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Awareness-Team auf dem Hamburger Fanfest„Wir hören zu“

Beim Fanfest auf dem Heiligengeistfeld in Hamburg kommt auch ein Awareness-Team zum Einsatz. Das Konzept hat seinen Ursprung in der linken Szene.

Mitunter sehr emotional: Public Viewing auf dem Hamburger Heiligengeistfeld, hier am 23. Juni 2024 Foto: dpa | Daniel Bockwoldt

Hamburg taz | In lilafarbenen Warnwesten stehen sie da. Ihre Blicke konzentriert in die Menge gerichtet. Bis sie an einer Gruppe junger Menschen, die heftig diskutieren, hängen bleiben: „Da könnte vielleicht etwas los sein“, sagt der ei­ne besorgt: „Lass einfach kurz nachschauen“, stimmt die andere zu. Die beiden laufen los. Auf die Rückseite ihrer lila Westen ist in hell leuchtenden Buchstaben „Awareness“ gedruckt. Sie gehören zum Sicherheitskonzept der Uefa-Fanmeile auf dem Hamburger Heiligengeistfeld, gleich neben dem Millerntorstadion.

Awareness bedeutet „aufeinander achten“. Das Konzept wurzelt in unterschiedlichen Traditionen, etwa der Schwarzen Frauenbewegung oder Community-Arbeit. In Deutschland hat es sich zuerst in linken Subkulturen verbreitet. Heutzutage ist es auf den meisten Festivals selbstverständlich, auch in der Clubszene zunehmend üblich.

Für das Fanfest hat der Veranstalter, die Hamburger Bergmann-Gruppe, die Firma L’Unità damit beauftragt. Die Bremer sind Vorreiter im Bereich Sicherheit und Awareness auf Großveranstaltungen. Als erste in Deutschland bieten sie Aware­ness nicht als ehrenamtlichen Verbund, sondern als Dienstleistung gegen Bezahlung an und werden dafür von Ver­an­stal­te­r:in­nen gebucht.

Gründer Kai Villbrandt hatte in seiner Tätigkeit als Türsteher die Notwendigkeit erkannt, betroffenenorientierte und parteiliche Arbeit beim Feiern anzubieten. Mit dem Verband der Bremer Musikspielstätten hat er 2017 die Kampagne „Gemeinsam sicherer feiern“ ins Leben gerufen und dafür ein Aware­ness-Konzept verfasst. Damit arbeitet L’ Unità bis heute, die Mit­ar­bei­te­r:in­nen der Firma werden regelmäßig geschult.

Aufmerksamkeit für Betroffene

Nilo, lila Weste, Funkgerät, arbeitet seit anderthalb Jahren bei L’ Unità und hat schon viele Einsätze gemacht. Nilo sieht eine große Notwendigkeit für Awareness bei Großveranstaltungen. In der Vergangenheit habe sich oft gezeigt, dass der Fokus zu stark auf Tä­te­r:in­nen liege und Betroffene von sexuellen Belästigungen oder anderem übergriffigem Verhalten zu kurz kämen: „Häufig wird die handelnde Person des Geländes verwiesen, die betroffene Person fällt jedoch hinten runter.“ Es gebe keine Strukturen für sie. „So kann es sein, dass die Person, die ja nichts gemacht hat, das Gelände verlässt oder das nächste Mal zweimal überlegt, ob sie überhaupt wiederkommen möchte.“

Ziel des Awareness-Konzepts ist es, solche Situationen zu verhindern und dafür zu sorgen, dass sich alle wohlfühlen. Beim Fanfest arbeitet L’Unità dafür auch mit Volunteers zusammen.

Das Einsatzteam ist auf dem Feld meist in Zweiergrüppchen unterwegs, die an Eingängen und auf dem Feld die Augen offenhalten und Präsenz zeigen. Auch der Moderator auf der Bühne verweist in seinen Ansagen auf die Arbeit des Teams und bittet darum, dass alle aufeinander achtgeben.

Damit das Awareness-Team erreichbar ist, wurden über 270 gelb-lilafarbene Plakate mit QR-Codes aufgehängt. Wird er gescannt, ploppt auf dem Handybildschirm eine Nachricht auf: „Wir sind gleich bei dir. Bitte warte einen Moment, das Team wurde benachrichtigt und meldet sich sofort bei dir.“ Man muss keine App installieren, besitzt man eine ausländische Nummer oder ist das Handy auf Englisch eingestellt, wechselt die Sprache. Und die eigene Telefonnummer bleibt immer verdeckt.

Es funktioniert: Betroffene haben auf diesem Weg nach Hilfe gefragt und wurden über den Standort des QR-Codes vom Team gefunden. „Es kam aber auch zu einigen Fehlalarmen, weil Menschen aus Neugierde den Code gescannt haben“, sagt Nilo. „Das ist aber nicht schlimm.“

Von sexuellen Übergriffen bis zu Panikattacken

Häufig melden sich aber nicht Betroffene selbst, sondern andere Institutionen aus dem Sicherheitskonzept wie Security oder Sanitäter:innen, die auf dem Gelände etwas beobachtet haben. Das ganze Sicherheitsteam auf der Fanmeile ist mit Funkgeräten verbunden, um einander unterstützen und ergänzen zu können. „Damit steht und fällt gute Awareness-Arbeit auf Großveranstaltungen, man weiß, dass man sich gegenseitig im Rücken hat“, sagt Nilo.

