BGH-Urteil zu Mahnwachen auf Flughäfen: Auch vor Abschiebeknästen erlaubt
Vor dem Gewahrsam in Schönefeld wollte ein Pater die Abschiebepraxis anklagen. Der Betreiber untersagte ihm das. Das Verbot gilt nun nicht mehr.
Geklagt hatte der 71-jährige Berliner Jesuitenpater Christian Herwartz. Gemeinsam mit der Gruppe „Ordensleute gegen Ausgrenzung“ wolle er ab 2012 Mahnwachen vor einem Abschiebegewahrsam auf dem Berliner Flughafen Schönefeld abhalten. Die Mahnwachen sollten auf das „Unrecht der Abschiebungen“ aufmerksam machen und darauf, dass hier Menschen „in einen toten Winkel eingepfercht“ werden, so Herwartz.
Doch die Berliner Flughafengesellschaft berief sich auf ihr Hausrecht und untersagte die Mahnwachen. Herwartz klagte, unterlag aber vor den Gerichten in Brandenburg. Diese stützten ihre restriktive Linie ausgerechnet auf die Rechtsprechung des grundrechtsfreundlichen Bundesverfassungsgerichts.
Die Verfassungsrichter hatten 2011 entschieden, dass das Grundrecht der Versammlungsfreiheit auch auf privatwirtschaftlich geführten Flughäfen gilt, wenn deren Gesellschaftskapitals von der öffentlichen Hand kontrolliert wird. Als Argument hieß es damals, dass es in Flughäfen auch „Räume des Flanierens“ gebe, die wie ein Marktplatz in der Stadt öffentliche Orte der Kommunikation sind. Das Urteil betraf den Flughafen Frankfurt/Main.
Mahnwachen müssen nicht schön sein
Die Brandenburger Gerichte argumentierten nun, dass rund um die Schönefelder Flüchtlingsunterkunft kein Raum zum Flanieren und für öffentliche Kommunikation sei. Dort seien nur Firmen und Einrichtungen angesiedelt, die funktional zum Flughafen gehören, etwa ein Catering-Unternehmen oder ein Fliegerarzt. Das Betriebsgelände ähnele nicht einem Marktplatz, sondern einem Gewerbegebiet.
Herwartz‘ Anwalt Jochen Höger legte das Verfassungsgerichts-Urteil aber großzügiger aus. „Man soll nicht nur dort demonstrieren können, wo man auch flanieren kann. Das war doch nur ein Beispiel.“ Dem folgte nun auch der fünfte Zivilsenat des Bundesgerichtshofs. „Wenn man im öffentlichen Straßenraum demonstriert, ist es oft auch unwirtlich und hässlich“, sagte die Vorsitzende Richterin Christina Stresemann. Das Betriebsgelände des Flughafens Schönefeld sei ausreichend öffentlich zugänglich.
Die „Ordensleute gegen Ausgrenzung“ können nun regelmäßig Mahnwachen auf dem Flughafengelände abhalten und anschließend zum Ausgang des Flughafens demonstrieren. Erster Termin ist am 3. Oktober. Der einstige Abschiebegewahrsam dient inzwischen überwiegend als Flüchtlingsunterkunft.
Az.: V ZR 227/14
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen