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Autos in den InnenstädtenParkraum für Lieferdienste

Gastkommentar von Anke Borcherding und Andreas Knie

Private Autos dürfen „für lau“ öffentlichen Raum zuparken. Höchste Zeit, dass die Autos von Vereinen und Gewerbetreibenden Vorrechte bekommen.

Autos zu parken ist ziemlich billig in Deutschland, das muss sich ändern Foto: Simon Kremer / dpa

W er darf eigentlich wann, warum und wo im öffentlichen Raum parken? Eine Frage, die kaum gestellt wird, weil ja eigentlich alles klar scheint: natürlich die Anwohnenden! Doch der Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat erforschen lassen, wie oft Verkehrsmittel tatsächlich genutzt werden. Das private Auto der Anwohnenden ist beispielsweise im Kreuzberger Graefekiez nur noch an 8 Prozent der täglich zurückgelegten Wege beteiligt, Rad und Füße dominieren mit mehr als 80 Prozent. Das eigene Fahrzeug wird von sehr vielen mehr als eine Mobilitätsreserve betrachtet. Die gefahrenen Kilometer sinken, die Stehzeiten werden immer länger, und wenn gefahren wird, sitzen im Schnitt nur noch 1,1 Personen im Fahrzeug.

Der Bezirk beschloss daraufhin, Parkflächen umzuwidmen und mehr Lade- und Lieferzonen einzurichten. Sie sollten den Parkdruck für das liefernde Gewerbe mindern und für die wachsende Zahl der Kurier-, Eil- und Paketdienste Abstellflächen bereitstellen, damit diese nicht in der zweiten Reihe parken müssen. Doch diese werden wie überall gnadenlos zugeparkt – in der Regel von privaten Pkws. Es gibt nicht genug Parkplätze für alle, und das lässt neue Fragen entstehen: Warum sollte ein privates Auto mit exklusivem Zugang für eine Person mehr als 23 Stunden öffentlichen Raum blockieren, während die Lieferdienste und Gewerbetreibenden ein Viertel beliefern und versorgen und dazu Fahrspuren oder Ausfahrten blockieren müssen?

Seit dem Bremer „Laternenparker-Urteil“ des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1966 ist höchstrichterlich klargestellt: Der öffentliche Raum darf für private Kfz als Abstellraum genutzt werden. Das Gericht stellte fest, dass es offenkundig der Wille des Staates ist, möglichst viele Autos auf der Straße zu haben – und die brauchen bekanntlich Platz. Die Kommunen können bei nachgewiesenem hohen Parkdruck Einschränkungen des Parkens anordnen und den Parkraum auch bepreisen – mittlerweile sogar bis zu einer Höhe der tatsächlich anfallenden Kosten, und das sind rund 3.500 Euro pro Jahr.

Davon sind Deutschlands Kommunen aber noch weit entfernt. Das Abstellen eines Fahrzeugs kostet pro Stunde in Frankfurt (Oder) oder Koblenz weniger als 1 Euro, in den teuersten Städten wie Düsseldorf oder Stuttgart immerhin schon 4,50 Euro. Besonders im Fokus der Kommunalpolitik bleiben die Anwohnenden. Hier sind die Kommunen großzügig. Um ein ganzes Jahr im eigenen Wohnquartier parken zu können, verlangt beispielsweise das Land Berlin gerade einmal 10,20 Euro, andere Städte allerdings schon 100 Euro.

Andreas Knie

Andreas Knie ist Leiter der Forschungsgruppe „Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

Anke Borcherding

Anke Borcherding ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe Digitale Mobilität des WZB.

Das Recht, die Gebühren festzusetzen und damit eine erhebliche Lenkungswirkung zu erreichen, steht allein – in Absprache mit den Ländern – den Kommunen zu. Bislang traut sich hier aber keine richtig heran, denn wer möchte gern Wahlen verlieren. Lieber verzichtet man auf eine Tempo-30-Zone oder einen Fahrradweg wie jüngst in Hannover. Dafür hätte man Stellflächen reduzieren müssen.

