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BÜCHSEN DER LIEBE

■ Ein Tag zwischen Gitarrenwänden

Was tun, wenn der Sommer fast zu Ende, man aber einer der letzten Daheimgebliebenen ist und trotzdem den Drang verspürt, sich zu vergnügen? Richtig, man schließt sich mit Leidensgenossen zusammen und sucht eine oder auch mehrere der vielfältigen kulturellen Veranstaltungen auf, deren erste uns im Loft geboten wird. Frohgemut und indisch frischgestärkt, sind wir allerdings wieder mal zu spät, was sich aber als nicht ungünstig herausstellt, denn der erste Kandidat des Abends bietet nur Folk-Rock-Durchschnitt, reichlich zahnlos, was DOA zu der gewagten These veranlaßt, wenn die Rainbirds die Band für den jungliberalen bunten Abend nach der Wende sind, diese das Gegenstück für vor der Wende wären. Sie erklären, gleich aufzuhören, was ein Lächeln auf unsere Gesichter zaubert, und daß sie sich selbst die High-Jinks nennen würden und am Samstag noch einmal im Blockshock spielen, aber ich befürchte, daß die 30, 40 Leute dort nur „Schneller, lauter, härter“, ganz im Sinne der olympischen Idee, brüllen und nach 15 Minuten anfangen, sie mit Bierbüchsen zu bewerfen. Leere, wenn sie Glück haben.

Aber zwei Chancen haben wir noch. Jetzt erscheint unsere nächste Hoffnung im Rampenlicht, von Namen House of Love, was uns hätte stutzig machen sollen. Nachdem in drei von den ersten vier Liedern das Wort „Jesus“ fällt und auch sonst viel von Liebe die Rede ist, wirft DOA die Theorie auf, daß diese Jungs Zeugen Jehovas seien. Ich kann nur dagegen halten, daß sie es vielleicht ironisch meinen und man sich erst sicher sein könne, wenn am Ausgang der Wachturm verteilt wird. Auf jeden Fall beschließen wir sie nach besten Kräften zu unterstützen und reichlich „Jesus lives“ und „I believe in god“ und ähnliches zu brüllen. Unsere seelische Reinigung schreitet Hand in Hand damit kräftig voran, denn die eingeschmuggelten Bierbüchsen machen uns zu Königen über die Heerscharen, die inquisitorisch mit labbrigem Plastikbier gefoltert werden. Unsere Vorbereitungen auf die Reinkarnation am nächsten Morgen sind im vollen Gange, als wir entdecken, daß auf der Bühne Milch getrunken wird, zwar keine Müllermilch, auch wenn's die macht, aber doch Milch, worauf wir verschämt auf unsere Büchsen blicken und immer neue Erinnerungen an die Konfirmantenzeit, den jungliberalen Kumpelpfarrer und religiöse Weisen zur Wandergitarre austauschen. Während DOA schon zum dritten Mal behauptet, gleich eine Büchse ins Haus der Liebe feuern zu wollen, stürzen sie uns vollends in heillose Verwirrung. Denn anstatt „Eine feste Burg ist unser Gott“ covern sie „Now I wanna be your dog“ von den Stooges. Was wollen uns diese Worte sagen? War Iggy Pop Gott oder soll dog, rückwärts gelesen immerhin god, ein selten raffinierter Symbolismus sein oder will der Sänger sich gar als Hund Gottes anbieten, ist Gott denn blind und braucht einen ampelerfahrenen Blindenhund? Der Fragen sind so viele, der Antworten so wenige und am Ausgang kein Wachturm. Wer soll unsere Probleme lösen?

Ich versuche meine neu gefundene Religiosität beim nächsten Konzert abzubauen und hoffe, daß Poems for Laila Hilfestellung leisten und mir im Swing das Vertrauen in die Liebe von Mensch zu Mensch und die fleischliche Lust wiedergeben. Und sie geben sich alle Mühe, der Sänger rollt die großen, dunklen Augen, Ähnliches macht er mit seiner Stimme, das Backgroundgirl wackelt tolpatschig mit den Hüften und lustig-holpernde Ostblock-Weisen wechseln sich ab mit butterweichen Schmelzballaden. Die Büchsen köpfen sich wie selbstverständlich, um die flüssigkeitsfordernde Enge auszugleichen und meine religiöse Verwirrung hat ein ebenso schnelles wie glückliches Ende gefunden. Die nächste Reinkarnation kommt bestimmt, notfalls wird mit Aspirin nachgeholfen.

Thomas Winkler

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