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BILDUNG"Wir müssen noch viel lernen"

Der Vorsitzende der Berliner Schulleitervereinigung, Paul Schuknecht, fordert ein zentrales Testverfahren für die Aufnahme an Gymnasien und Sekundarschulen

Für manche nur als Brennmaterial gut: Zeugnisse (hier bei einer symbolischen Verbrennung im Jahr 2003). 1000 Berliner Schülern droht angeblich das Schicksal, am Ende der 7. Klasse das Gymnasium verlassen zu müssen. Bild: AP
Interview von Alke Wierth

taz: Herr Schuknecht, momentan werden hohe Rückläuferzahlen für das Ende dieses Schuljahres vorausgesagt. Ist das nicht zu früh? Schließlich ist noch ein halbes Jahr Zeit, diese Kinder zu fördern und in die nächste Klasse zu versetzen.

Paul Schuknecht: Es gibt bereits Prognosen, die von 1.000 Rückläufern ausgehen. Und es ist zu erwarten, dass die Gymnasien das jetzige Halbjahr nicht nutzen können oder wollen, um diese Schüler noch angemessen zu fördern und mitzuziehen.

Warum schaffen die Gymnasien es nicht, diese Schüler zu fördern?

Womit denn? Ein Gymnasium, das vielleicht sogar mehr Schüler aufgenommen hat als wie vorgesehen 32 pro Klasse, hat vom Stundenvolumen her gar keine Möglichkeit zu zusätzlicher Förderung. Dazu kommt: Ein Schultyp, der sich bislang über Qualitätssicherung durch Auslese definiert hat, soll nun sein Selbstverständnis umstellen. Es gibt Gymnasien, die das können, keine Frage. Aber viele können und wollen das eben auch nicht.

Die Schulreform sieht das im neuen Schulgesetz ausdrücklich vor.

Ja, aber dafür muss man auch die nötigen Ressourcen haben. Das gelingt möglicherweise Gymnasien, deren Anteil förderbedürftiger SchülerInnen nicht sehr groß ist. Es gibt aber Gymnasien, da sagen die Schulleiter, die Hälfte der SchülerInnen sei eigentlich nicht für diesen Schultyp geeignet. Wenn eine halbe Klasse Förderbedarf hat, dann wird das ohne zusätzliche Ressourcen sehr schwierig. Zusätzliche Lehrerstunden bekommen die Gymnasien genau wie die Sekundarschulen für Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache oder lernmittelbefreite Schüler. Das sind an den Gymnasien aber nicht so viele, denn die meisten davon landen immer noch an den Sekundarschulen.

Was bedeuten die Rückläufer für die Sekundarschulen?

Wir müssen die aufnehmen. In manchen Bezirken ist das eine geringe Anzahl, die sich mühelos auf die Schulen verteilt. In Bezirken, die einen hohen Anteil von Gymnasien haben wie etwa Charlottenburg, kommen manchmal aber ganze Klassen zurück. Ich musste an meiner Schule einmal 16 Rückläufer aufnehmen, eine andere Sekundarschule hier im Bezirk sogar zwei Klassen. Schlimm ist es auch für die Schüler: Sie sind frustriert, sehen sich als Versager und kommen dann oft auch an die wenig nachgefragten Sekundarschulen, weil die eben freie Plätze haben.

Wie würden Sie das ändern?

Um das Probejahr abzuschaffen, müssen wir vor der Aufnahme auf das Gymnasium eine Entscheidung darüber treffen, ob ein Kind berechtigt ist, auf das Gymnasium zu gehen oder nicht. Das sollte über ein Testverfahren geregelt werden, das natürlich berlinspezifisch und von kulturellen Eigenheiten oder sprachlichen Schwächen, die der Schüler noch beheben kann, unbeeinflusst sein müsste. An dem Test sollte jeder teilnehmen können, der das möchte. Schüler mit besonders guten Noten können davon ausgenommen werden. Das Gutachten der Grundschule sollte ernst genommen werden, darf aber nicht einziges Aufnahmekriterium sein.

Und wer soll den Test durchführen?

Ich stelle mir ein zentrales Testverfahren vor. Das sollte nicht den einzelnen Gymnasien überlassen sein. Wichtig ist aber die Freiwilligkeit. Eltern, die sagen, ich setze mein Kind dieser Belastung nicht aus und schicke es gleich auf die Sekundarschule, sollten nicht mitmachen müssen.

Welchen Erfolg sagen Sie Ihrem Vorschlag voraus? An das Schließen von Gymnasien hat sich in Berlin noch keiner getraut.

Das ist eine Frage des politischen Willens. Will man das Scheitern so vieler Kindern billigend in Kauf nehmen und die Belastung, dass sich ein Schultyp auf Kosten eines anderen ihrer Schüler entledigen kann? So kann Schulfrieden nicht aussehen. Im Moment ist es interessanterweise so, dass größere Teile der CDU ein solches Konzept mittragen würden und auch der Gymnasialschulleiterverband selbst es vehement fordert. Ich weiß auch von Gymnasien, die bereit sind, sich bewusst zu verkleinern, damit sie die Schüler nicht mehr nehmen müssen, die sie nicht wollen.

Es gäbe sicher Protest von Eltern, wenn die GrundschülerInnen neben den Aufnahmeverfahren der einzelnen Gymnasien auch noch einen zentralen Test durchlaufen müssten.

Es wird ja auch jetzt schon ganz viel Druck über die Noten gemacht - das finde ich viel heikler als ein Testverfahren. Dieses Verfahren würde nur die Schüler betreffen, deren Prognose, dass sie den erhöhten Anforderungen des Gymnasiums nicht gewachsen sind, fraglich ist. Und diese Schüler sollen nicht mal den Anforderungen eines Tests gewachsen sein? Aber es ist sicher eine Menge Gehirnschmalz dafür nötig, da einen guten Test zu entwickeln.

Wäre es nicht ehrlicher, gleich die Abschaffung der Gymnasien zu fordern?

Das ist richtig, aber aus zwei Gründen unrealistisch. Erstens ist das politisch derzeit nicht durchsetzbar. Zweitens sind auch wir als Sekundarschulen noch nicht so weit, dass wir vom Denken des selektiven Schulwesens ganz weg sind. Wir würden deshalb mit der kompletten Abschaffung der Gymnasien derzeit keine Verbesserung erreichen. Wir müssen alle noch viel lernen, bevor sich die Überlegenheit des integrierenden Schulsystems zwingend aufdrängt.

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2 Kommentare

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  • EA
    Enzo Aduro

    PS: Ich meine natürlich Gemeinschaftsschulen :-)

  • EA
    Enzo Aduro

    Der Kollateralschaden der Bildungsreform die Realschulen und Hauptschulen zu Sekundarschulen "aufgewertet" hat, war die Abwertung der Gesamtschulen - insbesondere derjenigen mit gymnasialer Oberstufe - zu Sekundarschulen.

     

    Es gibt nun nur noch das Gymnasium das eine Bildung mit hervorstechender Qualität propagiert.

     

    Das die Gymnasien viel zu viele Schüler beherbergen kann man schon an dem quantitativen Umfang der Schüler sehen. Es sei denn man ist wirklich derart optimistisch und glaubt unsere Berliner Kinder sind derart schlau.