Ayurvedische Heilkraft: „Ich war angetan von den Erfolgen“
Rheuma, Asthma, Bluthochdruck, Arthrose, Hautkrankheiten – für den Mediziner Samir Chopra bietet Ayurveda gute Heilchancen.
sonntaz: Herr Chopra, was unterscheidet die Ayurveda-Kur, die sogenannte Panchakarma-Kur, von den hier heimischen Fasten- und Entschlackungskuren mit Wasser wie Kneipp, Buchinger, Viva Mayr?
Ananda Samir Chopra: Der große Unterschied bei der Panchakarmakur zur hiesigen Wasserkur ist die Behandlung mit Öl. Alle Membranen des menschlichen Körpers bestehen aus Fettstoffen und haben einen wasserabweisenden und einen wasseranziehenden Anteil. Mit der Hydrotherapie wie Kneipp und Fasten kommen Sie immer nur an das wasserlösliche Ende heran. Es gibt aber Umweltgifte wie DDT, Blei, Quecksilber, diese setzen sich im Fettgewebe ab. Es gibt kein konventionelles Verfahren, mit dem Sie an die im Fettgewebe eingelagerten Schadstoffe kommen. Im Verlauf einer Panchakarmakur konnten jedoch schon in dem Öl nach der Behandlung – es wurde etwa das Öl nach dem Ölbad Pizhichil untersucht – diese Giftstoffe eindeutig nachgewiesen werden. Messbar.
Die Bildung von Schlacken ist in der westlichen Medizin umstritten.
Das ist etwas, was häufig gesagt wird, was so aber nicht stimmt. Ich glaube, das Problem ist der Begriff „Schlacken“. Wenn man aber genauer schaut, so weiß man doch, dass es bei manchen neurologischen Krankheiten Ablagerungen in den Nervenzellen gibt. Eiweißablagerung. Man weiß, dass diese etwas mit Ernährung zu tun haben.
Wie würden Sie das Grundprinzip des Ayurveda beschreiben?
Der grundsätzliche Aspekt ist, dass man sich auf ein ganz anderes Menschenbild einlassen muss. Der Ayurveda hat eine feste Vorstellung davon, wie die Welt zusammengesetzt ist. Die Fünf-Elemente-Lehre: Erde, Feuer, Luft, Wasser und Raum. Alles, was wir über unsere Sinne wahrnehmen, einschließlich des menschlichen Körpers, besteht daraus. Auf dieser Grundlage kann man Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt und Störungen des Gleichgewichts systematisch erklären. Die Verdauung, der Magen-Darm-Trakt und wie Nahrung dort verwertet wird, spielen dabei eine sehr große Rolle.
Bei welchen Krankheiten hilft Ayurveda?
Nach unserer Erfahrung hierzulande etwa bei Rheuma, Asthma, Bluthochdruck, Arthrose, entzündlichen Gelenk- und Darmerkrankungen, Morbus Crohn. Es kommen auch viele Patientinnen während oder nach ihrer Krebserkrankung. Eine Krebspatientin, der damals die Brust entfernt worden war, sagte mir: Das Wichtigste war für mich, als ich von zwei Frauen liebevoll am ganzen Körper massiert wurde. Da habe ich mich zum ersten Mal wieder ganz gefühlt.
Seit 1996 leitender Arzt der Ayurveda-Klinik an der Habichtswald-Klinik in Kassel und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Heidelberg. Der Ayurveda wird in der Habichtswald-Klinik im Dialog mit der Schulmedizin klinisch umgesetzt. Samir Chopra wurde als Kind indischer Eltern in Deutschland geboren und studierte Medizin und Indiologie an der Universität Heidelberg. Nach der Approbation als Arzt ging er zum Studium des Ayurveda für einen einjährigen Studienaufenthalt nach Kalkutta.
Eine Erfahrung, die den Ayurveda wellnesstauglich macht?
Also aus einer Akupunktur könnte man kein Wellness machen, aus Ayurveda schon. Das kann auch ein Problem sein, den das Wellness-Image verschleiert die enormen therapeutischen und medizinischen Möglichkeiten, die der Ayurveda bietet. Aber das ändert sich gerade. Ayurveda-Angebote in Hotels gehen vor allem deshalb zurück, weil die Gäste aufgeklärter sind. Die meisten Hotels können den Anspruch der Gäste nach Beratung und Konzept nicht erfüllen.
Hat Sie Ayurveda sofort begeistert, als Sie ihn kennenlernten?
