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BUNTE RUSSEN

■ Ausstellung „Konzeptionen in der sowjetischen Architektur“ in der Kunsthalle Berlin

Ausstellungen über Revolutionsarchitektur haben oft den bitteren Beigeschmack der Desillusion. Man sieht in ihnen die utopischen Grundrisse einer besseren Welt, die niemals zur Ausführung gelangten. Wenn sie vereinzelt doch gebaut wurden, dann stehen sie da wie abstrakte Exoten einer verrückten Zeit und geben zugleich jenen recht, die weder ein errichtetes Arkadien wollen noch daran glauben, und für die architektonische Idealität nur dazu dient, Revolution insgesamt zu diskreditieren.

Allein für die sowjetrussische Architektur ab 1917 scheint zu gelten, daß der utopische Produktionsversuch menschlicher Heimat und einer schöneren Welt gescheitert ist. Denn angesichts der Suche nach dem, was architektonischer Revolution verwandt genannt werden kann, ist ein größerer Widerspruch kaum denkbar, als der zwischen den konstruktivistischen Projekten der russischen Avantgarde der zwanziger und dreißiger Jahre und den neoklassizistischen Palasttürmen der Stalin-Ära. Das eine steht für lebendige Dynamik, das andere für leere Pathosformeln einer totalitären Politik.

Es wäre einen Versuch wert, zu zeigen, daß trotz der historischen und stilistischen Gegensätze architekturästhetische Linien jenseits gängiger Kategorisierung bestehen könnten, und bauliche Utopie nicht einfach reaktionärer Ideologie preiszugeben. Vielleicht käme heraus, daß Architektur so merkwürdig widersprüchlich sein kann.

Einer Kompensation geschichtlicher Differenzen, Eigentümlichkeiten und Entwicklungen kommt dagegen die Ausstellung „Konzeptionen in der sowjetischen Architektur 1917-1988“ in der Kunsthalle Berlin gleich. Sie versucht, entgegen ihrer Ankündigung, Defizite zu neutralisieren. In einer trügerisch-beliebten, aufs Ereignis schielenden bunten Show, werden Bilder und Zeichnungen, Aquarelle und Gemälde, Fotomontagen und Modelle, über die man hin und wieder stolpert, da sie wie zurechtdekoriertes Möbeldesign im Weg stehen, zum Sammelsurium modischer Gleichzeitigkeit gemacht. Denn indem sie die innovativen Polaritäten in der sowjetischen Architekturgeschichte angeblich auszuloten vorgibt, obwohl sie in Wirklichkeit gar keine sehen will, wird umgehend ein Diskurs über ästhetische Spezifika mit dem Ziel inszeniert, diese zu leugnen: Ein scheinbar überzeitliches Kontinuum durchzieht die Bauwerke und die Köpfe ihrer Meister, stilistische Parameter und lustige Indizien tiefrussischer Mystik wie der Säbeltanz simulieren architekturtypologische Seelenwanderungen. Alte Suppentöpfe werden aufgemacht.

Keine Schuld bei dieser tragischen Chronologie trifft die Exponate, die aus dem Moskauer Architekturmuseum kommen und nichts dafür können, daß sie in Berlin so einfältig nebeneinander hängen müssen: So sind die konstruktivistischen Formzertrümmerer und ästhetischen Maschinenstürmer der zwanziger und dreißiger Jahre die Stars der Ausstellung. Ihre Projekte spiegeln die Lust nach Abstraktion von baulicher Komposition, flächenhafter Gestaltung und zierlicher Ornamentik und sind eingehüllt vom revolutionären Glanz aus rasant geometrischen Figuren mit dynamisch leichter Eleganz. Architektur drängt jetzt von innen nach außen, der Bau soll kommunikatives Medium im Raum sein. Technisch, industriell, rational und lebendig zugleich soll gebaut werden. Feste Massen explodieren, rotierende Körper und Zentrifugen simulieren Identität von Raum und Zeit als kinetisch-energetisches Symbol immerwährender Veränderung. Die radikalen architektonischen Konzepte sind wie die Simultanbühne: temporär, kurz, offen, schrill und ohne festen Platz. „Die Häuser sehen vielerorts wie reisefertig drein“, schreibt Bloch zu den schnellen, maschinell wie vom Fließband wirkenden Typen, die wie „Schachteln auf bewegten Stangen“ hängen.

War die bauliche Form zu Beginn noch der ästhetische Ausdruck einer sozialen Programmatik und Auseinandersetzung um die konstruktive Variante gegenstandsloser Kunst in der Dreidimensionalität - Menikows transformierbare Gebäude aus Glas und Beton, Sokolows dynamisch geformte Stadtanlagen mit flexiblen kreisrunden Pavillons auf Stelzen oder Lissitzkys horizontaler Wolkenkratzer - so scheinen sich wie nebenbei klassische Chiffren und Formen in die Architektur einzuschleichen, die Ideologisches alter Schule meinen: Ornamentale Stadtanlagen, barocke Grundrisse, Säulen und Giebel, Quadrate und Kreise, Fassade und Inszenierung.

