayfabe“) zur Literatur zog, dessen Vortrag aber vor allem mit kämpferischen politischen Zwischentönen überzeugte, wenn er etwa davon sprach, die „geschlossenen Systeme“ der Rechtsextremen und Rechtspopulisten erstickten „wie alle geschlossenen Systeme irgendwann an sich selbst“.
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