BVB im Champions-League-Finale: „State of the Art“ des Weltfußballs
Der BVB hat verloren und steht im Finale der Champions League. Mit seiner Art, Fußball zu spielen, taugt der Verein zum europäischen Trendsetter.
MADRID taz | Offenkundig bieten Momente großer sportlicher Triumphe einen ziemlich fruchtbaren Nährboden für seltsame Gedanken, zumindest unter den Menschen, die Borussia Dortmund angehören.
Geschäftsführer Hans Joachim Watzke hatte sich auf dem Klo eingeschlossen, als die dramatische Schlussphase des Spiels des BVB bei Real Madrid anbrach. „Ich konnte nicht mehr, in dem Moment gehen einem die Gedanken durch“, erzählte er, nachdem die Dortmunder sich durch eine 2:0-Niederlage gerade noch ins Finale der Champions League gerettet hatten.
Mats Hummels brachte es inmitten der Jubelorgie nach dem Abpfiff gar fertig, sich zu ärgern. Der Innenverteidiger kniete im Mittelkreis und schlug mit der Faust auf den Boden, „weil es am Ende noch so knapp wurde“, erzählte er später. Und Torhüter Roman Weidenfeller schwelgte erstmal mit Sportdirektor Michael Zorc und Sebastian Kehl in finsteren Zeiten, als dem völlig verarmten BVB der Absturz in die zweite Liga drohte.
„Wir lagen uns gerade noch in den Armen und haben uns gezwickt. Dass wir 2007 in Aachen den Abstieg verhindert haben und jetzt im Finale de Champions League stehen, ist der pure Wahnsinn“, meinte Weidenfeller, der mit einigen bemerkenswerten Rettungstaten in der Anfangsphase einen kostbaren Beitrag geleistet hatte.
„Eine reine Schlacht“
Diese wilde Anfangsviertelstunde ohne Gegentor war der Schlüssel zum Gesamtsieg, denn danach hatten die Dortmunder die Partie lange im Griff. Selbst den frühen Ausfall von Mario Götze, der mit einem Muskelfaserriss mehrere Wochen und vielleicht sogar fürs Finale auszufallen droht, verkrafteten die Dortmunder hervorragend.
Erst mit Karim Benzemas 1:0 (83.) wurde dieses Halbfinale doch noch einmal „eine reine Schlacht“, meinte Hummels. Sergio Ramos traf sogar zum 2:0 (88.). Real brauchte jetzt nur noch ein Tor, um das 1:4 aus dem Hinspiel aufzuholen, das Bernabeu bebte.
Dieses Wunder schafften sie dann doch nicht, aber die Aufregnung am Ende und das Wunder, das in der Luft lag, machten dieses Spiel unvergesslich. „Das alles ist etwas zu groß, um das eine Stunde nach dem Spiel komplett begriffen zu haben“, sagte Hummels.
Dortmund nur all inclusive
Dass der Finaleinzug verdient gewesen ist, zweifelte hinterher aber niemand an, auch wenn Trainer José Mourinho die gewagte These aufstellte, dass Hummels, dem Mitte der zweiten Halbzeit im Fallen ein Ball an die Hand gesprungen war, eine Rote Karte hätte sehen müssen. „Das hätte dem Spiel eine andere Richtung gegeben“, mutmaßte Reals Trainer.
Dafür hätte Sergio Ramos „sieben gelbe Karten“, verdient gehabt, konterte Jürgen Klopp. Denn der spanische Innenverteidiger hatte sich ein spektakuläres Duell mit Robert Lewandowski teilweise deutlich jenseits der Legalität geliefert, und doch nicht verhindert, dass der vierfache Torschütze aus dem Hinspiel erneut zwei wunderbare Chancen hatte. (49., 76.).
Die Schwächen des BVB waren also auch zu sehen in dieser Nacht des Triumphes: Sie gehen zu fahrlässig mit ihren Möglichkeiten um, auch Ilkay Gündogan hätte ein Tor schießen müssen (62.). Und wenn sie unter Druck geraten, wie in der Anfangsphase und in der Viertelstunde nach Reals 1:0, fehlt die Ruhe zum klaren Pass. „So ist es noch ein bisschen spannend geworden, aber es gibt Borussia Dortmund nur all inclusive“, sagte Klopp.
Aggressives Gegenpressing
Vor der Party kreiste die Debatte um die spannende Frage, ob der BVB immer noch dieser Außenseiter ist, als der er sich gerne selbst betrachtet. Oder ist es in Wahrheit eher so, dass dieser Klub, mit dieser Mannschaft, diesem Trainer, diesem Publikum und diesem Stil den „State of the Art“ des Weltfußballs repräsentiert?
Denn Real wirkte mit dem großen Cristiano Ronaldo, mit Mesut Özil, Sami Khedira und all den anderen Weltstars wie schon in den beiden Partien der Gruppenphase in vielen Phasen überfordert von diesem BVB. Und der FC Bayern ist derzeit bekanntlich nur so stark, weil entscheidende Elemente wie die bedingungslose Defensivarbeit aller zehn Feldspieler, das rasante Umschalten und das aggressive Gegenpressing vom BVB übernommen wurden.
An eine Wachablösung glaube er zwar noch nicht, sagte Hummels, aber diese Saison sei schon ein „Zeichen, dass der deutsche Fußball den anderen in nichts mehr nachsteht.“
Dass diese derzeit offenbar kaum schlagbare Herangehensweise zumindest in Teilen aus der Dortmunder Denkfabrik stammt, erkennen langsam auch die Verantwortlichen in London, Madrid und Barcelona. So wird interessant zu beobachten, wann nicht mehr nur Dortmunder Spieler von den Weltklubs der vergangenen Jahrzehnte umworben werden, sondern auch der Trainer.
In dieser Woche begeisterte Klopp die Weltpresse wieder einmal mit dieser unwiderstehlichen Mischung aus fachlich-fundierter Analytik und rhetorisch gewitztem Bolzplatz-Jargon. Vor allem aber begeistert sein Team, das nun in einem Finale steht, das Real Madrid seit 2002 nicht mehr erreicht hat.
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