: Avantgarde unter der Abrißbirne
■ Die einzigartige KünstlerInnengemeinschaft im Güldenhaus sucht nach neuer Bleibe / Doppelausstellung als Finale
Tosende Trommelwirbel und Sirenenklänge aus kupfernen Grammophonen hallen seit gestern aus der Galerie Herold. Eine Installation des Berliner Künstlers Achim Göbel, die für BesucherInnen und GaleristInnen wie eine symbolische Warnung klingt. Denn das künstlerische Leben in der Bremer Neustadt ist in Gefahr.
Wo bisher gleich zwei Galerien und 33 KünstlerInnen in sieben Ateliers sowie der Pictor-Verlag unter dem Dach der ehemaligen Matratzenfabrik Herold für kreative Avantgarde sorgten, droht jetzt das Aus. Schon kratzen die Bagger an dem Gebäude am Neustadtswall, das einst die Güldenhaus-Schnapsbrennerei beherbergte. Und während drinnen die Galerie Herold und die Werkstatt Galerie in einer gemeinsamen Ausstellung die beiden Berliner Künstler Andreas Amrhein und Achim Göbel präsentieren, hieven Kräne die ersten Kessel aus dem Loch im Dach.
Die vorläufig letzte Ausstellung ist dabei gleichzeitig die erste, die die beiden Galerien gemeinsam veranstalten. Sozusagen eine konzertierte Aktion, um auf die kürzlich erhaltende Kündigung zum 30. Juni aufmerksam zu machen. „Zwar gibt es theoretisch noch ein Prozent Hoffnung, daß wir bleiben können“, sagt Carola Beismann von der auf Druckgrafik spezialisierten Werkstatt Galerie, doch an diesen Strohhalm klammert sich ernsthaft niemand mehr. Und so sind die „Herolde“fieberhaft auf der Suche nach einem neuen Domizil, das geeignet ist, auch in Zukunft die überaus produktive Gemeinschaft von KünstlerInnenateliers, Galerien und Kunstverlag unter einem Dach zu beherbergen. Die Suche ist schwierig, doch es gibt geeignete Gebäude: „Zum Beispiel die leerstehende Güterabfertigungshalle hinter dem Bahnhof“, wie Künstlerin Marion Bösen erklärt. Hier wären die benötigten ca. 1.300 qm in fast idealer Lage vorhanden. „Und wenn die Stadt uns ein Gebäude kaufen würde, wären wir bereit, es über die Mieten abzuzahlen“, appelliert Günther Gerlach im Namen der KünstlerInnen an die öffentliche Adresse. Dabei verweist er auf die rund 7.000 Mark, die Gerlach & Co bislang für das Güldenhaus-Gebäude aufzubringen hatten und weist selbstbewußt darauf hin, daß die „Herolde“in den letzten drei Jahren immerhin das kulturelle Leben in der Neustadt entscheidend verbessert haben. „Und zwar nahezu autark finanziert, ohne die Hilfe von Dachorganisationen und mit Ausnahme einiger Projektgelder auch ohne öffentliche Mittel.“
Grund genug, um in der derzeit verzweifelten Situation auf die Unterstützung öffentlicher Institutionen zu pochen. Denn ohne deren Hilfe droht ein Projekt auseinanderzubrechen, das in dieser Form in der Stadt einmalig ist. Schließlich präsentieren die BetreiberInnen in diesem Künstlerhaus nicht nur vielseitige Ausstellungen vorwiegend noch unbekannter KünstlerInnen, sondern gewähren dem Publikum jederzeit Einblicke in die Ateliers oder bieten ein Programm vielfältiger Veranstaltungen. Eine Fülle von Aktivitäten also, „mehr als in so manch einem Kunstverein“(Gerlach), die hier zu zersplittern droht.
Aber noch bleiben sechs Wochen Zeit, unter dem Motto „Tanz den Untergang“die vorerst letzte Party am 28. Juni vorzubereiten und vor allem eine neue Immobilie zu finden. Aber diesmal soll es möglichst eine sein, aus der man nicht wieder in zwei, drei Jahren raus muß. „Bis die Leute den neuen Standort der beiden Galerien registriert haben, dauert es schließlich ungefähr ein Jahr“, seufzt Carola Beismann.
Bleibt zu hoffen, daß die Trommeln und Sirenen der letzten Ausstellung nicht ungehört verhallen, und daß die roten Schläuche des Künstlers Göbel, die sich kreuz und quer durch den unverputzten Raum winden, der Galerie Herold nicht nur symbolisch neue Luft verschaffen. Denn ironische Installationen wie seine und Bilder wie die seines Kollegen Andreas Amrhein, der mit einer Kombination aus beiläufiger Kritzelei und intensiver Farbkomposition vielfältige Assoziationen weckt, wollen wir in Bremen auch in Zukunft noch sehen.
Moritz Wecker
Andreas Amrhein und Achim Göbel: Werkstatt Galerie und Galerie Herold, Neustadtswall 61a, bis 30. Mai. Geöffnet: Di. und Mi. 14- 19 Uhr, Do. und Fr. 10- 14 Uhr
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