Das Awareness-Team hat ganz unterschiedliche Fälle zu betreuen: Von sexuellen Übergriffen bis zu Panikattacken, Überkonsum von Drogen oder einfach Redebedarf ist alles dabei. In allen Fällen steht die Betroffenenperspektive im Zentrum der Arbeit: „Es ist ganz klar, dass nichts stattfindet, was die Betroffenen selbst nicht wollen“, sagt Nilo. Niemand werde dazu gedrängt eine Anzeige zu stellen. „Wir arbeiten parteilich, hören den Betroffenen zu und stellen ihre Aussagen nicht infrage. Dadurch, dass sie entscheiden können, was sie tun wollen und was nicht, wird ihnen wieder eine gewisse Handlungsmacht zurückgegeben.“

„Safer Space“ im Container

Im „Safer Space“ können Betroffene zur Ruhe kommen und von dem Trubel Abstand nehmen. Der Container befindet sich am Rand der Fanzone und ist von Absperrzäunen umgeben. Vor dem Eingang stehen Tisch und Bänke. Der Innenraum ist nicht gerade groß und dient nebenbei als Einsatzzentrale, Treffpunkt und Aufenthaltsraum. Neben einem Sofa stehen Getränke und Snacks. An einem Tisch sitzt jemand von L’Unità, der das Awareness-Handy bedient. Bevor eine betroffene Person den Container erreicht, wird eine Nachricht per Funkgerät übermittelt: Alle müssen raus, um sicherzustellen, dass dort eine ruhige Atmosphäre herrscht, in der man nicht noch mehr Reizen ausgesetzt ist. Bei Bedarf kann dort über das Geschehene gesprochen werden. Auch eine Beratung über mögliche Konsequenzen wie eine Anzeige ist möglich.

Gerade Fußballspiele von Nationalmannschaften bieten Nährboden für aggressives Verhalten, ganz egal ob Deutschland, Spanien oder die Türkei spielt. Deshalb sind Awareness-Konzepte gerade bei einer Europameisterschaft von besonderer Bedeutung. Nilo sagt, das Konzept sei auch in Fußballstadien zunehmend verbreitet. Seit der Coronapandemie hätten immer mehr Vereine begonnen, eigene Awareness-Konzepte umzusetzen: QR-Codes, Safe Words, mit denen man sich an die Bar wenden kann, oder Telefonnummern.

„Beim Fußball ist das Besondere vor allem die Masse an Menschen, verbunden mit einer sehr emotionalen Stimmung, gerade bei beliebten Spielen“, sagt Nilo. Wenn Deutschland gespielt habe, sei es vermehrt zu Konflikten auf dem Heiligengeistfeld gekommen und das Awareness-Team besonders oft gerufen worden. Das liege vor allem daran, dass an diesen Tagen besonders viele Menschen da waren, bis zu 50.000 finden auf der Fanmeile Platz. Auch das Wetter spiele eine Rolle und beeinflusse das Verhalten: An heißen Tagen seien Menschen gestresster. Alkohol fördere aggressives Verhalten.

Am vergangenen Freitag, beim Spiel Deutschland–Spanien, gab es einige Panikattacken, vor allem bei jüngeren Menschen. Es war so voll, dass die Ampel, die die Be­su­che­r:in­nen­zahl regelt, in Dunkelorange leuchtete.

Handschuhe, Traubenzucker, Spucktüten

An diesem lauen Sommerabend steht die Ampel auf Grün, beim Halbfinale Frankreich gegen Spanien sind keine Massen auf der Fanmeile. Die Stimmung ist trotzdem ausgelassen: Menschen schwirren umher, holen sich Eis oder kühle Getränke und verfolgen gespannt das Spiel. In voller Lautstärke ertönt die Stimme des Kommentators. Beim Ausgleichstor zum 1:1 bebt das Feld dann doch.

Das Awareness-Team ist wie immer im Einsatz. Sie haben Handschuhe, Traubenzucker, Desinfektionstüten, Spucktüten und Stressbälle in ihren Taschen. Die Schicht ist ruhig, die Aufmerksamkeit trotzdem gefragt. Gerade an solch einem schwülen Abend seien Fälle durch zu viel Alkoholkonsum zu erwarten, sagt ein Teammitglied. Es wird dunkel. „Zeit, in die Ecken zu schauen, ob da jemand sitzt“, sagt ei­ne aus der Schicht, die beiden machen sich wieder auf den Weg.

Es gibt Luft nach oben

Das Awareness-Team hat im Laufe des Turniers viel positives Feedback bekommen. Trotzdem gibt es Luft nach oben: „Natürlich wäre es wünschenswert und würde eine Inklusion Betroffener fördern, wenn wir möglichst divers aufgestellt wären“, sagt Nilo. „Aber man kann auch nicht Menschen, die in der Gesellschaft ständig marginalisiert werden, in diese Aufgabenbereiche reindrängen.“ Die Arbeit könne retraumatisierend für Menschen sein, die von Diskriminierung betroffen sind.

Trotzdem wären Stellenausschreibungen, die sich explizit an marginalisierte Gruppen richten, wichtig – allein, um die Notwendigkeit zu verdeutlichen. Und Schulungen zu unterschiedlichen Diskriminierungsformen für das gesamte Team seien umso wichtiger. Darum bemühe L’Unità sich schon lange.

Für viele Besuchende ist es auch der allererste Kontakt mit einem solchen Konzept. „Es ist immer ein schöner Moment, wenn Menschen, die noch nicht wissen, wer wir sind, von den Securitys auf uns verwiesen werden“, sagt Nilo. „Die allermeisten sind dankbar und freuen sich zu hören, was unsere Arbeit ist.“ Am Sonntag werden sie beim Finale ihren letzten Einsatz bei der EM haben, klar ist aber: Awareness-Teams werden auch in Zukunft gebraucht werden.

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