BRICS-Staaten 2014 – Südafrika: Nie wieder Opfer sein

Werden die Brics-Staaten das 21. Jahrhundert prägen? „Wir verehren Mandela, aber es ist Zeit für einen Wandel“, sagt diese Schülerin. Ein Protokoll.

Die Generation, die in Freiheit geboren ist, soll sich von den Alten emanzipieren. Bild: dpa

Ich gehöre zur sogenannten Born-free-Generation. Ich habe nie gelitten. Außer vor ein paar Jahren während der rassistischen Welle. Da wurde ich gehänselt, denn ich bin ein stolzes Lesotho-Mädchen und habe das immer öffentlich in der Schule erzählt und wurde dafür nie angegriffen.

Ich bin im September 1994 geboren. Meine Eltern waren keine politischen Menschen. Ich lese Bücher; meine Mutter hat mich dazu ermutigt. Sie ist nie zur Schule gegangen. Sie kam ohne Schuldbildung aus Lesotho nach Johannesburg und brachte mir bei, dass ich zur Schule gehen muss. Ich ging damals in eine gemischte Grundschule, mit weißen und schwarzen Kindern.

In der Klasse waren wir trotzdem getrennt. Ich hatte etwas Angst vor Weißen wegen der Apartheidgeschichten. Aber immerhin lernte ich auf diese Weise Englisch.

Wir haben dort auch Afrikaans lernen müssen. Und wenn wir mal ein Wort nicht wussten, gab es Schläge. Ich wurde dafür geschlagen, weil ich das Wort für die Farbe Rot nicht kannte. Das Wort werde ich wohl nie vergessen.

Jetzt gehe ich in eine Townshipschule. Bei Schulwettbewerben oder Diskussionsveranstaltungen treffen wir auch weiße Schüler. Wir beobachten uns, finden etwas Interessantes aneinander wie unsere unterschiedlichen Haare und freunden uns an.

Wut und Apartheid

Südafrika ist das wirtschaftlich mächtigste Land Afrikas. Mit Fläche und Bevölkerung liegt es an 25. Stelle weltweit (Schätzung Ende 2013: knapp 53 Millionen Einwohner, auf 1.221.037 km(2)). In der Volkszählung 2011 nannten sich 79,2 % „schwarz“, jeweils 8,9 % „farbig“ und „weiß“.

BIP 2012 (laut Weltbank): 0,384 Billionen $

Wirtschaftswachstum: (laut Weltbank): 2009: –1,5 % 2010: 3,1 % 2011: 3,5 % 2012: 2,5 % 2013 (Schätzung): 1,8 %

Einkommensentwicklung (BIP pro Kopf laut Weltbank): 1982: $ 2.890 1992: $ 3.320 2002: $ 2.620 2012: $ 7.610

Index der Menschlichen Entwicklung (HDI) 2013: Platz 121, zwischen Kiribati und Vanuatu.

Politik: Der regierende Afrikanische Nationalkongress (ANC) unter Präsident Jacob Zuma steckt nach dem Tod des Befreiungshelden Nelson Mandela in der Krise.

Die Herausforderung 2014: Im April jährt sich das endgültige Ende der Apartheid zum 20. Mal, und es finden Wahlen statt.

In vielen Townships fühlen sich die Menschen immer noch minderwertig. Sie öffnen ihre Herzen nicht für die Weißen. Sie haben noch große Wut. Mein Geschichtslehrer beispielsweise glaubt, dass die Apartheid nicht wirklich aufgehört hat, denn viele Weiße beanspruchen immer noch Privilegien.

Nelson Mandela hat sehr viel getan, mehr als genug. Aber die Leute sind immer noch nicht zufrieden. Sie wollen nicht hart arbeiten, um etwas aus sich zu machen. Es ist nun unsere Sache, die von uns Schwarzen. Es hängt von uns ab, was wir lernen und was wir daraus machen.

Wir zahlen lediglich 70 Rand Schulgebühren. Waisenkinder wie ich oder die, deren Eltern nicht arbeiten, zahlen gar nichts und können auf Schuluniformen verzichten. Aber in der Oberstufe ist es anders. Ich mache im kommenden Jahr Abitur und muss eine schicke Schuluniform für 500 Rand kaufen.

Ob ich arm bleibe oder nicht, hängt von mir ab. Meine Eltern haben es nicht geschafft, weil sie keine Bildung hatten. Aber mir ermöglicht die jetzige Regierung freien Eintritt in Bibliotheken, sie stellt mir Bücher zur Verfügung und lässt mich Psychologin werden. Das will ich, weil ich diese Köpfe heilen will, die immer nur nach der Hautfarbe urteilen.

Politisch brauchen wir gute Führung, Vorbilder und Mentoren. Nelson Mandela stand für Frieden und kämpfte gegen Rassismus und dafür, dass Menschen in Harmonie leben. Die Menschen glaubten an ihn und seine Ziele.

Wenn es nach mir ginge, sollte Thabo Mbeki, Mandelas Nachfolger, wiederkommen. Er war gebildet. Er kann uns inspirieren im Gegensatz zu Präsident Jacob Zuma, der ungebildet ist.