Aber langsam ändert sich etwas. Denn die Innenstädte veröden. Die Pandemie hat eine Tendenz beschleunigt, die bereits vorher existierte: Demografischer Wandel und Digitalisierung verstärken den Rückzug ins Private. Der öffentliche Raum verliert an Bedeutung, der Einzelhandel, aber auch die Gastronomie und Kultur leiden. Um Innenstadträume wieder zu revitalisieren, beginnt auch ein neues Denken über das Anwohnerparken. Denn alles, was gewerblich unterwegs ist, hat beim Parken auf öffentlichen Flächen keine wirkliche Chance: Nur das Be- und Entladen ist erlaubt, und das nur für 3 Minuten.

Flächen für Carsharing, immerhin

Zwar wird immer wieder das längere Verweilen geduldet, und es gibt auch den „Handwerkerausweis“, mit dem das längere Abstellen von Gewerbefahrzeugen geduldet wird. Und es ist gelungen, im Carsharing-Gesetz festzulegen, dass die Länder den Kommunen die Option gewähren können, Flächen für Carsharing im öffentlichen Raum einzurichten.

Was passiert mit Autos, die Vereine, gemeinnützige Initiativen, Wohlfahrtsverbände oder Gewerbetreibende im Viertel benötigen? Die für die Lebendigkeit der Stadt sorgen, die dazu beitragen, dass der Kiez lebenswert ist, dass Arbeitsplätze und Kulturangebote erhalten bleiben? Für diese gibt es, noch mal, keine legalen kostenlosen Möglichkeiten, auf öffentlichen Flächen Fahrzeuge abzustellen. Die Straßenverkehrsordnung kennt keine Privilegien innerhalb des motorisierten Verkehrs, außer natürlich für die Anwohnenden, die dürfen immer parken. Große Privilegien gibt es nur in Bezug auf die zu Fuß Gehenden und die Radfahrenden, die sich dem „fließenden Verkehr“ unterzuordnen haben.

Modell Quartiersparken

Während der Bezirk Friedrichhain-Kreuzberg mit zugeparkten Lade- und Lieferzonen kämpft, ist es das Verdienst Hamburgs, mit der Idee des „Quartiersparken“ einen neuen Denkansatz in die Debatte eingeführt zu haben. Die Idee dahinter ist, dass der öffentliche Raum für die Anlässe geöffnet wird, die für die Entwicklung eines Viertels notwendig und die bislang von privaten Fahrzeugen blockiert sind. In den geplanten Änderungen der Straßenverkehrsordnung war eine Experimentierklausel für solche Versuche noch formuliert worden.

Leider ist die bereits vom Bundestag verabschiedete Novelle im Bundesrat Ende November 2023 abgelehnt worden. Damit bleiben alle Veränderungen im öffentlichen Raum blockiert. Aber die Debatte wird sich nicht aufhalten lassen. Das Recht auf einen privaten Stellplatz im öffentlichen Raum ist schlicht aus der Zeit gefallen und nicht zukunftstauglich. Wenn kein Bäcker mehr da ist, es kein Theater, kein Kino, es kein gar nichts mehr gibt, nur überall Leerstände und dazu noch eine unerträgliche Hitze und mächtige Überschwemmungen kommen, aber das eigene Auto vor der Tür stehen darf: Sind das noch lebenswerte Städte?

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5 Kommentare

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  • "Aber langsam ändert sich etwas. Denn die Innenstädte veröden. Die Pandemie hat eine Tendenz beschleunigt, die bereits vorher existierte: Demografischer Wandel und Digitalisierung verstärken den Rückzug ins Private. Der öffentliche Raum verliert an Bedeutung, der Einzelhandel, aber auch die Gastronomie und Kultur leiden. Um Innenstadträume wieder zu revitalisieren, beginnt auch ein neues Denken über das Anwohnerparken. Denn alles, was gewerblich unterwegs ist, hat beim Parken auf öffentlichen Flächen keine wirkliche Chance: Nur das Be- und Entladen ist erlaubt, und das nur für 3 Minuten."

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    Und wie sollen KfZ von Gewerbe und Vereinen die Innenstädte revitalisieren ? Das Gewerbe liefert an, das flaniert nicht stundenlag durch die City. Das machen Privatleute, die auch mit privaten KfZ anreisen und, Überraschung, einen Parkplatz brauchen.