Ich habe als hier ausgebildeter Mediziner nicht geglaubt, dass man damit medizinisch viel machen kann. Ich hatte zunächst, als ich damals nach Kalkutta ging, ein Forschungsinteresse, auch an Pflanzenheilkunde. Es war interessant für mich, als Arzt die Praxis zu erfahren, Verläufe zu sehen.
Wie sind Sie dann zum praktischen Ayurveda gekommen?
Der Lehrer, dem ich am meisten verdanke, ist ein Kollege, der sowohl die traditionelle Ausbildung hat als auch am College war. Er sagte: Du bist zwar Arzt und weißt, wie der Körper funktioniert, aber du musst anders schauen. Und darauf muss die Therapie basieren. Und dann war ich angetan von den Erfolgen. Das war beeindruckend. Zum Beispiel bei Hauterkrankungen.
Und deshalb haben Sie Ayurveda in Deutschland fortgeführt?
Ende 95 kam ich in die Habichtswald-Klinik. Ayurveda ist hier eine eigenständige Abteilung. Die Klinik hier bestand ja schon. Und es war für mich interessant zu sehen, was man für Patienten tun kann. Dass man Dinge erreichen kann, die man mit Schulmedizin nicht erreicht.
Machen vor allem Frauen Ayurveda?
Inzwischen kommen ungefähr 60 Prozent Frauen, 40 Prozent Männer. Es gab ja eine Zeit, da konnten Männer mit ihrem Herzinfarkt angeben. Das ändert sich langsam.
Ist der ayurvedische Arzt vor allem ein Handwerker, der sich mit Kräutern auskennt?
Es ist schon so, dass die ayurvedische Diagnose mehr Handwerk bedarf, als es heutzutage üblich ist. Aber Mediziner hier könnten von der Ausbildung her auch mehr Handwerk machen.
Was ist für Sie Ayurveda in Deutschland: eine Kopie der indischen Verfahren, oder steht er im Austausch und der Entwicklung mit Produkten und Gegebenheiten hier?
Bei uns ja. Aber da sind wir sicher Vorreiter. Wir benutzen heimische Öle, die wir hier selbst herstellen, mischen und verkochen. Wir benutzen dazu ausschließlich heimische Kräuter wie Rosmarin. Die meisten anderen Ayurveda-Zentren in Deutschland bekommen ihre Öle und Kräuter aus Indien geliefert.
Wer hat Sie dabei beraten?
Ein Prinzip des Ayurveda ist es, den Patienten nach Ort, Zeit und Individualität zu behandeln. Zwei Kollegen aus Südindien haben uns intensiv beraten. Sie haben aus den einheimischen Kräutern unsere Rezepturen entwickelt. Wir bekommen nun Kräuter von der Zentralapotheke hier. Die freuen sich, dass das wieder angefragt wird. Beim Essen ist es ähnlich: Um diese Zeit gibt es eben Rosenkohl. Aber für den Ayurveda ist das nichts Neues. Die ältesten ayurvedischen Texte sind im Nordwesten Indiens entstanden, wo das Klima kalt ist, wo Getreide und nicht Reis gegessen wird. Heute wird Ayurveda vor allem im Südwesten Indiens praktiziert, dort gibt es eine Reisküche.
Auf welche Gewürze könnten Sie trotzdem nicht verzichten?
Es ist schon gut, dass man heute hier Ingwer und Kurkuma bekommt. Aber es gab ja immer einen Austausch. Nur regional ist dummes Zeug. Dann gäbe es hier heute auch keine Kartoffeln.
Gibt es viel Konkurrenz unter den Ayurveda-Anbietern in Deutschland?
Das ändert sich gerade. Zumal auch mehr und mehr deutsche Mediziner sich mit Ayurveda beschäftigen und sich beispielsweise in Ludwigsburg ausbilden lassen. Eine Gruppe von Ärzten, die in Deutschland Ayurveda praktiziert, hat eine Initiative mit dem Ziel einer ärztlichen Zusatzbezeichnung Ayurveda begonnen.
Warum ist Ayurveda gerade in Deutschland so stark vertreten?
Ich vermute, weil es hier eine lange Kurtradition gibt. Wir haben ein hervorragendes, für jeden zugängliches, hochgerüstetes Gesundheitssystem in Deutschland. Aber weil wir eine gute Versorgung haben, sehen wir auch deren Grenzen. Und Ayurveda mit seinem anderen Ansatz erweitert den medizinischen Blick. In Deutschland ist man dafür offen.
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