Mbeki ist da anders. Er könnte uns ermutigen, mehr zu lernen. Wir brauchen jemanden, der etwas weiß. Viele Menschen waren nicht zufrieden mit ihm und haben ihn kritisiert. Ich nicht.

Die Alten wählen den ANC

Aber eigentlich brauchen wir new blood. Die Leute vom ANC sind mit diesen Dramen behaftet, Vetternwirtschaft ist ein Problem.

Julius Malema mag ich auch nicht. Er steht zwar für die Jugendliga des ANC, aber er beleidigt die Weißen. Er ist ein Rassist und in Betrugsskandale verstrickt. Das wissen die meisten.

Ich glaube, die Alten werden im April den ANC wählen. Wegen des Befreiungskampfs. Aber das ist die Vergangenheit. Es ist Zeit für einen Wandel. Viele mögen das nicht hören. Sie glauben, wir vergessen den ANC. Dabei lieben wir den ANC, weil es Mandelas Partei war, in der Menschen an etwas glaubten und zusammenarbeiteten.

Mandela war ein Mann des Volkes. Er gründete den Nelson-Mandela-Kinderfonds und seine Stiftung. Er hatte alle hinter sich, Schwarz und Weiß. Er wusste jeden zu schätzen.

Aber wenn ich den ANC heute anschaue, dann wird klar, es geht nur noch darum, wie viel man sich in die Taschen stecken kann. Sie kämpfen um Straßengebühren, Häuser sind nicht gebaut, und „die mächtigste Waffe gegen Armut“, wie Mandela die Bildung nannte, fehlt.

Für die Wahlen im April habe ich mich registriert, denn meine Stimme zählt. Wenn jemand, den ich wähle, an die Macht kommt, weiß ich, dass ich daran beteiligt war. Wenn er oder sie dann Mist baut, bin ich ebenfalls mitverantwortlich. In dem Haus, in dem ich mit meinem Freund und seinen Schwestern und deren Kindern wohne, hat sich niemand außer mir zur Wahl registriert.

Ich weiß noch nicht, welche Partei ich wählen werde, weil ich mir nicht sicher bin, ob der ANC meine Partei ist. Die Menschen werden Mandelas Partei wählen, um sein Erbe zu ehren. Ich aber will, dass Mandelas Erbe nicht in einer korrupten Form weiterlebt. Und ich mag die schwarze Politikerin Lindiwe Mazibuko in der weißen Oppositionspartei DA. Sie macht das, woran sie glaubt. Das ist ein gutes Vorbild.

Die Mpho-Tsotetsi-Stiftung

In naher Zukunft möchte ich meiner Gemeinde helfen. Ich könnte einen Cateringservice für Hochzeiten eröffnen und Leute mitbringen, die nichts zu tun haben, aber kochen und dekorieren können.

Eines meiner Anliegen ist auch, die Mpho-Tsotetsi-Stiftung ins Leben zu rufen. Sie soll Kindern helfen, die wie ich Kinder haben. Viele Teenager, die schwanger werden, töten sich. Das muss nicht sein. Ich würde gerne Botschafter für solche verzweifelten Menschen werden. Sie können von mir lernen, dass man trotzdem etwas aus seinem Leben machen kann.

Woher ich die Kraft nehme? Ich will nicht arm sterben. Ich habe meine Eltern in jungen Jahren verloren, meine Mutter starb, mein Vater kümmerte sich nicht, ich habe nur mich selbst und will aus meinem Leben etwas machen, was ich selbst gut finde. Ich bin kein Opfer, sondern ein Sieger. Und obwohl ich eine Waise bin, bedeutet das nicht, dass ich ein hartes Leben führen muss.

Aber um das zu erreichen, muss ich studieren und mit guten Noten abschließen. Denn wenn ich eine gute Ausbildung habe, kann mir nichts im Wege stehen. Und man braucht einen kühlen Kopf, um die Qualifikationen zu nutzen. Man muss seinen Traum leben, nicht träumen.

Mein Tag verläuft eigentlich immer gleich: Ich wache um 5.30 Uhr in der Frühe auf, mache mein Bett und säubere mein Zimmer. Dann mache ich den Ofen an, um heißes Wasser zu kochen, denn der Wasserkocher ist kaputt. Ich bereite Pausenbrote und Kekse vor.

Die Schwester meines Freundes bringt mein Kind zur Tagesstätte und ich gehe zu Fuß zur Schule. Die beginnt um 8 Uhr und geht bis 14.30 Uhr. Auf meinem Rückweg gehe ich oft in die Bibliothek, um etwas herauszusuchen. Das Internet dort funktioniert meistens nicht.

Dann hole ich meine Tochter ab, und wir gehen nach Hause. Meistens wasche ich dann Socken oder mein Schul-T-Shirt, relaxe; oder wenn ich dran bin, muss ich für alle kochen. Im Anschluss mache ich Hausaufgaben und schaue meine Lieblings-Soap: „Generations“. Aber dann schlafe ich oft schon auf dem Sofa ein.

Das ist mein Tag, denn alle elf Leute in meinem Haus hängen vom Sozialamt ab. Aber mein Freund Lucky und ich werden das bald ändern.

Protokoll und Übersetzung aus dem Englischen von Martina Schwikowski

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