    Bei Lösungsansätzen kann Berlin ja wieder als Testobjekt herhalten. Wie wäre es das die Vergabe eines Wohnraummietvertrages einfach an den Nichtbesitz eines KfZ gekoppelt wird ? Je näher am Zentrum wohnend, desto kleiner die zugelassene Privat-KfZ-Quote.

  • Wie ist das eigentlich mit Ablöse für Parkplätze aus . Bauherren zahlen teilweise 12000 Euro pro parkplatz , wenn sie keinen Parkplatz auf dem eigenen Grundstück schaffen.



    www.merkur.de/loka...ahlen-6926443.html

  • Ein neuer Denkansatz? Statt privaten Fahrzeugen sollen also gewerblich genutzte Fahrzeuge den Raum blockieren? C'mon das geht auch klüger.



    Es wäre noch nicht einmal ein neuer Denkansatz zu sagen, dass Lärm und Emissionen produzierende gefährliche und gefährdende teure, Ungerechtigkeit manifestierende, in aller Regel hässliche und sehr oft nicht benötigte (weil zu ersetzende) Blechkisten dort, wo Menschen zusammenkommen und leben nichts verloren haben!



    Wieso sollte denn dann der Verdrängung des stationären Einzelhandels durch Internet-Shops, die ihre Produkte von der grünen Wiese aus verschicken, Rechnung getragen und ihnen Raum für die Zerstörung einer dringend zu erneuernden Konsumroutine zur Verfügung, vielleicht sogar temporär geschenkt werden?



    Das ist für meine Begriffe nicht minder reaktionär.

  • Das Kernproblem ist meines Erachtens nicht das fehlende Wissen wie wir miteinander auf allen Ebenen des Lebens rücksichtsvoller verkehren sollten - für den öffentlchen Verkehr zeigt der Artikel ja überzeugend auf, was Sache ist und zur Lösung im beschriebenen Teilproblem der Parkraumbewirtschaftung geschehen sollte - sondern das Kernproblem scheint mir die gleichzeitige Ablehnung, der sich aus der gewonnenern Einsicht ergebenden Veränderungen. Es ist traurig, aber eine bittere Tatsache, dass diese Verweigerung von konkreten Änderungen, trotz Einsicht in die objektive Notwendigkeit, mehrheitlich zu beobachten ist. So blockieren wir fortlaufend dringende Veränderungen zur Verbesserung der Lebensqualität für uns alle. Das ist paradox, aber so scheinen wir mehrheitlich zu ticken.

    Die Autorin und der Autor beschreiben die Situation der öffentlichen Parkraumnutzung sehr gut, auch ihre Vorschläge sind klug und durchdacht. Doch leider, leider nutzt das wenig, weil das Beharrungsvermögen und die Verweigerung Gewohnheiten zu ändern, das zentrale Problem sind. Hieran müssen wir arbeiten. Auch die Sprache und

    Schlaue Verkehrsanalysen haben wir genug, wir müssen uns mehr um den Elefanten im Raum kümmern. Und der Elefant ist die Gewohnheit, die uns immer wieder auf die Füsse fällt. Wie ändern wir Gewohnheiten, die uns schaden? Ich glaube, das sind sozial-psychologische und sozial-pädagogische Fragen, die uns Antworten geben können.

    Enzensberger hat ja mal geschrieben, dass man sich selbst auch daran gewöhnt, sich an alles zu gewöhnen. Das nennen wir dann einen Lernprozess.

    Wir Gewohnheitstiere sind aber nicht verpflichtet uns fortlaufend selber zum Affen zu machen.

  • Die sog. "Reichen" mit Carports und Garagen auf eigenem Grundstück sind dann mal wieder außen vor. Ebenso ETW Besitzer mit zugehörigen Tiefgaragen. Trotzdem, das ist dann halt nicht zu ändern. Der öffentliche Parkraum kann nicht mit KFZs zugeknallt sein, die lediglich in Bereitschaft stehen und kaum zum Einsatz kommen.