Schon kosmisches Terrain ist Krutikows Stadt der Zukunft. Ein federballähnliches Raumschif, entmaterialisiert, schwebt als licht- und gasförmiges Energieobjekt durchs All, auf dem Weg in die vierte Dimension. Durchsichtig, geschliffen wie Kristall und leuchtend, erinnert die fliegende Stadt an Bruno Tauts visionäre Glasarchitektur ebenso wie an die abenteuerlichen Verkündigungen neuzeitlicher Erlösungsmystik. Verkündigung als architektonisches Medium war auch Wesnins Hochhaus für die Leningrader Prawda, dessen innovativ-funktionale Gestaltung mit Reklametafeln, spielenden Scheinwerferlichtern und antennenartigen Sendeanlagen einem konstruierten Kommunikationsturm gleicht, der dem Mythos unbegrenzter technischer Faszination huldigt.

In den Himmel gebaute Katakomben, schlanke Festungen und überdimensionierte Gedenkstätten, in denen die revolutionäre Utopie begraben scheint, sind die riesigen Monumente der Stalin-Ära. Wie Schießscharten sehen die Fensterschlitze aus, wo Öffnung und Licht ausgeschlossen scheinen. Die dramatisch-kultische Inszenierung der Zuckerbäckerbauten, die wie Bastionen den Kern Moskaus umstellen sollten, wirken wir Reinkarnation ästhetisch autoritärer Raumstruktur. Geplanter Kitsch zur Einschüchterung ist Ljatschenkos fast 500 Meter hoher neoklassizistischer Memorialpalast für die Sowjets, auf dessen Spitze der versteinerte Lenin wie King-Kong steht und - groteskerweise nach herumsausenden Flugzeugen zu greifen scheint, dem einzigen, was sich bewegt. Gebauter Kitsch als Abschluß einer dekorativen Stadtplanung ist Rudnews Lomonossow-Universität der späten vierziger Jahre auf den Lenin-Bergen, eine eklektizistische Kathedralenburg für geistlose Macht.

Fast spielerisch und lustig ist dagegen die sogenannte „Papierarchitektur“ der achtziger Jahre. Die Übungen kleiner visionärer Mal- und Zeichenprojekte, voller Phantastik und Surrealem, knüpfen wieder an die Tradition skurriler Entwurfsskizzen und utopischer Wettbewerbsbeiträge der frühen zwanziger Jahre an. Avantgardistisch sind sie wegen ihrer stilistischen Konzeption und zitatenhaft -desillusionierenden Symbolik: gläserne Kathedralen, fliegende zerstörte Städte und ruinöse Erlebnisparks.

Geht man durch die Ausstellung, dann gewinnt man den Eindruck, daß mit sowjetischer Architektur eine merkwürdig fatale Chronologie verkauft werden soll. Die Objekte hängen wie eine additive Revue ereignisträchtiger Schlaglichter, die mittels dem Prinzip der erinnernden Anknüpfung Kontinuität für revolutionäres Scheitern vorgaukeln. Unter dem postmodernen Motto des Rückgriffs auf die sicheren Fundamente der Kunstgeschichte präsentiert sie selbst die Differenzen innerhalb der drei großen Blöcke als ein Arrangement aus analogen und historisierenden Formen. Gegensätze werden zu Figuren einer temporären Balance, die das Besondere nicht zuläßt, es nivelliert. Anders gesagt: Ein Interesse an Revolutionsarchitektur besteht nicht.

So gleicht die Geschichte der sowjetischen Architektur einer Seelenwanderung aus baulichen Ewigkeitssymbolen. Die Traditionen zaristischer Feudalarchitektur werden mit der Avantgarde verkuppelt, um schließlich am neoklassizistischen Hochhaus Mummenschanz zu spielen. Und spitze Basilisken schießen als Raketen in filigranen Turmbauten ebenso empor wie in den wolkenkratzenden Sendemasten konstruktivistischer Utopisten. Stilistische Formen, Säulen, Winkel und Bögen geistern als überzeitliche Bauplastiken durch die Ausstellung, als sei im Zitat keine Visualisierung der ideologisch modernen Funktion von Kunst zu sehen, sondern immer dasselbe, geschweige denn die Emanzipation einer eigenständigen Idee. Da muß Sholtowskys Eingangsportal zur ersten Allrussischen Landwirtschaftsausstellung 1923 in Moskau nur darum als Triumphbogen barocker Ausprägung herhalten, weil es gebogen aussieht, trotz seiner offen gezimmerten Raumkonstruktion und abstrakt gewordener Komposition. Als abgemagertes Gerippe ist es allein ein ironisches Symbol. Ist etwas hoch, schlank und rund, wird es schon darum zur Säule, weil es so ähnlich aussieht, egal ob es ein Ornament ist oder ob darin jemand wohnt. Und kommt Stadtplanung als klassische Chiffre daher, ist sie schon deshalb Schnee von gestern, obwohl ein utopischer Geist dahintersteckt.

Arrangiert wurde die Show vom Büro für Präsentationsmarketing Kremin und Kirsch, zwei Ausstellungsyuppies, die am Detail wenig Interesse haben, sondern darauf abfahren, was neu ist, geil aussieht und glänzt. Da sind sie in guter Gesellschaft.

rola

Die Ausstellung Konzeptionen in der sowjetischen Architektur 1917-1988 ist noch bis zum 9.April in der Kunsthalle Berlin, Budapester Straße 44 zu sehen. Di-So 10-18 Uhr, Mi 10-22 Uhr. Der Katalog kostet 40 Mark.

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